Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
und lästiges Volk an seine Fersen, Abenteurer, Deserteure, Schiffbrüchige, Unzufriedene aus allen Ständen, ruinierte kleine Hidalgos, entlaufene Mönche, gewerbsmäßige Schmarotzer, Leute, die ihm schmeicheln, das Gefühl der Zurücksetzung und der Auserwähltheit in ihm nähren und steigern, während sie sich insgeheim über ihn lustig machen und als Gesamtheit etwas Ähnliches vorstellen, was zweihundert Jahre später individuenhaft und typenbildend in der Sancho-Pansa-Figur gloriose Gestaltung gefunden hat. Eine bestimmte Lebensbewegung erzeugt unter allen Umständen die nämliche Gruppierung von Charakteren, die nämlichen Anziehungen und Geisteslagen, und manchmal verschweißt sie sie zu einer einzigen Person. Daß die Geschichte davon so wenig zu melden hat, beweist nur, wie dumm und unoriginell sie ist und mit was für einem großlöcherigen Sieb sie eine feine Materie aufzufangen sucht.
In diese Jahre fällt die Liebesbeziehung mit einer armen Adeligen in Cordova, Beatriz Henriquez, Schwester des Pedro de Arano, den er später zum Befehlshaber der Besatzung in Española ernannte. Wie es heißt, war sie schön und hatte eine schwärmerische Teilnahme für den um mindestens dreißig Jahre älteren Mann gefaßt. Er muß ihr viel an Aufmunterung und Obsorge zu verdanken gehabt haben, in einer Periode schwerster Verdüsterung mag sie das einzige Herz gewesen sein, das er wirklich besaß, denn noch in seinem Testament empfiehlt er seinen Erben dringend, sich ihrer anzunehmen, als einer Person, gegen die er hohe Pflichten habe. »Was ich hierfür tue«, sagt er, »geschieht, um mein Gewissen zu erleichtern, denn es lastet auf meiner Seele. Es ist nicht zulässig, hier den Grund davon zu nennen.«
Warum? Weil der Bund nicht von der Kirche sanktioniert war? Es scheint so. Seine Anschauungen in diesen Dingen wurden mit den Jahren immer strenger, errungene Würde beherrschte ihn, und obschon sich hinter seinen Worten noch ein Geheimnis verbergen kann, Gewissenslast bestand durch die Illegitimität allein, und er war ganz der Mann, dem die Last zur Qual wurde. Alle katholischen Schriftsteller haben sich daher bemüht, die sittliche Verfehlung mit Schweigen zu bedecken oder das Verhältnis in ein gesetzliches umzulügen.
Die Frucht dieser Liaison war ein Sohn, Hernando, derselbe, der in einem vielfach angezweifelten Werk voller falscher Angaben und pittoresker Entstellungen das Leben seines Vaters beschrieben hat. Das Buch ist wie eine schlechte Übermalung, die das darunter befindliche Bild für immer zerstört hat.
Vermutlich haben Schwierigkeiten, die mit der unehelichen Geburt des Kindes zusammenhingen, Columbus wünschen lassen, nach Portugal zu reisen. Es müssen dort noch unerledigte Geschäfte zu ordnen oder wichtige Papiere zu besorgen gewesen sein, vielleicht war er auch des tückischen Hinhaltens müde und wollte in seiner Trostlosigkeit Spanien entweder wirklich verlassen oder mit dem Entschluß hierzu einen Druck ausüben. Er richtete ein Gesuch an den König Joan und bat um die Erlaubnis, auf einige Zeit unbehelligt in sein Land kommen zu dürfen. Damit liegt am Tage, daß seine vormalige Flucht keine freiwillige Entscheidung gewesen war. Der König, der natürlich wußte, daß der Bittsteller in Diensten der spanischen Hoheiten stand und nun bedauerte, daß er selbst diese Dienste verschmäht hatte, antwortete, er solle unbesorgt reisen; das Schreiben schloß: »Und weil Ihr zufällig von meinen Behörden wegen gewisser Vorfälle, in die Ihr verwickelt wart, bedroht seid, so sichern wir Euch durch diesen Brief zu, daß Ihr weder gefangengenommen, angeklagt, vorgefordert, noch überhaupt befragt werden sollt wegen irgendeiner Angelegenheit, sei es Zivil-oder Kriminalsache oder was sonst.«
Ob er die Reise unternommen hat, weiß man nicht. Er scheint nur Vorbereitungen getroffen und dann seine Freunde in La Rabida aufgesucht zu haben, ebenso niedergedrückt, ebenso hoffnungslos wie bei seinem ersten Aufenthalt vor fünf oder sechs Jahren. Von ihm selbst oder von seinen Anhängern wurde das Gerücht verbreitet, er wolle Spanien gänzlich den Rücken kehren und sein Glück in Frankreich und England versuchen; erschreckt durch diese Botschaft, schickte ihm die Königin ihre Bevollmächtigten nach, um die Unterhandlungen wieder anzuknüpfen. Sie hegte einen seltsam ahnungsvollen Glauben an ihn; seit sie von seinem Gelübde erfahren hatte, das Gold Indiens für die Eroberung des Heiligen Grabes zu verwenden, hatte sich diesem Gefühl eine Art frommer Dankbarkeit gesellt. Ein beweglicher Brief des Fray Juan Perez, dem sie unbedingtes Vertrauen schenkte, ließ ihr als Pflicht erscheinen, was bisher vielleicht nur Gedankenspiel gewesen war.
Sie ruft also Columbus zu sich. Sie sendet zwanzigtausend Maravedis in Guldenstücken für die Reise und Instandsetzung seiner Garderobe. Er ist in Palos bei dem Arzt Garcia Hernandez, es hat ihn in die Hafenstadt getrieben, er will das Meer sehen, es ist ihm zumute, als sei der Ozean nicht mehr da. Man händigt ihm Brief und Geld aus. Es wird für ein wohlgezäumtes Roß, anständige Diener und seidene Gewänder gesorgt. Er reitet nach Santa Fé, in der Vega von Granada, wo das Hoflager ist.
Aber was hat ihm die Königin zu sagen? Nichts. Soviel wie nichts. Er möge sich noch gedulden. Granada ist vor dem Fall, die Ungläubigen haben sich in der Alhambra eingeschlossen, jede Stunde kann die Entscheidung bringen. Man schreibt Dezember 1491. Geduld? Er hat die letzten Reste davon verbraucht. Der Hunger zwingt den maurischen König Mohamed Boabdil zur Übergabe von Stadt und Festung. Damit ist ganz Spanien von den Sarazenen befreit, achthundert Jahre nach der Eroberung. Großer Jubel im spanischen Lager, Siegesfeste, Dankgottesdienste. Darf der unglückliche Supplikant jetzt endlich Hoffnung schöpfen? Wird man ihn hören? Wird man ihm glauben? Trübsinnig und fast mit Haß blickt er auf die allgemeinen Lustbarkeiten, zuviel von seiner Lebenskraft ist aufgezehrt, der Körper ist morsch, der Geist hat die Biegsamkeit eingebüßt, die Seele ist erfroren. Er erscheint vor dem königlichen Paar, um seine Glückwünsche darzubringen, man bemerkt ihn, die Königin würdigt ihn gnädiger Anrede, sie verspricht ihm, daß eine Kommission eingesetzt werden soll, um bestimmte Abmachungen mit ihm zu treffen. Sie hält Wort. Zum Haupt der Kommission wird Talavera ernannt, der eben Erzbischof von Granada geworden ist. Er hat nicht viel übrig für die überspannten Ideen dieses Cristobal Colón und noch weniger für ihn selbst. Doch die Königin wünscht, daß er mit ihm verhandle, und so befiehlt er ihn zu sich. Man wird ihm den kleinsten Teil des unumgänglich Nötigen bewilligen, damit ist die Sache abgetan, und der aufdringliche Graukopf mag zeigen, ob seine Verheißungen was anderes sind als eitel Dunst. Schön; was geschieht aber zum unermeßlichen Erstaunen des Kirchenfürsten? Der hergelaufene Fremdling und projekteschmiedende Hungerleider, der von Almosen des Hofs und einiger Granden lebt und mit seinen ungereimten Anerbietungen jahrelang die Langmut der Majestäten mißbraucht hat, schlägt auf einmal, kaum daß er der durch ihren Sieg über die Ungläubigen froh gestimmten Regentin die erste Gewährung abgelistet hat, einen Ton an, der alles überbietet, was man je an frecher Anmaßung gehört hat, so daß man noch milde verfährt, wenn man die Verhandlungen wortlos abbricht und dem unverschämten Narren die Tür weist.
Laßt uns sehen. Columbus hat also seine Forderungen gestellt. Er ist durchaus nicht geneigt, sich mit dem zu begnügen, was ihm die Monarchin freundlich bietet, einige Schiffe, eine angemessene Geldunterstützung, ihren gnädigen Schutz und Schirm, sondern gibt seinerseits die Bedingungen bekannt, unter denen er die Reise antreten will. Und wahrhaftig, es ist nichts Geringes, was er verlangt. Es ist sogar, im ganzen und im Hinblick auf seine Situation betrachtet, etwas derartig Unfaßliches, daß die nüchtern rechnenden Leute am spanischen Hofe sich wirklich fragen müssen, ob der gute Mann nicht einfach den Verstand verloren hat. Folgendes ist es, was er fordert: Das Amt des Vizekönigs und Generalgouverneurs über alle Inseln und Festländer, die er entdecken und für Spanien in Besitz nehmen wird; Erhebung zum Admiral des Weltmeers; ein Zehntel von allen Reichtümern: Perlen, Diamanten, Gold, Silber, Gewürzen, Früchten und Produkten irgendwelcher Art, die in den seiner Verwaltung unterstellten Gebieten gefunden und nach Spanien sollen ausgeführt werden; das Eigentumsrecht auf ein Achtel der zu entdeckenden und zu erobernden Länder sowie aller daraus gezogenen Einkünfte, wogegen er seinerseits ein Achtel der Ausrüstungskosten zu tragen sich erbot (am Rande: er besaß ja keinen roten Heller, wahrscheinlich hatte ihm die wohlhabende Familie Pinzon bereits damals eine Kapitalsbeteiligung in Form eines Schiffes zugesagt); schließlich: Vererbung aller dieser Rechte, Titel und Würden auf seine Nachkommen, vom Erstgeborenen zum Erstgeborenen.
Überraschende Manifestation. Sie legt die Frage nach der innersten Beschaffenheit dieses geheimnisvollen Menschenwesens nah.
Fünftes Kapitel.
Letzte Hindernisse