Wo der Hund begraben liegt. Pavel Kohout
doch es geschah das erstemal nachts, und zum ersten Mal lernte ich auch die Korridore kennen, die sie sich wie Termiten in die Nebengebäude fraßen. Sie schwiegen noch, als wir in den Raum traten, in dem unter dem Porträt des Staatsoberhaupts eine schreiend froschgrüne Couch stand. In ihrer Häßlichkeit war sie geradezu vorherbestimmt, daß sich auf ihr Polizeiköpfe ausruhten und Polizeiglieder ihre Liebesspiele trieben. In fünf Jahren wird mich genau in diesem Zimmer der brüllende Herr Pokorný fragen, wie lange ich seine Hilfe nötig hätte.
Ein Stuhl wurde mir nicht angeboten; weil sie aber standen, blieb ich auch stehen. Es war für mich kein Geheimnis, daß ein Verhör meistens in zwei Räumen vor sich geht: In dem einen findet es statt, im anderen wird es mitgehört und ausgewertet. Die Häufigkeit des Wechsels der beiden oder mehrerer Vernehmungsbeamten ist für den Kenner ein Barometer, wie oft sie sich den Rat der Vorgesetzten holen müssen. Jetzt also hörten sie, oder sahen sie sogar, wie wir eingetreten waren. Nach einer Pause, die den Auftritt von Protagonisten einleitet, öffnete sich erneut die Tür. Fast wie der König der Schöpfung, sicher aber als Spitzendarsteller, trat ein Mann im Abendanzug und mit dem Gesicht eines Filmliebhabers ein. Er gab mir die Hand und stellte sich vor.
«Profek.»
Wenn das ein Deckname war, dann alle Achtung für den Mann, der «Prošek» ausgewählt hatte, obwohl er stark lispelte. Aber vielleicht fürchtete man sich, es ihm zu sagen? Ich gehöre nicht zu denen, die über Bucklige lachen, doch nach diesem halbstündigen sich Aufblasen der allmächtigen Macht von meiner Haustür bis hierher gönnte ich ihm diese abgesunkene Schwankpointe. Er trug die Formel von der Zeugenvernehmung vor, die aus seinem Mund fast komisch klang, und forderte mich auf, Informationen über Personen namens Rudi Majer, Bitr und Kristián Šmid zu geben.
Daß er, wenn auch deformiert, zweifellos nach dem Präsidenten der Stadt Luzern, Hans Rudolf Meyer, nach dem Verleger des toten Jan Procházka, Georg Bitter, und offenbar auch nach dem längst ausgewiesenen Journalisten Christian Schmidt-Häuer fragte, allesamt Personen, die diese dramatische Festnahme keineswegs verursacht haben konnten, bestätigte mir, daß die Aktion nur einen Doppelsinn haben konnte: mich am Treffen mit Rosenbauer zu hindern und meine Blockade vom letzten Verhör mit der Drohung zu durchbrechen, daß ich die Nacht, wenn nicht gleich mehrere, hier verbringen müßte.
Ich konzentrierte mich auf die Hauptaufgabe: sie davon zu überzeugen, daß ich es mit meinen Grundsätzen auch weiterhin ernst meinte. Wenn sie nicht den Befehl hatten, mich in jedem Fall einzusperren, war das eine Chance, meinen Punktevorsprung zu erhöhen. Und wenn sie ihn hatten – erst recht: es bliebe mir in der Not das gute Gefühl, daß sie meinen Körper einsperrten, nicht aber meine Seele. Also blieb ich schweigsam.
Entschließt sich jemand, weil ihm nichts anderes übrig bleibt, einen Streit mit der Übermacht aufzunehmen, muß er vorher abschätzen, wie er sich in ähnlichen Situationen verhalten wird. Wer ahnt, daß er mit den Nerven auch den Mut verliert, eine prinzipielle Haltung eines augenblicklichen Vorteils halber nicht aufzugeben, der soll gleich Zurückhaltung üben oder aber die Emigration wählen. Obwohl von Natur Epikureer, wurde ich hier zum Asketen. Weil sie sehr wohl wußten, daß ich rauche, habe ich mir bei ihnen nie eine angesteckt. Auch nach Stunden nahm ich von ihnen nichts anderes als Wasser aus der Wasserleitung, das nicht ihnen gehörte. Ich fand in mir auch den alten Knabentrotz wieder, der stundenlang mit der Angst auch den Hunger und andere Bedürfnisse abblockt.
Gegen Mitternacht verließen die beiden Kapos gemeinsam den Raum, wohl um sich zu informieren, was weiter geschehen solle. Als ich Feuchtwangers Roman Die Geschwister Oppenheim aus der Jagdtasche zog, brüllte mich der picklige Eleve plötzlich an, ich solle das Lesen lassen.
«Junger Mann», sagte ich, ohne aufzublicken zu ihm, absichtlich mein Alter übertreibend, «studieren Sie die Vorschriften und benehmen Sie sich anständig, ich bin nicht festgenommen.»
Wieder erfien der föne Profek und zog seinen Trumpf: solange ich nicht anworte, würde ich nicht nach Hause gehen. So hatten die Vorgesetzten entschieden. Die Reihe war an mir. Wer nichts wagt, der nichts gewinnt.
«In dem Falle teilen Sie mir gleich eine Zelle zu. Sie haben mich vor dem Abendessen geholt. Es ist Mitternacht, ich glaube, ich habe zumindest das Recht auf etwas Schlaf.»
«Fie find hier nicht im Hotel!» Er verlor die Nerven, als er sagte: «Wann Fie flafen werden, entfeide ich!»
«Aber erst, wenn Sie mich rechtmäßig verhaften», sagte ich, stand auf, ging zu der sattgrünen Couch, legte mich darauf und schloß die Augen.
Ich hörte, wie er fast irre aus dem Raum lief. Die Tür knallte zu. Der Eleve war offenbar geblieben, doch er blieb mausestill. Mein Herz hämmerte vor Aufregung, versteht sich. Ich zwang mich dazu, langsam und tief zu atmen, damit meine Schultern sich nicht bewegten. Ich versuchte daran zu denken, wie schön ich mit Klíma Kafkas rätselhaften Roman adaptieren würde. Das Bewußtsein, daß dies höchstwahrscheinlich das Schlüsselmoment meiner bisherigen Konfrontation mit der Macht war, wich dem belustigten Staunen, daß es im Genre Hašeks verlief. Mit diesen Gedanken bin ich dort tatsächlich ganz fest eingeschlafen.
Prošek weckte mich, als er die beiden Fensterflügel öffnete. In den Raum drang der Frost herein. Ich war sofort bei der Sache.
«Soll ich selbst hinausspringen, oder wollen Sie mir helfen?»
Verstört versuchte er, mir zu erklären, daß er nur lüften wolle. Meiner Erklärung, ich werde ihm kein Protokoll unterschreiben, setzte er keinen Widerstand mehr entgegen. Um halb ein Uhr nachts schubsten sie mich auf die leere, dunkle Straße. Als ich, ganz verfroren, endlich ein Taxi bekam, fuhr der Wagen hinter mir her, der mich hergebracht hatte. Bauerntölpel eben. Zu Hause stellte ich fest, daß sie mich freigelassen hatten, kurz nachdem der unermüdlich wartende Ard-Rosenbauer mit Zet eine Flasche Müller-Thurgau geleert und endlich gegangen war, um sich den fehlenden Kommentar selbst zu dichten.
Ich ging dich noch Gassi führen, mein straßenlüsterner Dackel, um das vibrierende Gehirn auf normale Touren zu bringen, bei denen ich nochmals einzuschlafen vermochte. Vor dem Toskana-Palais fingst du ganz gegen deine Gewohnheit an zu knurren und zu bellen. Hinter der Säule stand, blöde grinsend, der finnige Eleve.
«Ist das ein Niveau!» sagte ich angewidert auch in deinem Namen, und ging mit dir zu Bett.
Wir haben ihn nicht gebissen, obwohl er es verdiente. Der Advent hatte begonnen.
14
Böhmen, Winter 1973/74
Das Wasser, das uns beim Photographieren der Neujahrskarte erst bis zum Gürtel reichte, stieg nun bis zum Halse. Wieder warnte mich meine einstige Kinderliebe. Sie lud mich in der Nacht zu sich in die Wohnung; ihr Mann war wegen eines Wirtschaftsdelikts im Gefängnis. Zet durfte mit. In der Küche, die man wie das wc hierzulande zu den abhörsicheren Orten zählt, saß vor zugezogenen Rouleaus ein hoher Ministerialbeamter, zitternd vor Angst. Seine Anständigkeit jedoch war stärker: Er zog zwei geheime Verfügungen aus der Aktentasche und zeigte sie uns.
Endlich hatte ich sie in der Hand, die zwei berüchtigten Dokumente, die das Regime des Doktor Husák der Übertretung internationaler Abkommen überführten, von seinem Staat mitsigniert. Deshalb durften diese beiden Erlasse nur die Leiter von Ministerialabteilungen und Banken kennen. Bisher nannte man sie unter Eingeweihten einfach «Lex Kohout», jetzt hatten sie plötzlich Nummern: die Anordnung des Finanzministeriums Nr. 0266/72, durch die den verbotenen Schriftstellern die allgemeine Devisenbegünstigung entzogen wurde, und der strenggeheime Regierungsbeschluß 20/1973, ergänzt von einem Intimat des Kultusministers 6266/73-Sm 4, demzufolge allein diese Autoren an den Kulturfonds anstelle von zwei Prozent der Auslandshonorare, wie üblich, sage und schreibe vierzig Prozent abführen sollten. Alles in allem bedeutete das eine exklusive, deshalb gesetzwidrige Besteuerung von über neunzig Prozent – beginnend bereits mit der ersten verdienten Krone. Apartheid total.
Unsere letzte Einkommensquelle floß nun in die Kassen derer, die uns verboten hatten, und wir wußten bis jetzt nicht, wie diesem Würgegriff zu entkommen war. Abgehörte Telephone, gelesene Briefe führten überdies zur Sperrung der Einreisevisa auch für die paar Intendanten, Regisseure