Die um Bismarck. Rudolf Stratz

Die um Bismarck - Rudolf Stratz


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Grosse Trommel. Wochenblatt für die Gesellschaft Berlins.‘

      Der kleine Doktor öffnete mit einem Drücker. Innen Stickluft in einem stockdunklen, winzigen Vorplatz. Trübes Tageslicht vom Hinterhof über einem muffigen Gewinkel von zwei, drei niederen Stuben. Zeitungen, Papiere, Briefe wie Kraut und Rüben auf den vermotteten Möbeln. Da, wo es an den verstaubten Fenstern noch am hellsten war, stand ein kummervoller, fad blonder, übernächtiger Herr und ordnete Stösse von Schriftstücken. Er trug in die Stirn gekämmte Lämmchenhaare und schmale österreichische Bartstreifen längs der Backen.

      „Da — nehmen’s Ihren Schmarr’n!“ schrie er weinerlich Cassube entgegen. „I mach’ net mehr mit! Net um a Müllion!“

      „Gestatten die Herren . . . Herr Ritter von Erchinger aus Wien — Herr von Oberkamp!“

      „Ich bin doch nicht ,von‘, Günther!“

      „Du kannst dich dreist als von mir nobilitiert betrachten! Ihr Nachfolger als Herausgeber der ,Grossen Trommel‘, mein lieber Erchinger! Einer der führenden Geister von Berlin! Ganz versierte Kraft! Glänzende Referenzen! Anders als Sie!“

      Der Österreicher schaute matt auf den Mecklenburger.

      „Wo haben’s denn den ausg’lassen!“ murmelte er weichlich und wehleidig. Dann schluckste er und bekam feuchte Augen.

      „Lasst’s mi aus! Dees wenn meine Mama wüsst’! I fahr’ nach Brünn zu meiner Mama! I helf’ ihr dort bei ihrer Tabaktrafik! Überhaupt: Mein Herr Vater war Major bei Esterhazy-Infanterie!“

      „. . . und Sie getrauen sich nicht mal mehr, die ,Grosse Trommel‘ herauszugeben!“ Cassube lächelte verächtlich.

      „Hier in Berlin ist’s ja verboten, mit dem Veloziped auf den Strassen umanand zu fahren. Aber am End’ von Berlin — gleich hinter dem Nollendorfplatz — da borg’ ich mir von meinem Freund dort sein Bycicle . .“ der Ritter von Erchinger fuhr geängstigt in seinen Mantel . . . „und radel’ bis Potsdam und steig’ dort erst in den Zug! Jesses Mariandjosef . . . Wann i bloss schon bei meiner Mama wär’. . . Plauschen’s net, Herr Doktor Wurmhuber! Servus! Servus!“

      „Nervenklaps! Verfolgungswahn! Nichts für Berlin! Ich bin froh, dass ich ihn los bin!“ Günther Cassube grinste geringschätzig hinterher, während draussen die Tür schlug. „Was, mein alter Lutz: da sind wir andere Zeitgenossen als solch ein Hosenkönig?“

      „Dabei unordentlich wie ein Zigeuner!“ Der kleine Doktor beugte sein Froschgesicht auf die Tischplatte und blies den Staub von den Stössen von Gerichtsschreiben, Rechnungen, Zuschriften von Rechtsanwälten. „Das wird dein Erstes sein, hier Ordnung zu schaffen . . .“

      „Ja — als was denn?“

      „Du hast’s doch vorhin schon gehört!“ Cassube schaute auf. „Als verantwortlicher Herausgeber der ,Grossen Trommel‘. Du hast doch hoffentlich schon einmal etwas von der ,Grossen Trommel‘ gehört?“

      „Nee! Sei nicht böse! Aber bis sich so was bei uns in Mecklenburg ’rumspricht . . .“

      „Die ,Grosse Trommel‘ ist das führende Gesellschaftsblatt Berlins!“ sprach Cassube leise und nachdrücklich. „Ihr Erscheinen ist jede Woche für Berlin ein Ereignis. Bismarck selber liest sie regelmässig mit gespannter Aufmerksamkeit. Ihr Herausgeber ist eine Macht . . .“

      „Und da soll ich . . .? Davon versteh’ ich ja nicht die Bohne!“

      „Was wir brauchen, ist einfach ein absolut anständiger Mensch, so wie ich selber einer bin!“ sagte Cassube ruhig und entschieden. „Weisse Weste, mein Sohn! Die hast du so wie ich! Du setzt einen ehrlichen, einen durch deinen Vater als Bismarck-Freund und Reichstagsabgeordneten weitbekannten Namen unter das Blatt . . . Bravo!“

      „Aber . . . .“

      „Das Material liefert dir durch mich ein Stamm bewährter Mitarbeiter aus den exklusivsten Kreisen der Berliner seinen Welt! Du klebst und schneidest nur die Druckvorlage für die Setzerei zusammen. Fixer Kerl wie du arbeitet sich im Nu ein . . .“

      „Ich bin wie vor’n Kopf gehauen . . .“

      „Nu — is das ’n edler Teil? Morgen erscheint die nächste Nummer der ,Grossen Trommel‘. Da bimmelst du schon, Lutz, dass den Berlinern die Ohren klingen! Nu noch der Turkel: Gerade morgen der zweiundzwanzigste März. Geburtstag unseres alten Wilhelm. Grosser Trubel! Mächtiger Strassenverkauf. Dein Name mit einem Schlag in aller Mund!“

      „Du . . . Günther . . .“

      „Na?“

      „Ihr gehört doch natürlich zu den Wohlgesinnten?“

      Ein niederschmetternder Blick von drüben.

      „Auf solche Fragen habe ich keine Antwort! Dann zieh’ dich lieber hinter deine Mecklenburger Misthaufen zurück.“

      „Cassube . . .“

      „Wurmhuber! Leute, die an Wurmhuber zweifeln, kann ich nicht brauchen!“

      „Ich bin ja schon beruhigt!“

      „Na — dann sei dir noch einmal verziehen! Also abgemacht!“ Es zuckte geschäftig auf dem Antlitz des kleinen Doktors. „Ich habe jetzt noch hier eine Anzahl Abgeordnete zu wichtigen Konferenzen zu empfangen! Suche du dir inzwischen hier irgendwo in der Nähe ’ne möblierte Budel Träume nicht, sondern höre zu!“

      „Ja.“

      „Und dann — ehe ich’s vergesse: Einen kleinen Gefallen kannst du mir noch tun!“

      „Ja.“

      „Ich würde den kleinen Gang selber besorgen — aber du siehst ja, wie überlaufen ich bin! Du nimmst dir ’ne Droschke und fährst in die Vossstrasse 180. Aber nicht gleich, sondern erst in ’ner Stunde. Vorher ist der Graf Lassbach noch nicht zu Hause! Wenn du bei ihm ’reintrittst, sagst du: Es ist heut sehr schönes Wetter, Herr Graf!‘ . . .“

      „Ja.“

      „Dann weiss er Bescheid. Dann gibt er dir eine kleine grüne, verschlossene Ledermappe! Es ist nichts Besonderes darin! Ein paar Steuerquittungen. Mietsvertrag und so.“

      „Und die Mappe bringe ich hierher?“

      „Ja! Oder halt! Wart mal! Hier ist noch diese wahnsinnige Unordnung. Da geht sie womöglich noch verloren! Weisst du was: Heb’ sie lieber vorläufig auf deiner Bude auf!“

      „Ja.“

      „Und dann trittst du hier an und meldest mir, dass alles in Ordnung ist!“ Günther Cassube schob den Schulkameraden an der Schulter zum Ausgang. „Nu fix los, mein Sohn!“

      6

      Allein geblieben, verzog der Dr. Cassube das Antlitz in einem Anfall schmerzlicher Heiterkeit. Er schüttelte sich in lautlosem Lachen. Er griff nach Filz und Flauschmantel und stieg geschäftig die schmierige Stiege hinab. Auf der Strasse brummelte er nach seiner Gewohnheit gedankenvoll durch die Zahnlücken vor sich hin und stiess dann plötzlich, als sei ihm etwas Besonderes eingefallen, einen schwachen, quäkenden Angstschrei aus wie ein getroffener Hase und setzte sich in Trab.

      „Na — auch wieder auf der Tour in Berlin, Herr Knöppke“, empfing ihn in einem dürftig möblierten Quartier der nahen Ziegelstrasse die ältliche, spillerige Stubenvermieterin.

      „Jede Woche ’n paar Tage! So’n Reiseonkel hat’s nicht leicht! Frau und drei Gören in Breslau!“ Cassube, der Zimmerherr, stand und wischte unruhig mit einem vielgeprüften Taschentuch über das verstaubte Löschblatt auf dem wackligen, kleinen Schreibtisch. „Hier in Berlin geht’s ja noch — bei den vielen Droschkenkutschern — mit dem Vertrieb von Wagenschmiere! Ich muss gleich meine heutigen Aufträge zusammenrechnen, Fräulein Fahlbusch — lassen Sie mich jetzt um Gottes willen allein!“

      Der möblierte Herr verriegelte hinter seiner Wirtin die Tür. Er rannte


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