Sonntagskuchen mit Einstein. Silvia Friedrich
Lotte hat sich erhoben und pustet sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht, die aber gleich darauf wieder zurückfällt: „Wie wäre es mit Schwimmen gehen?“
„Von mir aus“, stimmt Egon zu. „Was ist mit dir, Fritz?“
Fritz sagt nichts. Er starrt wie gebannt auf den Steinboden hinter Lotte.
„He, was hast du?“ Lotte schüttelt ihn.
„Da ... da ... ich ...“, stammelt Fritz. Er hat Augen und Mund weit aufgerissen und jeden Gedanken an ein Eis total vergessen.
„Was hast du denn?“ Egon rüttelt nun auch an ihm herum. Doch Fritz zeigt nur mit dem Finger auf den Boden. Lotte und Egon drehen sich herum und erstarren.
In diesem Moment schlurft Oma Krummbein auf den Hof. Sie trägt einen kleinen Eimer in der Hand und steuert auf die Mülltonnen zu. „Hallo Kinder, habt ihr Minkus gesehen? Ach, da ist er ja. Geht mal ein wenig zur Seite. Ich möchte meinen Müll ausleeren. Was ist denn?“ Sie guckt von einem zum anderen.
Alle drei Kinder starren auf die Steine des Hofes. Oma Krummbein verfolgt die Blicke und stößt einen kleinen Schrei aus: „Huchjeminee.“
Kater Minkus ist auf seiner Tonne erwacht, streckt sich und springt herunter. Ganz langsam stolziert er auf Oma zu. Auch Manfred, der sich ein wenig näher geschlichen hat, wird aufmerksam.
„Das ist Zauberei“, flüstert Egon Einstein. Die anderen nicken.
„So was gibt es doch gar nicht“, sagt Oma Krummbein nun laut. „Sicher wollt’ ihr mich ein wenig veräppeln, was?“
Das Mondgesicht auf den Steinen vor ihnen lächelt. Ja, es lächelt! Immer wieder verzieht es seinen Mund mit den vielen Zähnen darin zu einem breiten Grinsen, dann wieder zu einem Kussmund.
„Ich verstehe nichts mehr“, stammelt Lotte und starrt auf ihre Zeichnung auf dem Boden, die nun seltsam lebendig geworden ist.
„Los, Kinder, sagt schon, wo ist der Trick?“ Oma Krummbein lacht.
„Das ist kein Trick, Oma Krummbein.“ Lotte schüttelt den Kopf. „Ich habe das Gesicht gemalt. Mehr nicht. Und auf einmal kann es lächeln.“
„Vielleicht ist der Boden irgendwie magnetisch“, überlegt der kleine Einstein.
„Quatsch, da ist nichts magnetisch.“ Fritz ist ganz aufgeregt. „Vielleicht Erdstrahlen, die Dinge in Bewegung bringen.“
Kater Minkus ist nun ganz nah herangeschlichen und schnüffelt an der Malerei auf dem Boden herum. Als er wieder hochsieht, ist seine Nase ganz weiß von der Kreide. Minkus muss niesen.
„Komm her, Kater. Du sollst nicht schnüffeln“, schimpft Oma Krummbein.
„Ich habe nur mit dieser Kreide das Gesicht gemalt“, betont Lotte noch einmal und hält das weiße Stückchen in die Höhe.
„Lass’ mal sehen.“ Fritz und Egon greifen gleichzeitig zu dem Stummel.
Egon schafft es als Erster zuzugrapschen und dreht das Stückchen in den Händen: „Sieht ganz normal aus.“
„Woher hast du es?“ Oma Krummbein ist neugierig.
„Als ich heute in Mathe an der Tafel war, habe ich mir heimlich ein Stück Kreide eingesteckt.“ Lotte blickt etwas beschämt zu Boden. „Ich weiß, dass man das nicht darf, aber ich dachte, einmal kann ich das vielleicht machen.“
„In Ordnung war das nicht“, sagt die Oma. „Ach, dort hinten ist ja auch Manfred. Was macht der denn schon wieder hier? Willst du mir etwa noch mal meine Blumen aus den Töpfen ziehen? So Kinder, ich muss wieder hinein. Ich verstehe das alles nicht. Was es heutzutage so gibt. Nee nee, was haben wir nur für eine komische Welt.“ Die ganze Zeit schüttelt die Oma den Kopf, während sie ins Haus zurückgeht. Dann fällt die Tür hinter ihr ins Schloss.
Manfred versucht langsam, zu den dreien vorzudringen, wird aber gesehen. Egon und Fritz schreien ihm ganz laut zu, dass er verschwinden soll. Manfred rennt weg, vom Hof hinunter auf die Straße.
„Vielleicht wäre es besser gewesen, Manfred mitspielen zu lassen. Wer weiß, was er nun tun wird.“ Lotte macht sich ein wenig Sorgen.
„Der hat uns immer nur geärgert, hast du das vergessen?“, ereifert sich Fritz.
„Was sollen wir nun tun?“ Egon ist ganz aufgeregt: „Wir müssen der Sache doch auf den Grund gehen.“ Die anderen stimmen zu.
„Wie kann das nur funktionieren?“, überlegt er laut.
„Na, ganz einfach, miau.“
„Wer war das?“ Lotte stößt einen kleinen Schrei aus. Die Stimme kam aus der Nähe ihres Fußes. Dort aber steht nur Kater Minkus und streicht um ihre Beine.
„Minkus, warst du das?“ Lotte bekommt vor Schrecken kaum noch Luft. Die Jungen stehen da mit offenem Mund.
„Miau, ja ich.“ Der Kater bewegt sein winziges Mäulchen und spricht.
„Wieso kannst du reden?“ Egon beugt sich verstört und ungläubig zu Minkus herunter. In diesem Moment glaubt er, dass er den Namen Einstein vielleicht doch besser nicht tragen sollte. Das große Genie hatte immer eine Lösung gewusst.
„Weil ich von der Kreide genascht habe, miau. Ganz einfach,“ antwortet Minkus. „Die Kreide ist es!“
„Woher weißt du das?“ Egon vergisst ganz, dass er mit einem Kater im Gespräch ist.
„Wir Tiere wissen viel, was ihr Menschen nicht einmal ahnt. Doppelmiau! Und dreimal miau!“ Minkus dreht sich weg und will gehen.
„He, bleib’ hier.“ Alle drei Kinder rufen ihm nach.
Doch der Kater stolziert davon. Niemand kann ihn aufhalten, wenn er nicht bleiben will.
Die Kinder stehen auf ihrem Hof und können es nicht begreifen. Was ist nur passiert? Erst lächelt dieses blöde Gesicht und dann spricht auch noch der Kater.
„Wir sind einem großen Geheimnis auf der Spur“, flüstert Lotte und zieht die Stirn in Falten. Es kommt ihr alles wie ein Wunder vor. Ach was ein Wunder, viele Wunder.
„Kneife mich mal, ob ich nicht träume“, stammelt Fritz. Alle drei kneifen sich gegenseitig in die Arme und schreien dann ziemlich schnell los. Nein, sie träumen nicht. Alles das geschieht wirklich an diesem heißen Nachmittag im August in Klein-Wühlbergshausen. Und keiner weiß warum.
*
Auf den Grund der Sache
„Wenn das wahr ist, was Minkus sagt, dann stimmt irgendwas mit der Kreide nicht.“ Egon, der inzwischen zu der Ansicht gekommen ist, dass er den Namen Einstein doch noch eine Weile weiterverwenden könnte, grübelt angestrengt: „Wir müssen zur Schule und sehen, woher die Kreide stammt. Vielleicht gibt es noch mehr davon.“
„Gute Idee“, sagt Fritz. Zum ersten Mal im Leben hat er jeden Gedanken an Schokolade, Eis und Pommes vergessen. Das hier ist viel spannender. Was hat es nur damit auf sich?
In diesem Moment guckt Oma Krummbein aus ihrem Küchenfenster, das genau auf den Hof hinausgeht. „Minkus komm. Es gibt etwas zu fressen.“
„Die Katze ist nicht da, Oma Krummbein“, ruft Fritz. Doch da hört man schon das eindeutige Miau hinter den Mülltonnen.
„Wo kommst du denn jetzt her?“ Fritz blickt erstaunt zum Kater, der mit einem Satz auf das Fensterbrett gesprungen ist. Die Oma stellt ihm den Napf vor die kleinen Pfoten.
„Ich dachte, er ist nicht mehr da“, flüstert Lotte „Ob er wohl noch sprechen kann?“
„Kann ich, miau.“ Minkus sieht kurz von seinem Napf hoch