Dr. Norden Extra Staffel 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
mein Selbstwertgefühl tun. Ich muß noch besser kämpfen lernen. Es bringt nichts, wenn ich mich jede Nacht in den Schlaf weine. Übrigens habe ich hier zum ersten Mal wieder richtig geschlafen. Glauben Sie an Träume?«
»Man kann manchen Träumen schon eine gewisse Bedeutung geben«, sagte Fee.
»Dann gibt mir mein Traum Hoffnung. Ich träumte nämlich, daß ein Mann mir Laura brachte, ein fremder Mann, aber ich hielt mein Kind in den Armen.«
Wenn es nicht nur ein Wunschtraum war, dachte Fee.
»Und was war das für ein Mann?« fragte sie.
»Es war nicht Victor, wenn Sie das denken. Ich habe diesen Mann ganz deutlich gesehen, und Sie werden es sicher nicht für möglich halten, aber ich meinte ihn auch vorhin in der Hotelhalle zu sehen. Es klingt natürlich unwahrscheinlich, aber zumindest sah er dem Mann aus meinem Traum sehr ähnlich.«
»Sie haben ihn vorher nicht gesehen?« fragte Daniel.
»Nein, erst als ich aus dem Lift stieg. Er stand an der Rezeption, als Sie kamen, um mich abzuholen. Ich war völlig verwirrt.«
Fee und Daniel dachten das gleiche, nämlich, daß Jessica zwischen Traum und Tag lebte. Aber einen Vorwurf konnte man ihr nach allem, was sie erlebt hatte, daraus nicht machen. Und schon gar nicht wollten sie ihr die Hoffnung zerstören, ihr Kind wiederzusehen.
Sie versprachen ihr, sich mit ein paar Leuten, die gute Beziehungen hatten, in Verbindung zu setzen.
»Man müßte eine Brücke nach Amerika schlagen, um ständige Kontakte halten zu können«, sagte Daniel nachdenklich. »Welcher Arzt hat Sie behandelt, Jessica?«
»Dr. Hatkins. Er hat mir auch geholfen, daß ich nicht länger in dem Sanatorium bleiben mußte. Er war sicher korrekt, aber ob er mir wirklich alles geglaubt hat?«
»Haben Sie Unterlagen?«
»Ich habe alles mitgebracht, was ich im Besitz habe«, nickte Jessica. »Auch Fotos von Laura.«
Sie nahm alles aus ihrer Aktentasche. Fee zog es das Herz zusammen, als sie das süße Kindergesicht sah. Auch zwei Fotos von Victor hatte Jessica mitgebracht. Und dann einige Dokumente, deren Inhalt Fee frösteln ließ, da man Jessica zur unzuverlässigen, krankhaft eifersüchtigen Mutter stempeln wollte. Die Formulierungen waren teilweise beleidigend. Die Gutachten der Ärzte behielt Daniel. Sie sagten nichts aus, was ihr vor Gericht hätte schaden können.
»Ist es Ihnen recht, wenn ich mich mit den Kollegen in Verbindung setze?« fragte Daniel.
»Wenn Sie sich die Mühe machen wollen? Aber für die Ärzte war ich eine von vielen, keiner kannte mich richtig.«
»Von Santorros Anwalt ist wohl kaum Hilfe zu erwarten«, meinte Fee. »Seine Formulierung läßt darauf schließen, daß er von Santorro beeinflußt wurde.«
»Alle wurden sie von ihm beeinflußt, aber da war er auch noch der große Star. Vielleicht hat sich etwas geändert, da er nun auch Federn lassen mußte. Ich werde kämpfen. Hier fühle ich mich sicherer. Es macht mir Mut, mit Ihnen reden zu können. Hoffentlich fühlen Sie sich nicht belästigt.«
»Das wollen wir nie wieder hören«, sagte Fee. »Wir sind immer für Sie da, Jessica. Betrachten Sie uns als Freunde.«
Tränen lösten sich aus Jessicas langen Wimpern. »Ich bin so unendlich dankbar«, flüsterte sie.
*
Daniel brachte Jessica zum Hotel zurück.
Nadine Sontheim, die Besitzerin, kam gerade aus dem Speisesaal, in dem ein größeres Essen stattfand.
»Nett, dich mal wieder zu sehen, Daniel«, sagte sie. »Frau de Wieth? Wir haben uns noch nicht persönlich kennengelernt. Ich hoffe, sie fühlen sich wohl bei uns.«
»Ja, sehr.«
»Bei der Gelegenheit kann ich Ihnen gleich sagen, daß Dr. Vreden Sie höflichst um ein Gespräch bittet. Dich wird er auch aufsuchen, Daniel.«
»Darf ich fragen, wer dieser Dr. Vreden ist? Ein Kollege?« Daniel sah sie erwartungsvoll an.
»Nein, er hat mit der Filmgesellschaft zu tun, bei der Kollberg beteiligt war. Er war angenehm überrascht, daß Frau de Wieth auch hier wohnt. Er hat Sie wohl vorhin zufällig gesehen.«
Der Mann aus Jessicas Traum etwa? ging es Daniel durch den Sinn. Dann konnte man wohl doch an die Bedeutung von Träumen glauben. Fee würde das gefallen.
»Wann kann ich Dr. Vreden treffen?« fragte Jessica.
»Er frühstückt um neun Uhr. Wäre Ihnen das zu früh?«
»Nein, ich habe viel zu erledigen. Danke für die Nachricht. Mich interessiert alles, was mit Kollberg zusammenhängt.«
»Eine üble Geschichte, aber man weiß überhaupt nichts Genaues. Es tut mir leid, wenn Sie zu den Opfern gehören.«
»Er war mein Nachlaßverwalter.«
Nadine und Daniel tauschten einen bedeutungsvollen Blick. Dann verabschiedete sich Daniel.
»Darf ich Sie noch zu einem Schlummertrunk einladen?« fragte Nadine.
»Vielen Dank, ich sage nicht nein.«
»Das ist recht. Setzen wir uns in mein Büro.«
Der Schlummertrunk wurde auch prompt gebracht, und er schmeckte köstlich.
»In einem Hotel hört man vieles«, sagte Nadine. »Ich habe auch einiges über Kollberg gehört. Er hatte ja Fäden in alle Welt geknüpft. Ich weiß natürlich auch, daß Sie mit Victor Santorro verheiratet waren. Wir haben auch noch ein Hotel in Valencia. Dort hat er mal gewohnt: Es muß schon etwa zehn Jahre her sein. Ich habe damals gerade noch gelernt.«
»Waren Sie von ihm beeindruckt?«
»Das kann ich nicht behaupten. Ich hatte schon meinen Mann kennengelernt, und da konnte mich kein anderer mehr beeindrucken.«
»Hätte ich nur vorher auch schon Erfahrung mit Männern gehabt. Aber lassen wir das Thema. Ich möchte wahrlich nicht von ihm träumen. Meine Illusionen wurden gründlich zerstört.«
»Das geht vielen Frauen so. Es tut mir leid, daß Sie bittere Erfahrungen machen mußten. Ich habe gute Verbindungen nach USA. Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, sagen Sie es ruhig.«
»Mir würde es am meisten nützen, wenn mir jemand sagen könnte, wo sich Santorro mit meiner Tochter aufhält. Aber das weiß anscheinend niemand.«
»Manchmal hilft der Zufall«, sagte Nadine aufmunternd.
Aber sie hütete sich, ein Wort darüber zu verlieren, daß sie sich bereits mit Julian Vreden über Jessica unterhalten hatte.
Bevor Jessica einschlief, dachte sie an den Mann aus ihrem Traum, der in der Hotelhalle lebendig geworden war.
*
Sie war so müde, daß sie dann sofort eingeschlafen war, aber kurz nach acht Uhr erwachte sie. Gleich dachte sie daran, daß sie Dr. Vreden beim Frühstück treffen konnte.
Sie ging ins Bad und duschte ausgiebig. Dann überlegte sie, was sie anziehen könnte. Warum wollte dieser Mann sie sprechen? Warum hatte er sie so seltsam angesehen. Woher kannte er ihren Namen?
Hatte er ihn gestern zum ersten Mal gehört oder schon vorher im Zusammenhang mit Kollberg? All das ging ihr durch den Sinn, und dabei verstrich die Zeit. Bis sie ihre Morgentoilette beendet hatte und angekleidet war, war es schon neun Uhr geworden.
Sie konnte es nicht verhindern, daß ihr Herz schneller schlug, als sie mit dem Lift abwärts fuhr und dann zum Frühstücksraum ging.
Sie sah ihn sofort, und er hatte auch zur Tür gesehen und sprang gleich auf.
Er küßte ihr die Hand, und sie errötete. »Es freut mich, daß Sie Zeit für mich haben«, sagte er mit dunkler Stimme. Er war ein ganz anderer Typ als Victor,