Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
die Hände küsse. Das bedeutete, er war nicht mehr ein bloßer Vasall, er war als Vizekönig der indischen Länder begrüßt und anerkannt. Man wies ihm einen Lehnsessel an, und er wurde aufgefordert, sich zu setzen. Eine Auszeichnung und Gnade, die ihm die Seele erstarren ließ vor Glück. Er nahm also auf dem Stuhle Platz und schaute mit weiten Augen im Thronsaal ringsherum, geblendet. Er sieht die Fürsten, Herzöge, Erzbischöfe, Ritter und Barone, die geschmückten Damen, alle Blicke sind mit brennender Neugier auf ihn geheftet, sie ahnen, daß sie etwas vernehmen sollen, was ihre innere Welt in den Fugen erschüttert, er spürt die Erwartung, den Hunger nach dem Fabelhaften, wie wird er bestehen? Genügt die einfache Wahrheit des Erlebnisses, oder muß er sie steigern, in seinen erregten Sinnen zum Wunder umschmelzen? Er beginnt zu erzählen. Die sonore Stimme steigt aus der Stille empor wie dunkler Gesang aus exotischer Nacht, die Köpfe beugen sich vor, die erlauchte Versammlung gerät in einen Zustand von Bezauberung, sie hören das Wort von der »neuen Welt«, in dieser Stunde wird der Begriff zum erstenmal geprägt, der erstaunliche Mensch selbst ist es, der die Formel findet, und sie hat in jener Stunde die Wucht und den Glanz einer himmlischen Offenbarung. Neue Welt; davon zu wissen; zu wissen, daß sie existierte, daß sie in einer meßbaren Ferne lag, erreichbar, betretbar, erschließbar. Natürlich läßt sich der Erzähler von der verschönenden Erinnerung und vom eigenen Wort und Bild zu romantischen Übertreibungen, ja zu verwegenen Unwahrscheinlichkeiten hinreißen, er kann nicht anders, wer vermöchte der Vorführung des schicksalhaften Moments zu widerstehen, es bleibt immer noch genug Wirklichkeit übrig, sogar solche, die er vorweisen kann. Ein Wink, und die Indios treten auf, wie im Theater; die Körbe werden gebracht, und er entnimmt ihnen die verschiedenen Produkte der Inseln (der spanische Geschichtsschreiber Muñoz hat es sich nicht verdrießen lassen, ein Verzeichnis davon anzufertigen): die Batatas; die Yamswurzel; den Jamaikapfeffer; die Yukawurzel; das indianische Korn; die Wolfsbohne; die Banane; den Pisang; die Baumwollstaude; den Tabak; das Mastixharz; die Aloe; die Mangrovefrucht; die Kokosnuß; den Flaschenkürbis; das Palmöl; dann die Tiere: den amerikanischen Hund; eine Kaninchenart, die Utia hieß; eine Art großer Mäuse, die bei den Eingeborenen für Leckerbissen galten; die Kammeidechse und viele Fische und Vögel. Wichtiger als alles aber das Gold; er legt vor die verzückten Augen des Hofes Gold in Körnern hin, Gold in Erzstufen, Goldstaub und verarbeitetes Gold; Münzen, Ringe, Platten, Masken, Gehänge. Es heißt, der König und die Königin geruhten eigenhändig die Schwere des Metalls zu prüfen und wurden nicht müde, den Worten des Admirals zu lauschen.
Nun bestätigte der König dem Columbus alle ihm vertraglich zugesicherten Rechte und zeichnete ihn außerdem noch in besonderer Weise aus. Es wurde ihm, seinen Söhnen und seinen Brüdern der Titel Don verliehen, den damals nur Adelige führen durften. Er hatte das Recht, an der Seite des Königs zu reiten. Er sollte an der königlichen Tafel gleich den übrigen Granden bedient und bei allen Feierlichkeiten in derselben Art begrüßt werden. Er erhielt ein Wappen, bestehend aus vier Feldern; die beiden oberen zeigten die Embleme von Kastilien und Leon, nämlich rechts ein goldenes Schloß auf rotem, links einen purpurnen Löwen auf weißem Grund; das untere Feld rechts trug eine Anzahl vergoldeter Inseln in Meereswogen, das zur Linken sollte das Wappen seiner Familie tragen; da es aber ein solches nicht gab, wurden fünf goldene Anker auf blauem Grund gesetzt. Dazu als Legende:
Por Castillo é por Leon Nuevo mundo dió Colon.
Es gibt keinen Brief, keine Mitteilung, keine Stimme, nicht die leiseste Andeutung darüber, wie sich Columbus in diesen Tagen der maßlosen Erfüllung innerlich oder äußerlich verhalten hat. Er gehörte zu jenen Menschen, die sich nur im Unglück und im Leiden verkündigen und von denen auch die andern schweigen, solange sie im vollen Licht stehen (oder nur in der Gnade). Doch es ist schwerlich anzunehmen, daß sein Geist jetzt auf einmal heiter und leicht geworden sei; solche Naturen werden dann um so mehr von dem Gewölk verdüstert, das ihr hypochondrisches Gemüt ohne greifbaren Anlaß erzeugt.
Liegt aber nicht in jedem Menschen das heimliche Wissen um sein Geschick, oder wenigstens um die Grundfarbe und Grundrichtung seines Lebens? Bei aller leidenschaftlichen Insichgewendetheit mußte Columbus merken, welche tückischen Mächte er durch seinen Triumph aufrührte. Vorläufig war der Glanz, der von der Entdeckung ausging, so groß, daß er auch den Neid und den Haß verstummen machte, ganz Europa geriet in unbeschreiblichen Taumel, das Bewährte wankte, tausendjährige Grenzen waren aufgehoben, Armut schien kein unbesiegliches Los mehr, es gab Raum, es gab Wege, es gab neue Erfüllungen, der Name Columbus wurde dem Bettler in Dänemark so geläufig wie dem Leibeigenen in Rußland und der Dirne in Rom, jedoch derselbe Mann hatte das Gefühl als zerstäube ihn seine Tat, als mache sie ihn wesenlos, und wenn sich Verleumdung und Eifersucht hinter ihm erhoben, trafen sie ihn zunächst gar nicht, weil die Tat zu gewaltig war, als daß sie mehr als ein Schattenbild von ihrem Urheber übriggelassen hatte.
Neuntes Kapitel.
Die mörderische Wirklichkeit
Dynastischer Streit: die Krone Portugal fand sich benachteiligt und reklamierte ihre Rechte. Durch drei päpstliche Bullen aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts war ihr der alleinige Eigentumstitel über alles Land von Kap Bojado bis nach Indien zugesprochen worden. Eine Schenkung. Rom, wenn es vorher genügend entschädigt war, verschenkte Bischofssitze, Throne, Provinzen, Erdteile und ewige Straflosigkeit. Die Macht der Kirche war im geistigen Bezirk unbegrenzt, im physischen besiegte sie alle Widerstände durch ihre geschlossene Disziplin, ihren unerschöpflichen Reichtum und die Überlegenheit ihrer Unterhändler.
König Joan erklärte, die Entdeckung und Besitzergreifung des Columbus schmälere die ihm garantierten Befugnisse, und als er vernahm, Spanien rüste eine zweite Flotte aus, säumte er nicht, so rasch wie möglich dasselbe zu tun, um den Rivalen nötigenfalls mit Gewalt an weiteren Expeditionen nach dem Westen zu verhindern. Spanien wiederum hatte sich beeilt, den Papst, Alexander den Sechsten, seinem Vorhaben geneigt zu machen und sich mit den entdeckten Ländern belehnen zu lassen. An saftigen Bestechungsgeldern wird es nicht gefehlt haben; von den indischen Goldkörnern, die der Vatikan erhielt, wurden die Gesimse von Santa Maria Maggiore vergoldet, wie eine Inschrift dort bezeugt. Am 3. Mai 1493 erging eine Bulle, worin der heilige Vater der Krone Spanien die neue Welt zu »ewigen Besitz schenkte«, mit der Bedingung, allsogleich mit der Verbreitung des christlichen Glaubens zu beginnen. Der Erdapfel wurde durch eine Meridianlinie, die hundert Leguas westlich von den Azoren vom Nordpol zum Südpol lief, in zwei Hälften geteilt, deren östliche Portugal, deren westliche Spanien zu eigen sein sollte.
Einfaches Verfahren. Aber man hatte keine wissenschaftlich verläßlichen Mittel, die Meridianabstände zu bestimmen; der Chronometer, der es ermöglicht hätte, wurde erst zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts erfunden. Portugal war unzufrieden. Es forderte, Spanien dürfe über die Canaren hinaus nicht nach Süden gehen, womit es das ganze Gebiet der heißen Zone für sich zu monopolisieren drohte. Spanien, das im Augenblick keinen Krieg führte und nach günstigen Verträgen mit Frankreich die Hände frei hatte, ließ sich nicht einschüchtern, sein Gegner wich Schritt für Schritt zurück, und nach endlosem Gefeilsche, teils mündlich, teils in wortreichen diplomatischen Noten, kam es im Juni 1494 zum Vertrag von Tordesillas, der die westlichste Insel der Capverden zum Ausgangspunkt der Zählung nahm und die Demarkationslinie nicht hundert, sondern dreihundertsiebzig Leguas (etwa 2200 Kilometer) von da aus zog. Astronomen und Piloten sollten gemeinschaftlich die Grenze bestimmen, aber dazu kam es nicht, die Aufgabe war mit den damaligen Mitteln undurchführbar, und so blieb alles in der Schwebe. Es konnte passieren, daß die Entdecker bei der Fortsetzung ihrer Fahrten nach Westen und Osten in den Meeren der Antipoden zusammenstießen und über Gebiete, die dem einen oder dem anderen Vertragspartner gehörten, in erbitterten Hader gerieten. Was später auch geschehen ist, als Karl der Fünfte in seinem unersättlichen Geldbedürfnis sich abermals mit Portugal einigen mußte und ihm für dreihundertfünfzigtausend Dukaten die Molukken verpfändete. Die Könige und großen Herren betrachteten die Erde als ihr Fideikommiß und die Menschen als Ware, mit der man einträglichen Handel betreiben konnte.
Um die zweite Expedition zu ermöglichen, nahm die Krone Kastilien beim Herzog von Medina-Sidonia eine Anleihe von fünf Millionen