If the kids are united. Martin Büsser

If the kids are united - Martin Büsser


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wie dünn das Eis ist, auf dem ich hier meine Bahnen ziehe, sondern wie ungenau und unbestimmt alles zu einer Frage zweier Generationen verschwimmt oder sogar die Entwicklung einer einzigen Generation dokumentiert, deren Viervierteltakt ins Schwanken geriet.

      Dirk [SLIME]: »Daß wir von der Bühne herab damit angefangen haben, dem Publikum zu erklären, wie es zu handeln und zu leben hätte, war für uns der eigentliche Beweggrund, SLIME erst einmal aufzulösen. Es war der Moment, an dem eigentlich alles der Punk-Idee widersprochen hat, der Idee, mit dem Publikum eine Einheit zu bilden, nicht von Oben nach Unten zu kommen. Inzwischen sind wir so weit, zu erkennen, daß SLIME höchstens ein Sprungbrett darstellen kann, keine Ideologie. Unsere Musik ist Emotion, die motiviert, in Antifa-Gruppen aktiv zu werden. Wir predigen das nicht mehr, sondern wir geben höchstens das Gefühl der Notwendigkeit.«

      Hier also ein verknappter Fahrplan, woran man den Begriff Hardcore in Abgrenzung zu Punk aufzeigen kann:

      1.Ausarbeiten und Formulieren eines über die Musik/Band hinausgehenden Polit-Konzepts; Einbinden der anarchischen Emotion von Punk in komplexe Gesellschaftstheorien. So gesehen wären quasi die englischen CRASS eine der ersten Hardcore-Bands, ihre fast manifestartige Arbeit lieferte dem diffus revoltierenden Punk erstmals eine Art Überbau. [Und dennoch oder gerade deshalb lebte diese Band auf einer Art Hippiefarm]. ›Gegen Sexismus, Rassismus und Kapitalismus‹ wird zum Dreigespann, auf dem Hardcore aufbaut, ganz gleich wie stark nun mit der autonomen Linken verwoben. Andere Selbstverständlichkeiten [›gegen Drogen‹ im Straight Edge, ›gegen Tierversuche‹ etc.] bilden sich heraus, je mehr Hardcore in einzelne Sparten zerfällt.

      Aber auch: Entpolitisierung vieler Bands und Fans nach der Erfahrung, wie sehr selbst Punk in den Achtzigern zum Runterbeten starrer Politfloskeln geworden ist; Versuch einer ›positiven‹ Gegenbewegung, die sich textlich nicht auf ein Anblöken gegen den ›Schweinestaat‹ reduzieren will. So paradox es erscheinen mag: In ihrer Gegensätzlichkeit waren beides Wege, sich von Punk abzugrenzen.

      2.Ausweiten des vom Rock’n’Roll entlehnten Drei-Akkord-Schemas des Punk im Hardcore [was dann Ende der Achtziger zum oft wahllosen ›anything goes‹-Crossover führte, dessen grundsätzlich begrüßenswerte stilistische Öffnung auch eine Verwässerung mit sich brachte]. Sei es, wie schon sehr früh geschehen, durch ironische Zitate [Country-, Barjazz- und Surfrock-Demontagen bei den DEAD KENNEDYS] oder durch Hinzunahme von Funk-Elementen [MINUTEMEN] und Metal-Strukturen [BLACK FLAG, CRO MAGS u. v. m.].

      Die Entwicklung der kalifornischen BLACK FLAG von 1978–86 zeigt wie keine andere Bandgeschichte exemplarisch den kontinuierlichen Abschied vom Punk: Sie haben als reine Punkband im PISTOLS-/BUZZCOCKS-Stil begonnen, entwickelten mehr und mehr einen schweren, depressiven Metal-Beat und endeten schließlich als komplexe, mit Jazz und Funk experimentierende ›Musiker‹-Band.

      3.Allgemeine Bezeichnung für musikalische/textliche Verschärfung, z. B. Hardcore-Rap [PUBLIC ENEMY, ICE-T, BLADE u. a.], Hardcore-Pop [eine Wortgeburt in SWF III zugunsten von Prince], Hardcore-Techno, Hardcore-Jazz [John Zorn] usf. Dieser Ausdruck ist oft sehr problematisch; wird von gegenüber der strikt antisexistischen Hardcore-Bewegung Unkundigen gerne dazu verwendet, sexistische Inhalte zu bezeichnen. Bekanntlich existierte Hardcore ja auch lange zuvor als ein Begriff aus der Pornobranche – eine Assoziation, die wohl noch immer in der Allgemeinheit vorrangig ist.

      In seiner Offenheit, die Hardcore auf seinem Weg in die Neunziger erfuhr, in der Zersplitterung, die zu einer verwirrenden, für Außenstehende kaum mehr entschlüsselbaren Aufteilung in Substile oder Fusionen führte (Straight Edge, Emocore, Grindcore, Speedcore, Post Punk, Crossover etc.), stellt sich eine Szene immer wieder selbst in Frage.

      1989 erzählt Armin Hoffmann von X-MIST, einem der ersten Hardcore-Labels in Deutschland, daß gerade in dieser Undefinierbarkeit eine Chance stecke: »Es gibt keine ›richtige‹ Entwicklung. Das Gute an dieser Szene ist, so lange sie so noch besteht, daß Entwicklungen nicht vorauszusehen sind. Ich konnte auch nicht voraussehen, daß es mal eine Band wie 2 BAD geben wird auf deutschem Niveau, oder international gesehen FUGAZI. Wer hätte damals gedacht, daß aus MINOR THREAT mal FUGAZI hervorgehen? Das ist das Positive, daß es immer innovativ bleibt.« Erst ein paar Jahre später, nachdem das hier als innovativ bezeichnete Undefinierte eine kommerzielle Ausschlachtung mit sich brachte und auch viele Bands sich als Hardcore bezeichneten, ohne damit irgendwelche politischen Hintergründe zu verbinden, vermehrten sich die Rufe gegen eine ins Beliebige führende, Radikalität verlierende Offenheit. »Ich will meine kleine intolerante Szene zurück« (EN-PUNKT-Fanzine, 1993), klagt Klaus N. Frick. Er sollte sie zurückbekommen. Hierzu mehr im Nachwort zum Thema Chaostage.

       Fuck fashion

       Zu den Klamotten gleich am Anfang

      Wenn man John Lydon glauben kann, fing alles ganz banal an; hatte überhaupt nicht zur Absicht, Beginn einer ›Bewegung‹ zu sein. Kurz nachdem John, der auch mal lange Haare hatte, bei seinen Eltern rausgeflogen war, lebte er zusammen mit Sid Vicious und einigen Hippies in einer WG und berichtet in No Irish, No Blacks, No Dogs:

      »Nicht nur die Nachbarn hassen uns, die anderen Hausbesetzer auch, wegen unseres Aussehens – kurze, hochstehende Haare und alte Anzüge. Zu diesem Zeitpunkt fing Sid an, sich ein wenig mehr wie ich zu kleiden. Ich verpaßte ihm seinen ersten anständigen Haarschnitt, der später Punk-Mode wurde. Du hast dir im wahrsten Sinne Haarklumpen rausgeschnitten. Die Idee dahinter war, keine Form in deiner Frisur zu haben – sondern es schauerlich aussehen zu lassen. Das war der Anfang von der ganzen Sache.«

      Die ›ganze Sache‹ endete in aufwendig gestylten Irokesenschnitten und mit Postkarten, wie man sie heute in jedem Londoner Souvenirladen kaufen kann. Noch vor dem Punk wird dort die Queen als Motiv an Attraktivität verlieren – darauf jede Wette!

      Irokesenschnitte hatte es zur Zeit der SEX PISTOLS noch nicht gegeben. Die Clique der ersten Punks trat zerschlissen auf: Weil kein Geld für neue Klamotten da war, wurde aus der Not eine Tugend, nämlich ein Stil gemacht. (Den Malcolm McLaren und andere sehr schnell in Geld umzusetzen wußten.) Die Punks, von denen sich Hardcore schließlich Mitte der Achtziger absetzte, hatten dagegen ein ganz anderes Outfit.

      Betrachtet man heute Photos von den klassischen Punkbands, also den PISTOLS, THE CLASH, WIRE und den STIFF LITTLE FINGERS, sehen die Beteiligten ziemlich propper und aus heutiger Sicht unspektakulär aus – weder übertriebenes Styling noch übertrieben zerfetzt. 1976 war man mit kurzen, selbstgeschnittenen Haaren schon eine Provokation.

      Übrigens: Die erste Punk-Generation war gar nicht, wie die bürgerliche Presse es gerne darstellte, bewußt häßlich und verdreckt, sondern sie hatte ganz schön viel Sex appeal (der Klamottenladen von Malcolm McLaren und Vivienne Westwood hieß nicht von ungefähr »Sex«). Dank ihres kreativen Umgangs mit Kleidung und Körper sahen die Punks oft sogar besser aus als der Rest der Gesellschaft. Das trifft in besonderem Maße auf die frühe New-York-Variante zu, zum Beispiel auf das transsexuelle Auftreten der NEW YORK DOLLS, das allerdings ein Kapitel für sich wäre. Was die Ungezwungenheit des Körperlichen anging, legte Johnny Rotten mehr Sex appeal als John Travolta an den Tag, Poly-Styrene mehr als Olivia Newton-John. Ein Sex appeal, das übrigens verschwand, als Punk mit seinen Nietengürteln und Irokesenfrisuren immer überstylter und phantasieloser wurde.

      ›Feierabend-Punk‹ ist schließlich, seit Punk sich immer mehr über Äußerlichkeiten präsentierte, Schmähbegriff für jene geworden, die eine Doppelexistenz führten, tagsüber in gewöhnlicher Kleidung eine gegenüber dem System angepaßte Existenz lebten bzw. einer geregelten Arbeit nachgingen, abends die Spraydose ansetzten und für ein paar Stunden den Anarcho spielten. In seiner Extremform jedoch (Iro, gefärbte Haare, Piercing, Tattoos) ist dem Punk eine solche Doppelexistenz fast unmöglich, während Hardcore-Anhänger kaum spezifisch antibürgerliche Merkmale zur Schau tragen. Die bunt bedruckten Band-T-Shirts, mögen sie auch aus Splatter-Motiven bestehen, unterscheiden sich auf den ersten Blick kaum vom farbenfrohen Boutiquen-Flitter. Kapuzenpullis und Militärhosen, letztere meist Bundeswehrbestand wie so manches Core-Accessoire (Schlafsack, Rucksack), dürften bei der Bevölkerung


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