Hexenjunge. Maj Bylock

Hexenjunge - Maj Bylock


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nicht der zahme Bär, der dort gehorsam vor dem Stock des Bärenbändigers tanzt.

      Bengt bemerkt nichts von alledem. Er lässt sich im Wirtshaus nieder und bekommt seinen Krug Bier. Und noch einen. Ist ein wenig berauscht und wird schläfrig. Kurz darauf schnarcht er, den Kopf an die Wand gelehnt.

      Da ...

      Flink schleicht sich Ulv davon. Er vergisst seine Angst vor all dem Neuen. Geschmeidig wie ein Wiesel huscht er zwischen seidengekleideten Damen und Herren in Lacklederschuhen und Hut hindurch.

      Eine zu Tode erschrockene Gans flattert kreischend vor seinen Füßen auf. Er stolpert. Kippt einen Korb mit goldgelben Äpfeln um, die nach allen Seiten rollen. Dann fällt er über einen Stoß Birkenholz, landet aber weich im Bettstroh des Alten, der es zum Verkauf anbietet.

      Benommen setzt er sich auf.

      Wo ist er?

      Hat er sich verirrt? Die Häuser hoch über ihm sehen so gleich aus. Die Straßen erstrecken sich in alle Richtungen. Welchen Weg sind Vater und er gekommen? Es ist so viel schwieriger, sich hier zurechtzufinden, als daheim im Wald.

      Da entdeckt Ulv die Alte mit dem Zuckerzeug. Und dort ist der Tanzbär! Dann ist er richtig gelaufen.

      Jetzt sieht er den Kirchhahn, der von der Turmspitze herunterguckt. An der Kirche sind Vater und er vorbeigegangen, daran erinnert er sich.

      Ja, dort! Endlich! Da hinten steht eine Reihe Wagen. Dort müssen sie ihren auch abgestellt haben.

      Aber das Fohlen kann Ulv nicht entdecken. Stand es nicht hinter einem leuchtend grünen Karren? Er eilt umher und sucht. Es gibt so viele grüne Wagen hier.

      Da hört er das Fohlen wiehern. Es scharrt mit den Hufen. Als hätte es ihn wiedererkannt und gerufen!

      Gleich steht er neben ihm und schlingt die Arme um seinen silbergrauen Hals. Er flüstert: »Jetzt wollen wir uns nie mehr trennen.«

      Er holt einen Eimer Wasser und gibt dem Fohlen zu trinken.

      Da kommt der Bauer, dem das Fohlen gehört. Ulv sagt, dass er es kaufen will.

      »Hast du so viel Geld?«, fragt der Bauer.

      »Nein, ich nicht, aber Vater. Wenn Vater nicht bezahlen will, werde ich Knecht bei dir«, sagt Ulv bestimmt. »Denn das Fohlen lasse ich nie mehr allein.«

      Der Bauer lacht und gibt ihm die Hand darauf. »Abgemacht!«

      Erst da erinnert sich Ulv ...

      Wie lange ist es her, dass er vom Wirtshaus weggelaufen ist? Die Sonne steht schon hoch am Himmel.

      9

      Im Wirtshaus schnarcht Bengt noch immer. Er wacht auf und ruft nach einem neuen Krug Bier. Da bemerkt er, dass der Junge verschwunden ist. Wo ist er geblieben?

      Bengt vergisst das Bier und läuft in die Stadt hinaus.

      Ängstlich fragt er alle auf seinem Weg: »Sagt, habt ihr einen Jungen mit flachsblondem Haar und blauen Augen gesehen?«

      »Ja«, antworten alle.

      Der Alte, der Quirle verkauft, zeigt hierhin.

      Das Mädchen mit den Stoffen zeigt in eine andere Richtung.

      Denn hier haben beinahe alle Jungen flachsblondes Haar und blaue Augen.

      Bengt findet ihn, als er sich gerade mit dem Bauer einig geworden ist. Da packt ihn plötzlich der Zorn.

      Er schüttelt Ulv und schimpft ihn aus.

      Aber der Bauer geht dazwischen.

      Bengt lässt Ulvs Arm los und schämt sich. Ulv muss erklären.

      Und als Bengt das Silberfohlen sieht, versteht er Ulv. Das Fohlen ist schöner als jedes andere.

      Bengt steht ein Weilchen da und denkt nach. Er rechnet sein Geld Münze für Münze durch. Salz muss er kaufen, doch auf den Topf und den Kleiderstoff müssen sie verzichten.

      Ja, und die Geige ...

      Die muss wohl noch ein paar Jahre warten. Ich werde neue Saiten für die alte drehen müssen, denkt Bengt. Und unser Pferd wird langsam alt. Wir brauchen bald ein neues, das das andere ablöst, wenn es zu kraftlos wird.

      Ulv wagt sich nicht zu rühren und hält den Atem an.

      Als die Sonne am Himmel nach Westen zieht, rollt der Karren heimwärts. Neben ihm läuft das Silberfohlen.

      »Du heißt Silbergrau«, flüstert Ulv in das seidenweiche Ohr. »Und du gehörst mir.«

      Silber?

      Was weiß Ulv von Silber?

      Schmuck und andere Kostbarkeiten hat er nie gesehen. Doch viele Abende hat er am Fluss gesessen und das Spiegelbild des Mondes im Wasser betrachtet.

      Jetzt findet er, dass Fell und Hufe des Fohlens sogar noch herrlicher schimmern als der Mond. Die weiße Mähne steigt wie eine Nebelwolke über dem gebogenen Hals des Tieres auf.

      Als Gertrud Silbergrau auf dem Hof erblickt, erbleicht sie. Solche Pferde gehören nicht zu Menschen, das weiß sie. Nein, ihr Zuhause ist bei dem Elfenvolk. Sie bringen niemals Glück.

      Doch die Alte schweigt und schaut verstohlen zu Anneli hinüber.

      Ich sage nichts, denkt sie. Anneli weiß es schon selbst, wo sie doch eine Hexe ist.

      Ulv merkt nichts davon. Er tanzt über den Hof und ruft glücklich: »Komm her und streichle ihn, Mutter! Er heißt Silbergrau und gehört mir!«

      10

      Ja, Silbergrau gehört Ulv.

      Ville, das Hündchen, fühlt sich vernachlässigt. Es starrt eifersüchtig zu Ulv, wenn er Silbergrau Heu und Wasser gibt. Und jedes Mal, wenn Ulv den Stall ausmistet, steht Ville mitten im Dreck und bellt den großen Besen wütend an.

      Das erste Mal, als Ulv auf Silbergrau reiten will, packt Ville das Pferd beim Hufhaar und lässt es nicht mehr los. Steht da und knurrt drohend. Bengt muss den Hund in die Arme nehmen und ganz festhalten. Sonst kann Silbergrau nicht freikommen.

      Silbergrau läuft in ruhigem Schritt über den Hof, obgleich er das erste Mal einen Reiter trägt. Und Ulv ist das Reiten gewohnt. Es ist, als hätten die beiden seit jeher zusammengehört.

      Aber Ville ist noch immer eifersüchtig.

      Ulv muss ihn vor sich auf den Sattel nehmen, so wie Ulv selbst vor Bengt reiten durfte. Und jetzt ist Ville zufrieden. Seine Nasenspitze zeigt stolz nach vorn. Die Ohren flattern fröhlich im Wind. Er genießt es, noch einmal vorwärts zu fliegen, hoch über dem harten Boden. Selbst schafft er es ja kaum noch, dahinzustürmen.

      Sattellos sprengen sie über Felder und Wiesen.

      Erforschen neue Gegenden, weiter entfernt, als sie sie zuvor erreichen konnten. Bahnen sich einen Weg tief hinein in die dunkelgrünen Verstecke des Waldes.

      Silbergrau scheint nie müde zu werden und geschickt weicht er Ästen und Zweigen aus. Die Hufe bewegen sich leicht, als berührten sie die Erde nicht.

      Ein weiteres Pferd im Stall heißt auch Arbeit. Ulv kehrt den Mist aus und trägt Heu aus der Scheune herbei. Er füllt Trinkwasser in den Eimer. Doch oft nimmt er sich Zeit, das Tier zu liebkosen, oder er stiehlt sich zu einem Ausritt davon, der länger dauern kann, als er zunächst beabsichtigt hat ...

      Anneli murrt. Doch nicht, weil sie den Stoff nicht bekommen hat. Das kann sie verkraften. Sie sieht schließlich ebenso gut wie Bengt, dass Silbergrau etwas Besonderes ist.

      Nein, Anneli findet, der Junge sei wie ausgewechselt, seit das neue Pferd auf den Hof gekommen ist. Er vergisst, Brennholz und Wasser hereinzutragen. Das muss sie selbst tun. Er schleicht sich fort, wenn er auf dem Acker mithelfen soll.

      Will man etwas von ihm, ist er nirgendwo zu sehen. Entweder sitzt er im Stall oder er ist mit


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