Die Beichte - Roland Benito-Krimi 4. Inger Gammelgaard Madsen

Die Beichte - Roland Benito-Krimi 4 - Inger Gammelgaard Madsen


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ich Litauisch könnte, hätte ich sie auch längst kontaktiert. Die sprechen leider keine andere Sprache.«

      »Wie wär’s damit, einen Dolmetscher zu organisieren und einen Familienbesuch zu machen?«

      »Einen Dolmetscher beauftragen und mit nach Litauen nehmen? Ich bin arbeitslos, Kamilla!«

      »Stimmt. Aber jetzt hast du doch eine Arbeit. Wann fängst du an?«

      »Morgen.«

      »Schon! Das wird etwas ganz anderes, als du es gewohnt bist. Mehr die harte körperliche Arbeit – aber vielleicht brauchst du das ja jetzt gerade.«

      Anne nickte.

      Tarzan huschte plötzlich durch die Katzenklappe in der Waschküche herein und warf geräuschvoll Annes Stiefel um. Vor Schreck hätte sie beinahe die Tasse fallen lassen. Der übergewichtige Kater huschte weiter in die Küche, zur Futterschüssel, als sei nichts passiert. Er hatte ein Talent dafür, den Unschuldigen zu spielen, wenn er etwas angestellt hatte.

      »Gott, wie Tarzan gewachsen ist«, rief Anne und fing an zu lachen.

      »Ja, ich glaube, er hat verschiedene Adressen, wo er frisst. Manchmal ist er mehrere Tage lang weg, kommt zurück und riecht nach fremdem Parfüm.«

      »Typisch Mann, die sind echt immer untreu.« Anne klang bitter und ihr Lächeln verschwand.

      »Glaubst du, Adomas hat eine andere?«

      »Wer weiß? Ich weiß ja nichts über ihn. Vielleicht war er in Litauen verheiratet …«

      »Weiß deine Mutter das nicht? Sie war doch diejenige, die euch miteinander bekanntgemacht hat?«

      »Ich habe meiner Mutter nicht erzählt, dass ich Adomas so kenne, daher traue ich mich nicht, zu viel zu fragen. Sie glaubt auch, dass er einfach zurück nach Litauen gefahren ist.«

      Tarzan hüpfte aufs Sofa, Anne streichelte ihm über das schwarze Fell, und er stimmte ein gemütliches Schnurren an. Die Katze legte sich in ihrer Lieblingsecke auf einem Kissen zurecht und begann zu dösen.

      »Zu Hause ist es doch am schönsten.« Anne lächelte. »Wenn die Männer nur auch so denken würden.«

      »Wie läuft es mit deiner Mutter?«

      Anne hörte auf, die Katze zu streicheln, und wischte sich die Hände an den Oberschenkeln ihrer Jeans ab, um die Katzenhaare loszuwerden. »Das war für mich schon ein Schock – sowohl, dass sie nach dreizehn Jahren, in denen ich nicht ein Wort von ihr gehört habe, plötzlich bei mir aufgetaucht ist, als auch herauszufinden, dass sie eine obdachlose Alkoholikerin ist. Hätte ich das gewusst, hätte ich sie natürlich nicht auf die Straße gesetzt. Aber ihr geht es den Umständen entsprechend gut. Sie wohnt bei mir, während sie auf eine Wohnung wartet.«

      Kamilla fragte nicht weiter, sie wusste, dass Anne genauso wenig über ihre Mutter sprechen wollte wie sie selbst über die ihre. Auch wenn Kamillas Mutter jetzt tot war, spukte sie weiterhin durch ihre Gedanken und ihr Leben, eigentlich noch mehr als zu Lebzeiten.

      »Vermisst du deine Mutter?« Anne schien ihre Gedanken zu lesen.

      »Nicht besonders. Wir hatten ja auch keinen Kontakt, daher …«

      »Trotzdem, es muss doch komisch sein, keinen von seinen Eltern mehr zu haben. Nach der Beerdigung bist du so still geworden, deswegen habe ich gedacht …«

      Kamilla stellte die Tasse ab. Plötzlich hatte sie Lust, Anne alles zu erzählen. So vertraut mit ihr zu sein, wie sie es früher einmal gewesen waren.

      »Das lag nicht daran, dass ich meine Mutter betrauert habe. Natürlich tut es mir leid, dass sie gestorben ist, versteh mich nicht falsch. Aber was mich völlig aus der Bahn geworfen hat, war ein Gespräch mit ihrer Schwester, meiner unbekannten Tante, die zur Beerdigung von Agger an der Nordsee herübergefahren war.«

      »Die Schwester deiner Mutter. Und die hast du wirklich nicht gekannt?«

      »Nein, meine Mutter hat nie etwas über die Familie an der Westküste erzählt. Sie ist ja als junge Frau von zu Hause abgehauen, weil sie nicht mit dieser strengen, von der Inneren Mission geprägten Erziehung leben konnte – das habe ich zumindest gedacht.«

      »Und es war gar nicht so?«

      Kamilla zog die Beine an und nahm ein Sofakissen in den Arm. Sie zerknautschte es. Plötzlich hatte sie keine Lust mehr, darüber zu reden, aber jetzt hatte sie schon einmal damit angefangen und Annes neugierige Journalistenaugen fixierten sie auffordernd.

      »Tante Astrid hat mir erzählt, dass es sich ganz anders verhalten hat. Meine Oma und mein Opa haben sie vielmehr aus dem Haus rausgeworfen. Meine Mutter war ein wenig rebellisch, wie meine Tante es ausgedrückt hat.«

      »Ja, das geht ja echt nicht!«

      In Annes Augen lag ein spöttischer Schimmer, und in Kamilla regten sich erneut Zweifel, ob sie weiterreden sollte.

      »Eines Abends ist meine Mutter zusammen mit einem Mann auf dem Boot meines Opas rausgesegelt. Der kleine Bruder meiner Mutter war mit dabei, er war sieben.« Sie merkte, dass sie zu schnell redete, und atmete tief ein. »Meine Mutter war unaufmerksam und passte nicht auf ihren Bruder auf. Der Mann war ihr Geliebter, und während die beiden … zusammen waren, ist der Junge über die Reling gefallen und ertrunken.«

      »Er ist ertrunken, während sie gebum…«

      »Die Nordsee hat ihn verschlungen, er wurde nie gefunden.«

      »Verdammt, Kamilla. Deshalb haben sie sie also rausgeworfen!«

      »Nee, eigentlich nicht. Unfälle durch Ertrinken sind in einem Fischerdorf an der Nordsee normal. Darauf ist man vorbereitet. Aber meine Mutter wurde schwanger, sie war sehr jung, und er war ein ganzes Stück älter …« Ihr fehlten die Worte und sie schaute Anne an. Hoffte, dass sie den Zusammenhang selbst erriet. Und das tat sie auch – fast.

      »Aber sie haben doch geheiratet. Ist dein Vater deiner Mutter gefolgt, als sie abgereist ist?«

      »Ja, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Der, von dem ich immer geglaubt habe, dass er mein Vater ist, war es gar nicht.«

      »Also hast du einen biologischen Vater, den du nun finden willst.«

      Kamilla kannte Annes Gesichtsausdruck, wenn sie eine gute Story witterte. »Ich habe ihn gefunden.«

      »Kamilla, das ist doch fantastisch!« Anne sah sie an und merkte, dass Kamilla nicht zurücklächelte. Der begeisterte Ausdruck verschwand. »Oder nicht? Wer ist es?«

      »Er heißt Mogens Arnskov Aagaard und ist Fischer in Bønnerup Strand. Er ist verheiratet und hat einen Sohn, Mathias, der ungefähr in Rasmus’ Alter ist. Sie sind sich so ähnlich.« Das Lächeln kam spontan, verschwand aber schnell wieder.

      »Du hast ihn – und deinen Halbbruder – also getroffen. Meine Güte! Ich bin also nicht die Einzige, die eine neue Familie gefunden hat. Aber was ist schiefgegangen?«

      »Am Anfang lief es gut, bis mein Vater herausgefunden hat, wer ich bin. Er will mich nicht sehen und es soll nicht herauskommen, dass ich seine Tochter bin. Seine Frau darf das nicht wissen.«

      »Warum nicht? Steht es um ihre Ehe so schlecht, dass eine alte Affäre sie zerstören würde?«

      »Keine Ahnung.«

      Anne kraulte die Katze hinter den Ohren. Auf ihrer Stirn erschien eine Falte – wie immer, wenn sie über ein Problem nachdachte und nach Lösungen suchte.

      »Irgendwas muss damals passiert sein. Etwas, von dem er nicht will, dass es herauskommt«, sagte sie schließlich.

      »Was meinst du damit, Anne?«

      »Was sollte es sonst sein? Irgendetwas ist passiert, was er um jeden Preis verbergen will. Du musst rausfinden, was es ist!«

      Kamilla warf das Kissen zur Seite und ging in die Küche, um neuen Kaffee zu kochen. Sie kannte niemanden, der das schwarze Gebräu so in


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