Ausgewählte Wildwestromane von James Fenimore Cooper. James Fenimore Cooper
sie in finsterem Unmuth, als aufmerksame, für jetzt noch unthätige Beobachter der sich bewegenden Menge mitwanderten. Der Vortrab, von Heyward angeführt, hatte bereits das Defilé erreicht und verschwand allmälig, als Cora’s Aufmerksamkeit sich durch ein lautes Gezänk auf einen Trupp von Nachzüglern richtete. Ein Soldat von den Provinzialen büßte seinen Ungehorsam, indem er eben der Effekten beraubt wurde, die ihn vermocht hatten, seinen Platz in den Reihen zu verlassen. Der Mann war von starkem Körperbau und zu eigennützig, um sich seine Habe ohne Widerstand entreißen zu lassen. Von beiden Seiten mischte man sich in den Streit, die Einen, den Raub zu verhindern, die Andern, um ihn zu unterstützen. Die Stimmen wurden immer lauter und ungestümer, und Hunderte von Wilden erschienen wie mit einem Zauberschlag, wo man vor einem Augenblick kaum ein Duzend zählen konnte. Jetzt erblickte Cora die Gestalt Magua’s, unter seinen Landsleuten umherschleichend, mit seiner arglistigen und verderblichen Beredsamkeit zu ihnen redend. Die Masse der Weiber und Kinder blieb stehen und drängte sich gleich einer verscheuchten, hin-und herflatternden Taubenschaar an einander. Doch die Raubsucht des Indianers war bald befriedigt und der Zug ging wieder langsam vorwärts.
Die Wilden zogen sich jetzt zurück, und schienen ihre Feinde ohne fernere Störung weiter ziehen lassen zu wollen. Als aber der Weiberhaufen herannahte, zog die bunte Farbe eines Shawls die Augen eines wilden und unbewachten Huronen auf sich. Er kam herbei, um sich desselben ohne Weiteres zu bemächtigen. Die Frau hüllte, mehr aus Schrecken, denn aus Liebe zu dem Kleidungsstück, ihr Kind in den gefährdeten Schmuck und drückte beide fester an ihre Brust. Cora wollte eben sprechen und dem Weibe rathen, die Kleinigkeit dem Wilden zu überlassen, als dieser den Shawl fahren ließ und das schreiende Kind aus ihren Armen riß. Alles den gierigen Griffen der Wilden um sie her überlassend, stürzte die Mutter verzweiflungsvoll auf ihn, um ihr Kind zurückzufordern. Der Indianer lächelte grimmig und reckte eine Hand aus, seine Bereitwilligkeit zu einem Tausche anzudeuten, während er mit der andern das Kind an den Füßen um den Kopf schwang, als wollte er dadurch das Lösegeld steigern. »Hier – hier – da – Alles – Alles!« rief die unglückliche Mutter mit zitternden, ungeschickten Fingern die leichtern Kleidungsstücke sich vom Leibe reißend, »nimm Alles, nur gib mir mein Kind wieder!«
Der Wilde verschmähte die werthlosen Lappen und sobald er gewahrte, daß der Shawl bereits die Beute eines Andern geworden war, ging sein spöttisches, aber tückisches Lächeln in einen Ausdruck der Wuth über; er zerschmetterte dem Kinde den Kopf an einem Felsen und warf die noch zuckenden Glieder der Mutter vor die Füße. Einen Augenblick stand die Arme regungslos, ein Bild der Verzweiflung da und blickte wild auf das entstellte Wesen, das sich erst noch an ihren Busen geschmiegt und ihr zugelächelt hatte; dann erhob sie Augen und Gesicht gen Himmel, als flehte sie Gott an, den ruchlosen Verbrecher zu verderben. Die Sünde eines solchen Gebetes blieb ihr erspart; wüthend über die getäuschte Hoffnung, und durch den Anblick des Blutes aufgeregt, spaltete ihr der Hurone mit seinem Tomahawk den Schädel. Die Mutter sank unter dem Streich und stürzte zu Boden, nach ihrem Kinde mit derselben überwältigenden Liebe greifend, mit der sie es im Leben umfaßt hatte.
In diesem gefahrvollen Augenblick brachte Magua beide Hände an den Mund und ließ das verhängnißvolle, furchtbare Kriegsgeschrei ertönen. Die zerstreuten Indianer fuhren bei dem wohlbekannten Rufe auf, wie Rosse, ungeduldig, die Schranken des Ziels zu durchbrechen, und plötzlich erscholl durch die Ebene und die Baumgewölbe des Waldes ein so schreckliches Geheul, wie es selten aus Menschenlippen vernommen ward. Denen, welche es hörten, gerann das Herzblut in einem Entsetzen, wohl nicht viel geringer, als wenn die Posaune des jüngsten Tags ertönt hätte.
Mehr als zweitausend Wilde brachen auf dieses Signal wüthend aus dem Walde und zogen mit instinktmäßiger Eile auf die verhängnißvolle Ebene. Wir verweilen nicht bei den empörenden Gräuelscenen, die jetzt erfolgten. Ueberall war der Tod, und zwar in seinen schrecklichsten, abscheulichsten Gestalten. Widerstand diente nur dazu, die Wuth der Mörder noch mehr zu entflammen. Sie führten noch ihre wüthenden Streiche, wenn ihre Opfer sie schon lange nicht mehr fühlen konnten. Die Ströme von Blut glichen den Wogen eines Gießbachs, und sein Anblick machte die Eingebornen so hitzig und wüthend, daß manche unter ihnen niederknieten, um unter höllischem Jauchzen die dunkelrothe Fluth auszutrinken.
Die regelmäßigen Truppen warfen sich schnell in gedrängte Massen zusammen, um den Angreifern durch eine geschlossene Schlachtordnung zu imponiren. Der Versuch gelang zum Theil, aber nur zu viele Soldaten ließen sich, in der eiteln Hoffnung, die Wilden zu beschwichtigen, die ungeladenen Flinten aus den Händen reißen.
Während einer solchen Scene vermochte niemand die vorübereilenden Augenblicke zu zählen. Zehn Minuten, für sie ebenso viele Jahrhunderte, mochten die Schwestern erstarrt vor Entsetzen und beinahe rettungslos gestanden seyn. Als der erste Streich gefallen war, hatten sich ihre Begleiterinnen laut kreischend um sie zusammengedrängt, jede Flucht verhindernd, und nun, da Furcht oder Tod die Meisten, wo nicht Alle, zerstreut hatte, sahen sie nirgend einen Ausweg, der nicht unter die Tomahawks der Feinde geführt hätte. Von allen Seiten hörte man Geschrei, Gestöhn, Ermahnungen und Flüche. In diesem Augenblick war es Alicen als erblickte sie die hohe Gestalt ihres Vaters unaufhaltsam über die Ebene in der Richtung des französischen Lagers dahin eilend. Er war allerdings, keine Gefahr achtend, auf dem Wege zu Montcalm, um die nur zu späte Begleitung, die er ausbedungen hatte, zu verlangen. Fünfzig blitzende Streitäxte, Speere mit Widerhaken drohten seinem Leben, aber selbst noch in ihrer Wuth achteten die Wilden seinen Rang und seine unerschütterliche Ruhe. Die verderblichen Waffen wichen der immer noch nervigen Hand des Veteranen, oder senkten sie sich, als hätte Keiner den Muth, den lange gedrohten Streich zu vollführen. Zum Glück suchte der rachesüchtige Magua sein Opfer gerade unter der Abtheilung, welche der Veteran so eben verlassen hatte.
»Vater! – Vater! – wir sind hier!« schrie Alice, als er in geringer Entfernung, wie es schien, ohne auf sie zu achten, an ihnen vorübereilte. »Komm zu uns, Vater, oder wir sterben!« Der Hülferuf ward wiederholt und in Worten und Tönen, die ein Felsenherz gerührt haben würden, aber er blieb unbeantwortet. Einmal Wohl schien der alte Mann wirklich die Töne vernommen zu haben, denn er hielt inne und horchte; aber Alice war besinnungslos zu Boden gesunken und Cora kniete ihr zur Seite, mit unermüdlicher Zärtlichkeit über der leblosen Gestalt weilend. Munro ging getäuscht und kopfschüttelnd weiter, nichts als die hohen Pflichten seiner Stellung im Auge.
»Lady,« sprach Gamut, der, so hülf-und nutzlos er auch war, nicht davon träumte, seine Schutzbefohlenen zu verlassen, »das ist ein Jubelfest der Teufel, und kein Ort, wo Christen verweilen können. Auf! laßt uns fliehen!«
»Geh,« sprach Cora, immer noch ihre besinnungslose Schwester anstarrend; »rette dich. Mir kannst du nichts mehr helfen!«
David begriff die Festigkeit ihres Entschlusses vermöge der einfachen, aber ausdrucksvollen Geberde, welche ihre Worte begleitete. Einen Augenblick schaute er noch auf die dunkeln Gestalten, welche rings um ihn her ihr Höllenwerk vollbrachten, und seine hagere Gestalt ward noch höher, während seine Brust sich hob, jeder seiner Züge schwoll und die Gewalt der Gefühle, die ihn beherrschten, hervorströmen zu wollen schien.
»Wenn der jüdische Hirtenknabe durch den Klang seiner Harfe und die Worte heiligen Gesanges Saul’s bösen Geist bezwingen konnte, so wird es nicht am unrechten Orte seyn,« sprach er, »wenn ich hier die Macht der heiligen Musik versuche.« Seine Stimme zur höchsten Höhe erhebend, begann er einen so mächtigen Gesang, daß er selbst in dem Getümmel des blutigen Schlachtfeldes hörbar wurde. Einige Wilde stürzten eben heran, um die unbeschützten Schwestern ihres Schmucks zu berauben, und ihnen die Skalpe abzuziehen, als sie aber diese seltsame und unbewegliche Gestalt fest an ihre Stelle gefesselt erblickten, blieben sie horchend stehen. Ihr Staunen ging bald in Bewunderung über, und offen ihren Beifall über die Standhaftigkeit ausdrückend, womit der weiße Krieger sein Todtenlied sang, wandten sie sich ab, um andere, weniger muthige Schlachtopfer zu suchen. Erhoben und zugleich getäuscht durch diesen ersten Erfolg verdoppelte David seine Anstrengung, um die Kraft dieses, wie er glaubte, heiligen Einflusses zu erhöhen. Diese ungewohnten Laute drangen in das Ohr eines entfernten Wilden, welcher wüthend von Gruppe zu Gruppe eilte, gleich einem, der, den gemeinen Haufen anzurühren verschmähend, nach einem Opfer jagte, würdiger seines Rufes. Es war Magua, der einen Freudenschrei ausstieß, als er seine