Kinder der Zeit. Rudolf Stratz

Kinder der Zeit - Rudolf Stratz


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beim Stenographieren infam still vor sich hingelächelt und mich ganz aus dem Konzept gebracht . . . Lieber ein Kübel kaltes Wasser über den Kopf als dieser ironische Gedankenmord bei einem nervösen Menschen wie mir!“

      „Ich will nichts gegen Ihre verflossene Kraft sagen.“ Das hübsche Fräulein Zwicknagel schüttelte ergriffen den ondulierten braunen Kopf. ,,Aber es jibt Menschen — das sind manchmal zu komische Leute!“

      „Ich bin Idealist! Ich verlange Idealismus!“

      „Hab’ ich. Für drei, Herr Doktor — und ’s bleibt noch ’n Rest!“

      „Sinn für die Not und Grösse der Zeit! Ein warmes Herz! Liebe zu den Menschen! Wer das nicht hat, der soll es bei mir lernen!“

      „Da soll man doch froh sein,“ sagte Fräulein Zwicknagel andächtig und mit braun glänzenden Augen, „dass man bei einem so edelgesinnten Mann wie Herrn Doktor mal was anderes hört wie die ollen Schiebungen!“

      ,,Nicht wahr? Wir müssen ’raus aus dem Sumpf!“

      „Unsereins weiss das ja nicht so! Das sagt einem ja niemand!“ Das Gesichtchen der hübschen kleinen Berlinerin leuchtete in heiligem Eifer. „Rings um einen reden sie nur vom Jeschäft. Immer nur, dass einer den anderen neppt. Und dann erzählen sie die neuesten Witze von der Börse, und dann poussieren sie! Bildung — die kann man da lange suchen! Es wird einem oft ganz weh zumut. Man möchte doch mal höher hinauf!“

      „Empor!“ sagte Gotthold Bartuschke. Er stand ernst mit gekreuzten Armen und sprach zu Fräulein Zwicknagel vertrauensvoll wie zu einem alten Freund. „Das steckt in jedem Menschen! Das muss man erwecken! Jetzt ist es wach! Will nur geführt sein! Den rechten Weg!“

      „Wird Herr Doktor schon machen!“

      „Wenn es nur glückt, Kind . . . wenn es nur glückt!“

      „Herrn Doktor schon! Herr Doktor sind ja so angesehen . . . so berühmt . . .“

      „Wirklich?“ fragte Gotthold Bartuschke lebhaft und freudig überrascht. „Bei wem denn so ungefähr? . . . Können Sie mir das sagen?“

      „Überall wo man so hinkommt! Von dem Herrn Doktor spricht jeder mit unjekünstelter Hochachtung!“

      „Das freut mich, zu hören!“

      „Ich habe doch Herrn Doktor gleich jekannt, wie ich nur den Namen hörte! Unjelogen! Das kann Ihr Herr Bruder bezeugen!“

      „Freilich! Freilich! Und das ist ja der schönste Lohn . . .“ Gotthold Bartuschke ging bewegt durch das Zimmer. Draussen hämmerten wieder fern die Schüsse.

      „Überall ist Unrecht!“ murmelte er, auf und ab schreitend, halb zu sich, halb zu Fräulein Zwicknagel, die mäuschenstill, in gespannter Aufmerksamkeit, dasass. „Die Menschen von heute sind krank . . . durch gegenseitige Lieblosigkeit . . . Die Welt entsteht aus Liebe . . . Die Welt besteht durch Liebe . . . Sie erhält sich nur durch Liebe . . . Was kripeln Sie denn da heimlich?“ herrschte er erbittert das Fräulein im Sessel an. „Was machen Sie denn da für eine seelenlose Nebenbeschäftigung, während ich . . .? Fangen Sie auch schon an wie das Fräulein Kandel?“

      Die Kleine hob diensteifrig den Kopf.

      „Ich hab’ mir nur mitstenographiert, was Herr Doktor eben so schön und edel von der Liebe und der Lieblosigkeit sagten. Solche Worte dürfen doch nicht verlorenjehn! Das wäre Sünd’ und Schande!“

      „Meinen Sie, Fräulein Zwicknagel?“

      „Herr Doktor sehen mich janz erjriffen!“

      „So . . . so . . .“, sprach Gotthold Bartuschke verwirrt.

      „Nee — war das schön!“ Fräulein Zwicknagel richtete die kecken Berliner Augen seelenvoll zur Decke und fügte als praktisches Kind vom grünen Strand der Spree hinzu: „Wenn Herr Doktor so mit’s Gefühl anfangen, dann kriegen Sie bei der Wahl alle Frauenstimmen jlatt wie Öl. Uns muss man doch am Jefühlszipfel packen — nich? Können Sie jrossartig, Herr Bartuschke!“

      Dr. Bartuschke ging erheitert und erfrischt durch das Zimmer. Ihm war siegessicher zumut. Er rieb sich laut lachend die Hände und nickte vor sich hin.

      „Sie können recht haben!“ sagte er befriedigt. „Improvisationen sind oft das Beste!“

      „Bei Herrn Doktor — das is wie in der Kirche! Herr Doktor spricht so wunderbar aus, was wir anderen uns so ungeschickt denken!“

      „Endlich mal ein vernünftiger Mensch . . . den ich da in Ihnen kriege . . .“ Gotthold Bartuschke sah geschmeichelt in das bildhübsche, eifrige Mädchengesicht. „Ich bin meinem Bruder August wirklich dankbar, dass er Sie mir . . . Die Gehaltsverhältnisse regeln wir noch . . .“

      „Bin ich unbesorgt, Herr Doktor!“

      „Sie stehen sich jedenfalls bei mir bedeutend besser als jetzt. Aber Sie müssen bald kommen, Fräulein Zwicknagel — sobald wie nur irgend möglich . . .“

      „Wann befehlen Herr Doktor, dass ich morgen früh antreten soll? Um neun oder zehn?“

      „Ja, können Sie denn so mir nichts, dir nichts aus Ihrer bisherigen Stellung . . .?“

      „Wo doch der Sarg mit Troddeln schon vor der Tür steht? Ich lasse die Hydrag glatt schwimmen! Man muss nicht zu gemütvoll sein!“

      „Nun . . . Wenn Sie meinen . . .“

      „Mein Dezernatschef dort . . . na . . . Tinnef. Der faule Kopp kann mir überhaupt was husten! Nein — bei dem Betrieb, das ist die wahre Liebe nicht! Hier, bei Herrn Doktor, werde ich erst zeigen, was ich kann. Selbsttätig. Pünktlich. Zuverlässig. Und treu wie Jold!“

      Alwine Zwicknagel stand nett und flott in ihrer neckisch lächelnden Weiblichkeit vor Dr. Bartuschke und reichte ihm zutraulich die kleine Hand zum Abschied.

      „Nu will ich Herrn Doktor aber nicht weiter stören! Also denn auf morgen . . .“

      „. . . Um neun — wenn ich bitten darf, Fräulein Zwicknagel! Schon um neun! Ich hoffe, wir werden noch recht gute Freunde werden . . .“

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