Liebe 1 - Sofie und Alexander. Line Kyed Knudsen
Line Kyed Knudsen
Liebe 1 - Sofie und Alexander
Lindhardt & Ringhof
Kapitel 1
Ich schließe gerade mein Fahrrad an, als ich Alexander aus den Augenwinkeln sehe. In den Büschen vor der Sporthalle zwitschern die Vögel. Schnell befreie ich mich von meinem Fahrradhelm, damit ich nicht wie ein Idiot aussehe. Ich bin die Einzige in der Klasse, die einen Helm zum Radfahren aufsetzt. Ich weiß ganz genau, wie bescheuert ich damit aussehe, besonders im Sommer.
Alexander stoppt sein Rad neben mir mit quietschenden Reifen.
„Hi Sofie“, ruft er mir zu. Mir wird sofort ganz schwindelig vor Glück.
„Hi“, antworte ich und verrenke mich umständlich hinter meinem Fahrrad. Ich trage meine hellroten Shorts und ein schwarzes Top; die Sporttasche geschultert.
Seit der ersten Klasse bin ich in Alexander verliebt, aber er hat sich nie sonderlich für mich interessiert. Ich bin ja auch eigentlich nur ein schmächtiges, unauffälliges Mädchen. Er hat mich nie wahrgenommen, nie mit mir gesprochen oder ist mir nachgelaufen, als wir auf dem Pausenhof Fangen gespielt haben. Ich war es, die IHN angestarrt hat. Niemals andersherum.
Doch nun sieht Alexander mich an. Meine Knie werden weich. Ich weiß, dass er zum Fußball muss. Er trainiert jeden Dienstag und Donnerstag. So wie ich. Nur, dass ich Schwimmerin bin. Im Wettkampfteam. Mein Training ist immer schon eine Stunde früher zu Ende als seins. Wenn ich nach Hause radle, kann ich ihn auf dem Fußballfeld in Aktion sehen. Er spielt im Sturm und ist ein unglaublich schneller Angreifer. Das ganze Jahr über ist er braungebrannt.
„Kommt ihr morgen zu Ellas Party?“, fragt Alexander und hievt sein Fahrrad in den Ständer neben meinem.
„Also, ich meine dich und Ida.“
Meine Hände krampfen sich um den Riemen meiner Tasche, dass meine Fingerknöchel ganz weiß werden. Ida ist meine beste Freundin.
„Na klar doch!“, kann ich gerade so hervorstammeln während ich nervös von einem Fuß auf den anderen trete.
Meine Freundin Ella feiert morgen eine Party. Sie ist auch Idas Freundin. Wir sind alle drei sehr gut befreundet, aber Ida ist unser Dreh- und Angelpunkt. Es kommt eher selten vor, dass Ella und ich uns alleine treffen.
„Es ist schließlich die letzte Party vor den Sommerferien“, sagt Alexander und nickt.
Ich nicke auch. Nach der Siebten werden wir in neue Klassen eingeteilt und bekommen neue Lehrer. Sobald ich daran denke, spüre ich den Kloß in meinem Hals. Ich hoffe so sehr, dass ich mit Ida und Ella wieder in einer Klasse sein werde. Vor allem mit Ida. Ich wüsste nicht, wie es werden sollte, wenn sie in die Parallelklasse käme. Ida hat sich immer für mich eingesetzt. Sie ist jemand, die immer ausspricht, was sie denkt. Im Gegensatz zu mir. Irgendwie gelingt es mir nie, etwas Schlaues zu sagen. Besonders im Unterricht, wenn die Lehrer mich aufrufen. Wie ich es hasse, wenn alle mich angucken.
„Sofie sollte sich mehr am Unterricht beteiligen“, kritisierte meine Klassenlehrerin, beim letzten Elterngespräch mit meinem Vater. „Sie muss öfter die Initiative ergreifen. Melde dich doch einfach mal, Sofie!“
Mein Vater wirkte nach diesem Gespräch sehr enttäuscht.
„Es ist nicht genug, nur das Nötigste zu tun und alle Aufgaben richtig zu lösen, Sofie“, meinte er, als er sich am Abend auf meine Bettkante setzte.
„Du musst einfach mal die Ellenbogen ausfahren. Es ist wie beim Schwimmen. Man muss ein Ziel vor Augen haben. Sei aktiver im Unterricht!“
Ich nickte und versuchte in den folgenden Tagen wirklich, mich zusammenzureißen und mich zu melden. Doch jedes Mal, wenn ich aufgerufen wurde, hatte ich entweder ein Brett vorm Kopf und konnte mich plötzlich nicht daran erinnern, was ich sagen wollte, oder ich murmelte irgendetwas in mich hinein, stotterte und lief hochrot an.
„Das wird eine tolle Party morgen“, sagt Alexander. Ich nicke wieder nur. Es ist genau wie im Unterricht, wenn ich etwas sagen soll. Mein Gehirn ist leer. Verzweifelt suche ich nach Worten.
„Wir freuen uns auch“, stammle ich wieder. Wie dumm das klingt. Wir auch. Das klingt wirklich ziemlich idiotisch.
Aber es stimmt auf jeden Fall, dass Ida und ich uns freuen. Ich darf bei ihr übernachten. Dann machen auch meine Eltern keinen Stress. Ich kann mich bei Ida schminken und Klamotten von ihr ausleihen. Letzten Sommer hat sie in Griechenland ein Kleid gekauft, das ich unbedingt tragen will. Es ist hellblau und ziemlich figurbetont. So ein tolles Kleid hatte ich noch nie an.
„Sebastian bringt Bier mit“, erzählt Alexander, während wir auf die Sporthalle zulaufen. Er hält mir die Tür auf.
„Cool!“, antworte ich. Ich hab noch nie Bier getrunken. Will ich eigentlich auch gar nicht. Mein Vater würde richtig wütend werden, wenn er davon Wind bekäme, dass die Jungs Alkohol trinken wollen. Tatsächlich dürfte ich überhaupt nicht zur Party gehen, wenn er wüsste, was für ein Kleid ich tragen werde.
Alexander verschwindet in der Jungsumkleide. „Bis später, Sofie!“, ruft er.
Das Rauschen der Duschen und gedämpfte Jungenstimmen dringen aus den Kabinen hervor und ich schaue schnell weg. Wie peinlich, wenn da plötzlich ein nackter Junge stünde!
In der Mädchenumkleide ist es noch leer. Ich bin die Erste. Ich komme immer eine Viertelstunde vor den anderen. So kann ich in Ruhe duschen und mich mental auf das Training vorbereiten. Das hat mein Vater mir so beigebracht. Still sitzen, ruhig atmen und sich konzentrieren. Fokussieren und mir vorstellen, wie ich meinen Rekord breche. Mein Vater war selbst einmal Profi-Schwimmer. Er hat sogar bei den Olympischen Spielen Medaillen gewonnen. Nun bin ich an der Reihe. Ich bin eine sehr gute Schwimmerin. Wenn ich mich anstrenge, dann stehen die Chancen gut, dass ich in vier Jahren für die Olympiamannschaft ausgewählt werde.
Ich schließe die Augen und lehne mich an die Wand. Es ist warm in der Umkleidekabine, aber ich fröstele. Wasser tropft von meinen Haaren in den Nacken. Meine Schwimmkappe habe ich noch nicht aufgesetzt. Ich will es so lange wie möglich herauszögern, mit diesem peinlichen Gummi auf dem Kopf herumzulaufen. Damit sehe ich aus wie ein nasser Spargel. Ich würde so gern im Winter ins Solarium gehen, aber davon bekommt man Krebs, sagt mein Vater.
Ich versuche wirklich, mich auf das Training zu konzentrieren, aber Alexander, der in meinem Kopf herumspukt, stört mich dabei. Er hat zweimal meinen Namen gesagt. Mich gefragt, ob ich zur Party komme. Warum? Ich öffne die Augen und nicke den anderen Mädchen aus meinem Team kurz zu, die nach und nach in die Umkleide kommen. Natürlich hat das nichts zu bedeuten. Ich bin ihm egal. Noch nie war ein Junge in mich verliebt.
Ich gehe nochmal auf die Toilette. Es sind immer Ella oder Ida, in die die Jungs sich verlieben. Ida trägt schöne Kleider und hat lange blonde Haare. Außerdem hat sie inzwischen ziemlich große Brüste. Sie braucht schon Körbchengröße C. Ich trage nur Büstenhalter in Größe A oder Tops, da gibt es nämlich noch nicht viel Büste, die gehalten werden muss.
Ella ist witzig und süß. Außerdem hat sie die tollsten dunklen Locken; ihre Mama ist Spanierin. Meine Haare dagegen sind ein langweiliges Durchschnittsblond.
Der Spiegel ist beschlagen. Ich wische ihn mit der Hand trocken. Meine Haare sind relativ dunkel, wenn sie nass sind. Meine Augen sind nicht groß und braun wie Ellas oder klar und blau wie Idas. Ich wünsche mir manchmal, ein bisschen mehr wie sie zu sein. Mutiger und witziger. Aber ich bin sehr froh, dass sie meine Freundinnen sind. Ich weiß nicht, womit ich ihre Freundschaft verdient habe. Noch weniger weiß ich, wie mein Leben ohne die beiden wäre.
In der Schwimmhalle friere ich noch mehr. Wahrscheinlich, weil ich nicht gefrühstückt habe. Meine Brotbüchse mit Vollkornbrot, Hühnchen und Gemüse liegt unberührt in meiner Tasche. Ich weiß, dass es nicht so schlau ist, eine Mahlzeit auszulassen. Von meinem Vater weiß ich, dass es wichtig ist, sich gesund zu ernähren, um die optimale Energie für das Training zu erhalten.
Die fehlende Energie ist bestimmt der Grund, warum ich heute nicht so richtig durch das Wasser gleiten