Einführung in die Systemtheorie. Niklas Luhmann

Einführung in die Systemtheorie - Niklas  Luhmann


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auf das Wahrnehmen verlagert und dass man die Umweltorientierung, die hier eine Rolle spielt und die in Bezug auf befriedigende Werte kontrolliert wird, in der psychisch ermöglichten Wahrnehmung sehen kann. Der »behavioral organism« hat ja nur die Möglichkeit, eigene Zustände zu kontrollieren. Das Nervensystem dient nur dazu, den Organismus oder vielleicht auch nur sich selber zu beobachten. Es ist komplett geschlossen und ist nur über Evolution, über evolutionäre Selektion, mit Umweltverhältnissen abgestimmt. Aber das psychische System kann unter dem Gesichtspunkt von Lust und Unlust – das ist übrigens ein parsonssches Forschungsthema aus den 50er-Jahren – sich selber in Bezug auf eine variable Umwelt kontrollieren.

      Wir haben also wiederum einen merkwürdigen Doppeleffekt. Einerseits ist zu fragen, warum nun gerade diese Option für diesen Kasten wahrgenommen wird; andererseits hat man dann doch den Anreiz, zu versuchen herauszubekommen, was man mit dieser Option sehen kann. Ich meine, wenn man die Entscheidung trifft, psychische Systeme dominant über Wahrnehmung zu thematisieren oder auch nur ihren Handlungsbeitrag über die Wahrnehmungsmöglichkeit, über die Wahrnehmungswelt der Psyche, zu thematisieren, dass man dann der parsonsschen Option in dieser Ecke des gesamten Modells hohe Plausibilität abgewinnen kann.

      Die nächste Box kombiniert konsumatorische und internale Richtlinien, Beziehungen, Funktionen, Variablen oder was immer. Hier setzt Parsons das »soziale System« ein. Auf den ersten Blick ist dies wiederum merkwürdig. Wieso dient das soziale System der Integration von Handlungen und warum wird Integration als Herstellung einer internen Ordnung unter konsumatorischen Aspekten, also unter Gegenwartsaspekten, verstanden? Der Gedanke von Parsons scheint zu sein, dass es darauf ankommt, die Handlungen verschiedener Organismen und Personensysteme zu koordinieren: dass es also darauf ankommt, Personen mit ihren Beiträgen in ein Handlungsnetz, das aus mehreren Personen besteht, einzufügen. Auffällig ist die deutliche Trennung von personalen Systemen und sozialen Systemen. Beide stehen unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zum Zustandekommen von Handlung nebeneinander. Beide sind füreinander im Kontext der internen Differenzierung des Handlungssystems Umwelt. Zieht man außerdem noch den »behavioral organism« mit in den Blick, dann sieht man, dass eine Dekomposition der Einheit des Menschen, der sichtbaren, wahrnehmbaren Einheit des Menschen, in drei Komponenten vorliegt. Alles wird unter dem Gesichtspunkt gesehen, welche Komponenten was zum Zustandekommen von Handlung beitragen. Es geht nicht um eine Anthropologie. Die immer wieder modische, immer wieder aufkommende Frage »Wo bleibt der Mensch in der soziologischen Theorie?« ist hiermit auf eine spezifische Weise beantwortet.

      Schließlich der letzte, noch verbleibende Fall, der Fall der »latent pattern maintenance« auf der Ebene des allgemeinen Handlungssystems oder, anders gesagt, die Koordination von instrumenteller Orientierung – kein Verzicht, kein Fallenlassen von Strukturmustern in der Latenzphase – mit internalen Orientierungen, das heißt mit der Orientierung auf das Handlungssystem selbst und nicht auf die Umwelt. Hier setzt Parsons »Kultur« ein. Das scheint mir als Theorieentscheidung zunächst recht plausibel zu sein. Kulturmuster sorgen für die Reaktivierbarkeit von Verhaltensmustern, für die Reaktivierbarkeit etwa von Rollen und einzelnen Handlungstypen in zeitlich weit auseinander liegenden Situationen. Jedenfalls ist das eine von vielen möglichen Definitionen von Kultur. Parsons selbst ist mit diesem Kulturbegriff in Kontroversen geraten, die ich hier im Einzelnen nicht nachzeichnen kann, aber deren Interesse darin besteht, ausfindig zu machen, wie weit man in diesen Kulturbegriff technische Artefakte, zum Beispiel Handwerkszeug, Schrift und dergleichen, einbeziehen kann oder nicht. Innerhalb der Ethnologie, der Anthropologie, auch der Archäologie tendiert man manchmal dazu, alles für Kultur zu halten, was bei Ausgrabungen gefunden werden kann, und die semantische Komponente der Kultur zu unterschätzen oder wiederum nur als Werkzeug, das heißt nur über Sprache, zu thematisieren. Für Parsons ist dieser Unterschied weniger wichtig. Sein Kulturbegriff deckt auch die Wiederbenutzbarkeit eines Werkzeuges ab, die Wiederbenutzbarkeit sprachlicher Kombinationsmöglichkeiten, das heißt den Umstand, dass man sich an Wörter und an die Grammatik erinnert, die Wiederbenutzbarkeit eines Hammers, nachdem man ihn wochenlang nicht benutzt hat. Man weiß, wo er ist und wozu er dient. Dies alles benennt recht einleuchtend die Voraussetzung der Integrierbarkeit des gesamten Handlungssystems. Dabei wird Integrierbarkeit nicht im Sinne der spezifischen Funktion der Integration verstanden, sondern im Sinne der Systemintegration über Zeichen hinweg.

      Das Theorieprogramm sagt nun, dass diese vier verschiedenen Teilsysteme oder Funktionssysteme evolutionär primär differenziert sein müssen, bevor es zu weiteren Unterdifferenzierungen innerhalb der einzelnen Funktionssysteme kommen kann. Ich möchte, um diese Problematik zu veranschaulichen, jetzt nur noch auf das soziale System eingehen und zu zeigen versuchen, wie sich Parsons hier eine Subdifferenzierung nach dem AGIL-Schema vorstellt. Dies ist auch die am stärksten entwickelte Teilseite der Theorie oder, wenn man so will, die früheste, da Parsons das ganze System schließlich für Zwecke der Soziologie entworfen hat (Abb. 3).

       Abbildung 3: Das soziale System. A = Adaptation, G = Goal Attainment, I = Integration, L = Latent Pattern Maintenance

       Abbildung 4: Das soziale System im Handlungssystem des »General Paradigm of the Human Condition«. A = Adaptation, G = Goal Attainment, I = Integration, L = Latent Pattern Maintenance

      Ich hatte bereits angedeutet, dass das adaptive Subsystem des sozialen Systems – oder, anders gesagt, das adaptive Subsystem des integrativen Subsystems des Handlungssystems – als Wirtschaft bezeichnet wird. Es kommt zur Ausdifferenzierung dieses Komplexes immer dann, wenn langfristiSge Adaptierung des Handlungssystems an Umweltsituationen eine Rolle spielt, also, grob gesagt, wenn es zu Kapitalbildungen kommt, das heißt, wenn ein Geldmechanismus eingeführt wird, der dafür sorgt, dass man immer auf noch unvorhergesehene Umweltsituationen reagieren kann, indem man Kapital einsetzt, sei es, um zu produzieren, sei es, um zu kaufen, sei es, um Ressourcen aus der Umwelt zu entnehmen, sei es, heute, um Abfall zu beseitigen. Der Realismus dieser Konzeption steckt, wie mir scheint, darin, dass der Geldmechanismus die entscheidende Rolle für die Ausdifferenzierung des Systems spielt, das heißt, dass die evolutionäre Errungenschaft Geld (Parsons spricht von einem symbolisch generalisierten Kommunikationsmedium) überhaupt erst dazu geführt hat, dass sich Wirtschaft als Teilsystem ausdifferenziert hat und dass dadurch die Anpassungsbedingungen an die Umwelt verbessert, also die Langfristigkeit der Sicherung der Kontinuität des Handlungssystems garantiert werden kann.

      Die »goal attainment«-Funktion wird bei Parsons im Bereich des sozialen Systems als Politik definiert. Auch das hat zu Kontroversen geführt, die in sich selbst sehr interessant sind, die ich aber hier nicht ausreichend behandeln kann. Das waren Kontroversen über den Kontrast, sei es mit klassischen, also aristotelischen, alteuropäischen und so weiter Politikvorstellungen, die in der Politik die Funktion der Realisierung des eigentlich Menschlichen erwarten, sei es mit kritischen Theorien, die Politik nur als Annex von Wirtschaft sehen. Für Parsons ist das politische System ein eigenständiges System im sozialen System des Handlungssystems. Die Besonderheit der Politik liegt in der Sicherung konsumatorischer, also in sich gegenwärtig befriedigender Zustände. Auch das kontrastiert auf eigentümliche Weise mit einem Politikbegriff, der für uns normal ist und in dem die Politik als eine instrumentelle Einrichtung gesehen wird, die immer bessere Leistungen, immer bessere Sozialzustände zu erreichen versucht. Für Parsons stellt sich die Frage, ob das wirklich der Sinn von Politik ist. Parsons formuliert, dass er die Funktion für Politik im spezifischen Sinne als »collectively binding decision making« beschreibt. Das heißt, die Politik muss in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen, die, wie ich sagen möchte, im Moment der Entscheidung kollektiv binden, die also anerkannt werden, die Unterstützung finden, die insofern befriedigen, die auch auf Vertrauen


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