Kiss me!. Eva Susso

Kiss me! - Eva Susso


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Hanna. Fanny will von dort ihre Mutter anrufen.

      Auf der Truhe im Flur liegen fünfzig Kronen und ein Zettel von Papa.

      Kauf dir was zum Schnabulieren,

      ich bin in der KB, forschen.

      Komme pünktlich zum Abendessen zurück!

      Papa

      KB. Hanna weiß, dass Papa damit die Königliche Bibliothek meint. Wenn er nicht gerade zu Hause an seinem Roman schreibt, ist er garantiert dort mit der Nase in einem alten Schmöker zu finden.

      Hanna steckt den Schein in die Tasche und drückt die Daumen, als Fanny in Papas Arbeitszimmer geht, um bei ihrer Mutter anzurufen.

      Was ist, wenn Fanny nicht darf? Soll Hanna dann allein fahren? Das entscheidet sie, wenn Fanny mit der Antwort zurück ist.

      Aber Fanny darf.

      Sie gehen ins Badezimmer und schminken sich ein bisschen mit Hannas helllila Lippenstift und dem lila Lidschatten, bevor sie losgehen. Hanna hat helle Haut und blondes Haar, da passen helle Farben gut. Zu Fanny passen eigentlich besser kräftigere Farben, weil sie braunes Haar und dunkle Augenbrauen hat. Aber sie sieht trotzdem gut aus.

      Hanna zieht ihr schwarzes Polo-Shirt an.

      »Ich will auch einen BH«, platzt Fanny heraus.

      »Aber du bist doch noch ganz platt«, sagt Hanna.

      Fanny nickt genervt und streicht sich mit den Händen über die Strickjacke.

      »Es ist übrigens ganz schön anstrengend, so große Brüste zu haben.« Das sagt Hanna weniger, um Fanny zu trösten, sondern um ein bisschen zu prahlen. Sie kann es einfach nicht lassen. Sonst ist Fanny immer diejenige, die im Mittelpunkt steht, weil sie das süßeste Mädchen in der ganzen Klasse ist. Jetzt sind die Rollen vertauscht. Die Jungs kichern und flüstern über Hanna. Einerseits nervt sie das kolossal, andererseits findet sie es aber auch irgendwie schön.

      Ketchup und schwarzer Pfeffer

      Hanna und Fanny spazieren zur U-Bahn-Station Liljeholmen. Sie geben dem Kontrolleur an der Sperre ihre Streifenkarten. Der stempelt je drei Abschnitte ab. Dann steigen die Freundinnen in die Bahn.

      Hanna ist mindestens schon zehntausendmal mit Mama und Papa U-Bahn gefahren. Aber mit Fanny zusammen ist es ganz anders. Besonders, als sie an der U-Bahn-Zentrale ankommen und auf dem Bahnsteig zwischen den vielen drängelnden Menschen stehen.

      Alte Männer, die nach kaltem Zigarettenrauch stinken. Ältere Jungs mit provozierenden Blicken und aufgebrezelte Mädchen mit zotteligen Kunstpelzen. Alte Tanten. Und gestresste Mütter mit Kinderwagen und quengelnden Kleinkindern.

      Hanna merkt, wie Fannys Hand nach ihrer tastet.

      »Bist du auch sicher, dass wir in die richtige Richtung gehen?«, fragt Fanny.

      Hanna zeigt auf die Schilder, die oben unter der Decke hängen. Sergels Torg, steht da. In die andere Richtung geht es zum Hauptbahnhof.

      »Gut, dass du dich auskennst«, sagt Fanny, als sie auf der proppenvollen Rolltreppe stehen.

      Hanna ist klar, dass sie hier die Verantwortung trägt. Schließlich hat sie Fanny zu diesem Ausflug überredet. Jetzt muss sie dafür sorgen, dass nichts schief geht.

      Plötzlich knistert es in den Lautsprechern. Eine krächzende Stimme warnt vor Taschendieben.

      Hanna fühlt schnell nach, ob der Fünfzigkronenschein noch in der Tasche steckt. Tut er.

      Die Kunden bei Åhléns haben spitze Ellenbogen und Tüten voller harter Päckchen. Überall stehen Weihnachtsmänner und alles ist mit Glitzerkram behängt.

      Fanny hält Hannas Hand ganz fest. Aber Angst hat sie keine mehr. Das sieht Hanna an Fannys glänzenden Augen.

      Sie fangen mit der Schminkabteilung an. Nehmen all die goldschimmernden, glitzernden Fläschchen in die Hand, bis eine Verkäuferin sie fragt, ob sie was kaufen wollen. Wenn nicht, sollen sie doch bitte woanders hingehen.

      »So was hätte die sich nicht getraut, wenn Papa dabei wäre«, flüstert Hanna.

      »Kümmer dich einfach nicht um die Senfschnecke«, zischt Fanny so laut, dass die Verkäuferin es eigentlich nicht überhört haben kann.

      Hanna kichert los.

      Fanny legt ihren Arm um Hannas Schulter, holt tief Luft und sagt noch lauter: »Soll die Senfschnecke ihre blöde Schminke doch behalten. Dann gehen wir eben woanders einkaufen.«

      Hanna presst die Hand vor den Mund, um nicht laut loszuprusten. Dass Fanny sich so was traut!

      Die Erwachsenen wollen es einfach nicht begreifen, dass Hanna und Fanny jetzt groß sind. Dass sie eigenes Geld haben. Die Erwachsenen finden immer nur, dass sie im Weg rumstehen.

      Aber die Welt ist schließlich für alle da. Jetzt sind sie an der Reihe. Und daran kann auch die Verkäuferin nichts ändern.

      Sie fahren in die nächste Etage. In die Damenabteilung.

      Fanny will Hüte probieren. Bei jedem neuen Teil, mit dem sie sich vor den Spiegel stellt, bricht Hanna vor Lachen fast zusammen. Am Ende kriegt sie beinahe einen Krampf im Bauch.

      So viel hat Hanna in ihrem ganzen Leben noch nicht gelacht.

      Prompt kommt ein Verkäufer angedackelt. »Das ist hier kein Spielplatz«, sagt er und schiebt Hanna und Fanny freundlich, aber bestimmt Richtung Rolltreppe.

      Also fahren sie wieder ins Erdgeschoss runter. Auf dem Weg nach unten beichtet Fanny Hanna, dass sie ihrer Mutter was vorgeflunkert hat. Sie hat ihr nicht erzählt, wohin sie wollten, sondern dass sie bei Hanna zu Hause lernen.

      Hanna lacht sich kaputt.

      Das ist so ein Tag, an dem sie über alles lachen muss. An dem all das Anstrengende, was sich in ihrem Bauch zusammenklumpt, auf die eine oder andere Art rauswill.

      »Papa weiß auch nichts«, presst sie zwischen ihren Lachattacken hervor.

      »Mama dreht durch, wenn sie das rauskriegt«, sagt Fanny plötzlich todernst.

      Da hat Hanna eine Idee.

      In der Nähe des Ausgangs gibt es ein Regal mit Seifen und Flaschen in allen möglichen Farben und Formen. Sie suchen sich je eine kleine, nicht allzu teure Seife aus. Hannas Seife duftet nach Kiefernnadeln und Fannys sieht aus wie eine Zitrone. Zusammen kosten sie sechzehn Kronen.

      »Das sind Geschenke«, erklärt Hanna an der Kasse.

      Die Verkäuferin zeigt ihnen, wo der Tisch mit dem Weihnachtspapier und den bunten Bändern ist.

      Sie reihen sich in die Schlange ein. Eine nervöse Frau in braunem Pelzmantel drängelt sich vor. Hanna bricht vor Wut der Schweiß aus.

      Dann fallen ihr zu allem Überfluss auch noch die Seifen aus der Hand und rollen quer über den Boden.

      Fanny läuft hinterher. Danach sind sie endlich an der Reihe.

      Mit zwei süßen kleinen Päckchen mit gekräuseltem Geschenkband in der Tasche treten sie auf die Drottninggatan hinaus. Sie stellen sich an den Zebrastreifen an der Klarabergsgatan und warten auf grünes Licht. Danach gehen sie die breite Treppe zu dem großen Platz hinunter.

      An einer Säule stehen ein paar Drogensüchtige. Hanna hat ein bisschen Bammel vor ihnen. Sie hat gehört, dass die Kinder anpöbeln. Aber Papa hat gesagt, dass das nicht stimmt.

      Hanna und Fanny machen einen kleinen Umweg zum Hamburgerimbiss, in dem Hanna und Papa manchmal was essen.

      »Mann, hab ich einen Kohldampf!«, stöhnt Fanny.

      Einen Hamburger können sie sich nicht leisten. Aber für zwei Portionen Pommes und eine große Fanta zum Teilen reicht es gerade. Sie setzen sich an einen freien Tisch. Und ziehen ihre Jacken aus.

      Hanna mischt ihren Spezialdip aus Ketchup und schwarzem


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