Ausgewählte Wildwestromane von James Fenimore Cooper. James Fenimore Cooper
zu bringen. Er fuhr fort, während des Kampfes seinem Vaterlande in verschiedenen Zivilämtern Dienste zu leisten, denen er stets mit Eifer und Würde vorstand. Während er sich jedoch den ihm anvertrauten Obliegenheiten mit Aufopferung und Treue unterzog, schien er seinen eigenen Vorteil nie aus dem Gesicht zu verlieren; denn als vermöge der Konfiskationsakte die Güter der königlich Gesinnten zum Verkauf ausgeboten wurden, erschien er in Neuyork und kaufte sehr ausgedehnte Besitzungen zu verhältnismäßig sehr niedrigen Preisen.
Es ist wahr, daß Marmaduke durch den Ankauf von Gütern, die anderen gewaltsam entrissen worden waren, sich dem bitteren Tadel jener Sekte aussetzte, die ihre Kinder, wenn sie diese auch hin und wieder von der vollen Teilnahme an ihrem Familienverband ausschließt, doch nie gerne der Welt ganz abtreten zu wollen scheint. Doch kam dieser Makel seines Charakters – sei es infolge des glücklichen Ergebnisses seiner Spekulation, oder weil derartige Versündigungen allzu häufig wurden – bald wieder in Vergessenheit; obgleich es einige gab, die – mit ihrem eigenen Los unzufrieden oder im Gefühle ihres persönlichen Unwertes – gehässige Andeutungen über das plötzliche Reichwerden des armen Quäkers fallen ließen, so entschwanden diese doch frühzeitig in Anerkennung seiner geleisteten Dienste, vielleicht auch, weil er jetzt für reich galt, wieder aus dem Gedächtnis der Menschen.
Ais nach Beendigung des Krieges die Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten anerkannt war, richtete Temple wegen des schwankenden und unsicheren Zustandes im Handelsverkehr seine Aufmerksamkeit auf die Urbarmachung der von ihm gekauften Landstriche. Seine Geldmittel und sein praktischer Blick ließen diese Unternehmung in einem Grade gedeihen, wie man es von dem bergigen Boden nie erwartet hatte. Der Wert seines Besitzes verzehnfachte sich, und er wurde bereits den reichsten und bedeutendsten Männern des Landes beigezählt. Die einzige Erbin dieser Reichtümer war die oben erwähnte Tochter, die der Vater aus der Schule geholt hatte, damit sie seinem Haushalt vorstehe und die Stelle der nur zu lange vermißten Gebieterin ersetze.
Als der Distrikt, in dem seine Besitzungen lagen, hinreichend bevölkert war, um als Bezirk anerkannt zu werden, wurde Herr Temple, dem in den neuen Ansiedlungen geltenden Brauch gemäß, zu dessen erstem Richter ernannt. Ein Londoner Rechtsgelehrter wird vielleicht hierüber lachen, aber ein solcher Beamter war einmal notwendig, und in Talenten und Erfahrung liegt an sich schon eine Würde, die unter allen Umständen den, welcher sich dieser Vorzüge erfreut, unterstützt. Marmaduke, der hinsichtlich der Klarheit des Verstandes höher begünstigt war als der Richter des Königs Karl, entschied nicht nur richtig, sondern wußte in der Regel auch seine Entscheidungen durch die triftigsten Gründe zu belegen. Überhaupt war es in jener Zeit eben nicht anders Landesbrauch, und der Richter Temple gehörte nicht nur zu den bedeutenderen Männern, die in den neuen Bezirken diese Würde bekleideten, sondern er wurde sogar einstimmig den Ersten derselben beigezählt, ein Vorzug, den zu verdienen er sich bewußt war.
Wir schließen übrigens hier diese kurze Einleitung in unsere Geschichte und die Charakterschilderung einiger Hauptpersonen, da es wohl besser ist, wenn wir sie von jetzt an für sich selbst sprechen und handeln lassen.
III
Was ringsum ist, hat die Natur geschaffen:
Die Felsen, hebend ihre moos’gen Häupter
Gleich Schlosseszinnen einer alten Zeit!
Die stolzen Stämme, deren breite Äste
Der Winterstürme Wut durchschüttert!
Das eis’ge Feld, das in der Sonne Strahl
Die Weiße einer Marmorbrust verspottet!
Doch wie der Jungfrau Ruf bekleckt die Schmähsucht
Also dies Bild des Menschen Ungeschmack.
Du
Es verging eine Weile, ehe Marmaduke Temple sich von seiner Bestürzung so weit erholt hatte, daß er seinen neuen Begleiter näher betrachten konnte. Jetzt aber bemerkte er, daß derselbe ein Jüngling von ungefähr zwei-oder dreiundzwanzig Jahren und etwas mehr als mittlerer Größe war. Weiter ließ sich durch den groben Mantel, welcher, gleich dem des alten Jägers, durch einen Gürtel von Wollzeug zusammengehalten wurde, nichts erkennen. Der Richter erhob seine Augen, nachdem sie einen Moment auf der ganzen Gestalt des jungen Mannes geruht hatten, prüfend zu dessen Antlitz, in dem sich, als der Fremde den Sleigh bestieg, ein Zug von Widerwillen ausgesprochen hatte, der nicht nur Elisabeths Aufmerksamkeit, sondern auch ihre geheime Neugierde nach der Ursache erregte. Am lebhaftesten erschien seine Verlegenheit, als er seinem alten Begleiter Verschwiegenheit einschärfte, und selbst nachdem er sich entschlossen, – oder vielmehr: sich hatte drängen lassen –, den Reisenden nach dem Dorf zu folgen, zeigte sich in seinen Blicken nicht gerade Selbstzufriedenheit über diesen Schritt. Doch wurden die Linien seines ungewöhnlich ansprechenden Gesichts allmählich ruhig, und jetzt saß er schweigend, in tiefes Nachsinnen versunken, da. Der Richter blickte ihn eine Weile ernst an und begann dann mit einem Lächeln, das wohl seiner Vergeßlichkeit gelten mochte:
»Ich glaube, mein junger Freund, daß der Schrecken mich Euern Namen vergessen ließ. – Euer Gesicht ist mir bekannt, aber ich kann mich Eures Namens nicht entsinnen, und wenn ich mir dadurch ein ganzes Schock Hirschschwänze auf die Mütze verdienen könnte.«
»Ich bin erst seit drei Wochen in dieser Gegend«, versetzte der Jüngling kalt, »und dem Vernehmen nach sind Sie wohl zweimal so lange abwesend gewesen.«
»Morgen werden’s fünf Wochen. Aber doch muß ich Euer Gesicht schon gesehen haben, obgleich es mich nach dem ausgestandenen Schrecken nicht wundernehmen würde, wenn Ihr mir heute nacht im Traume vorkämet und in Leintücher gehüllt an meinem Bett auf und ab spaziertet. Was sagst du, Beß? Bin ich compos mentis oder nicht? – Hältst du mich für geeignet, in einer großen Jury den Vorsitz zu führen oder – was im gegenwärtigen Augenblick noch dringlicher ist – diesen Abend die Weihnachtshonneurs in der Halle von Templeton zu machen?«
»Für beides weit geeigneter, lieber Vater«, erwiderte eine neckische Stimme aus der Umhüllung des Kapuzenmantels, »als einen Hirsch mit der Vogelflinte zu erlegen.«
Es folgte nun eine kleine Pause, nach welcher dieselbe Stimme, jedoch mit ganz verschiedenem Akzent, fortfuhr:
»Wir haben heute allen Grund, aus mehr als einer Rücksicht Gott dankbar zu sein.«
Die Pferde hatten bald eine Stelle erreicht, wo ihnen der Instinkt zu sagen schien, daß die Reise nun fast beendet war. Sie bissen daher in die Zügel, warfen die Köpfe in die Höhe, jagten mit dem Sleigh über den ebenen Grund auf der Höhe des Berges und gelangten rasch zu dem Punkt, wo der Weg zwar plötzlich, aber in weiten Windungen talabwärts führte.
Der Richter wurde aus seinen Betrachtungen geweckt, als er die vier Rauchsäulen gewahrte, die über seinen eigenen Schornsteinen aufstiegen. Er war kaum seines Landhauses im Tal ansichtig geworden, als er seiner Tochter freudig zurief:
»Sieh, Beß, dort ist dein Ruheplätzchen fürs ganze Leben – und auch das deinige, junger Mann, wenn du bei uns wohnen willst.«
Die Augen seiner Zuhörer begegneten sich unwillkürlich, und wenn das hohe Rot, das Elisabeths Antlitz umflog, im Widerspruch mit dem kalten Ausdruck ihrer Augen stand, so schien nicht minder das zweideutige Lächeln, das wieder um den Mund des Fremden spielte, die Wahrscheinlichkeit seiner Einwilligung, einen Teil des Familienkreises zu bilden, in Abrede zu stellen. Die Szene, welche sich vor dem Auge auftat, war übrigens großartig genug, um sogar ein weniger menschenfreundliches Herz als das des alten Marmaduke Temple zu erwärmen.
Die Seite des Berges, an der unsere Reisenden hinunterfuhren, war – wenn auch nicht gerade senkrecht – doch steil genug, um große Sorgfalt nötig zu machen, wenn man auf dem rauhen und engen Pfad, der sich an dem Absturz hinwand, nicht verunglücken sollte. Der Neger zügelte seine ungeduldigen Rosse, und Elisabeth erhielt dadurch Zeit, eine Landschaft näher zu betrachten, die sich unter den rührigen Händen der Menschen so