Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5. Inger Gammelgaard Madsen

Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5 - Inger Gammelgaard Madsen


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zwei gespreizten Fingern, als ob sie es eklig fände. Sara suchte nach einem Aschenbecher im Schrank und nahm ihn mit hinaus auf den Tisch.

      »Ich dachte, du hättest damit aufgehört.«

      »Dachte ich auch. Aber jetzt hast du mich so damit erschreckt, dass du beinahe umgefallen bist, daher musste ich …«

      »Du musst dir meinetwegen keine Sorgen machen, Mama. Und erzähl es nicht Papa; du weißt, wie er ausflippen wird.« Und dann habe ich ihn heute Abend hier sitzen, dachte sie, und trank aus ihrem Wasserglas.

      »Nein, nein, das werde ich nicht.« Benedikte lächelte über die Zurechtweisung ihrer Tochter.

      »Geht’s Papa ansonsten gut?«

      »Papa geht’s bestens. Aber er hat angefangen die Tage zu zählen, bis er pensioniert wird. Also mit Grausen. Er weiß nicht, was er machen soll, wenn er die Tiere nicht mehr hat.«

      »Es ist noch fast ein Jahr, bis er pensioniert werden soll. Wieso jetzt darüber spekulieren?«

      »Du kennst doch deinen Vater. Ich habe ihm gesagt, er sollte stattdessen lieber darüber nachdenken, was er sich für lustige Hobbys zulegen könnte, die die Zeit ausfüllen.«

      »Ich verstehe einfach nicht, dass er die Tierklinik schließen will. Die Tiere sind doch sein Leben. Und deins auch.« Sie schenkte ihrer Mutter Kaffee nach. Plötzlich war der Wind kühl geworden.

      »Papas Rücken macht das nicht mehr mit. Ich bin mir sicher, er findet etwas anderes, wenn es so weit ist. Das Gleiche gilt für mich. Er kann sich ja auch für die Rücken-OP entscheiden, an die er sich nicht traut, obwohl sie ihm vielleicht helfen kann, dann könnte ich ihn pflegen und wir würden beide unsere Arbeitslosenprobleme zur gleichen Zeit lösen.«

      Sara nickte nur. Sie unterstützte ihren Vater darin, sich in seinem Alter nicht mehr einer so großen Operation zu unterziehen. Vielleicht könnte sie ihm helfen, aber es könnte auch das Gegenteil der Fall sein. Das Schlimmste könnte passieren. Das schlimmste Denkbare. Um seine Haltung zu pointieren, hatte er seine Familie mehrfach an den Zwischenfall erinnert, als er einen ansonsten starken und aufrechten Vollbluthengst wegen einer Rückenverletzung operiert hatte. Es endete damit, dass er lahmte und kurz darauf eingeschläfert werden musste. »Das kannst du nicht vergleichen, Poul«, hatte Mama gesagt. »Das war etwas Unvorhersehbares, das schiefgegangen ist.« »Und wer sagt, dass ich nicht an einen genauso großen Quacksalber wie mich selbst gerate?«, hatte er mit einem Kloß im Hals erwidert. »… und es war nicht deine Schuld«, hatte Mama sofort hinzugefügt. Poul Erik Steenberg war ein kompetenter Tierarzt. Aber Sara hatte die Furcht in seinen Augen gesehen, und was ihr wirklich Angst einjagen konnte, war der Gedanke, ihn zu verlieren. Sie beide. Vielleicht eine kleine gerechte Rache für damals, als sie fürchteten, sie zu verlieren.

      Es wurde kalt, als die Wolken kamen und den Himmel wie mit einer Decke überzogen. Sie gingen hinein in ein Haus, das nach Putzmitteln roch, und nicht eine Staubflocke war zu sehen. Benedikte litt an unkontrollierter Putzwut, mit der Sara aufgewachsen war. Nicht, dass sie diese Last sonderlich geerbt hätte. Der Reinlichkeitswahn ihrer Mutter war, wenn man so wollte, eine Folge der Arbeit ihres Vaters, als sie sich nämlich entschied, mithelfende Gattin zu werden; in einer Tierklinik musste es genauso klinisch rein sein wie in einem Krankenhaus. Oft hat Sara gedacht, dass es in ihrem Elternhaus sauberer war als in sämtlichen Krankenhäusern der Stadt. Ein weiterer guter Grund, ihren Vater dort nicht für eine komplizierte Rücken-OP einzuweisen.

      Sie bot ihrer Mutter an, zum Essen zu bleiben. Kasper würde nach Hause kommen. Er hatte ab Mittag frei genommen, um mit seiner schwangeren Freundin an ihrem freien Tag zusammen zu sein, deswegen hatte sie mit dem Großreinemachen frühmorgens angefangen, damit es sauber und gemütlich war, wenn er heimkam. Sie hatte auch ein Mittagessen geplant, wie er es mochte. Aber Benedikte wollte nach Hause, Sara sollte es sich mit Kasper gemütlich machen. Stattdessen bekam sie eine Umarmung, einen Kuss auf die Wange und weitere Ermahnungen.

      Sara setzte sich mit einem müden Lächeln hin, als die Reifen von Mamas Chevrolet über den Kies knirschten und sie mit hohem Tempo auf die Straße bog. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie einen Strafzettel für zu schnelles Fahren bekäme.

      Sara fing an, das Mittagessen vorzubereiten, nachdem sie sich ein bisschen ausgeruht hatte, trank noch ein paar Gläser Wasser und genoss die saubere Umgebung, von der sie wusste, dass auch Kasper Wert darauf legte. Kartoffelsalat und Frikadellen waren das geplante Menü. Kasper liebte das. Mitten beim Kartoffelschälen klingelte das Handy, das wie immer in der Nähe lag. Das war eine Anweisung von Kasper; falls etwas passieren sollte. Alle machten sich solche Sorgen, dass es auch sie ganz besorgt machte. Sie nahm das Telefon mit zwei nassen Fingern und klemmte es zwischen Schulter und Kinn fest, sodass sie während des Gesprächs weiter Kartoffeln schälen konnte.

      »Sara«, meldete sie sich ein bisschen abweisend und rechnete damit, dass es einer der üblichen aufdringlichen jungen Zeitungs- oder Werbeanrufer mit unterdrückter Nummer und Nebenjob war, um Geld fürs Studium zu verdienen.

      »Sara Dupont? Ich rufe von der Intensivstation im Aarhus Universitätsklinikum in Skejby an …«

      Die Frauenstimme war ruhig und achtungsgebietend. Auf Saras nackten Armen breitete sich eine Gänsehaut aus.

      »Ist … ist etwas passiert?« Die Hände waren immer noch im Wasser und wühlten nach einer zu schälenden Kartoffel, obwohl sie sich innerlich kalt und gelähmt fühlte. War es Kasper?

      »Benedikte Steenberg ist Ihre Mutter, ist das richtig?«

      Sara nickte, aber die Antwort blieb ihr im Hals stecken.

      »Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass sie hier auf die Intensivstation eingeliefert wurde. Ein Autounfall. Es ist sehr ernst. Ich würde empfehlen, dass Sie sofort herkommen, wenn Sie sie noch sehen wollen, bevor sie …«

      Das Handy glitt von der Schulter und landete in Wasser und Kartoffeln. Zur gleichen Zeit fuhr ein stechender Schmerz durch den Unterleib, der sie in die Knie zwang, während sie laut schluchzte und sich am Rand des Küchentischs festhielt. Schwach hörte sie draußen auf dem Hof eine Autotür zufallen und Kaspers munteren Gruß vom Eingang und merkte, dass er sie vom Fußboden hochhob und in einen Sessel platzierte. Sie zitterte vor Weinen, aber es kam kein Laut. Kasper ging vor ihr in die Hocke.

      »Sara, was ist denn passiert? Du stehst ja unter Schock.«

      Unzusammenhängend berichtete sie von dem Anruf der Intensivstation. Er nahm ihre Hände und drückte sie so fest, dass es wehtat.

      »Wo liegt sie? Wir fahren sofort los.«

      »Ich weiß es nicht … das … das hat sie nicht gesagt, ich …«

      Kasper stand schnell auf und nahm sein Handy aus der Tasche. Er wollte sie etwas fragen, rief aber stattdessen die Auskunft an. Kurz darauf gab er eine Nummer ins Telefon ein und lauschte mit einer tiefen Falte zwischen den dunklen Augenbrauen. Sara sah, wie sich seine Lippen bewegten, die Worte hörte sie nicht. Sie umklammerte fest die Armlehne des Sessels und war kurz davor, wieder ohnmächtig zu werden. Versuchte tief einzuatmen und in Kaspers Augen zu lesen. Zuerst waren sie besorgt, dann nahmen sie einen wütenden Ausdruck an. Er unterbrach die Verbindung, rief aber sofort wieder an. Jetzt kamen die Geräusche zurück. Seine Stimme drang langsam durch, aber sie verstand immer noch nicht, was er sagte. Er reichte ihr das Telefon, sie nahm es passiv und verwundert mit einer Hand, die zitterte, entgegen.

      »Schätzchen, was ist denn passiert?« Das war Mamas Stimme. Sie klang nicht wie eine Sterbende, die auf der Intensivstation lag.

      »Eine Krankenschwester hat aus dem Krankenhaus angerufen … sie hat gesagt … sie hat gesagt, dass du … dass du …« Ihr Weinen erstickte die letzten Worte. Kasper setzte sich auf die Armlehne neben sie und zog sie an sich. Strich ihr übers Haar.

      »Das war ein kranker Scherz, Sara. Ein sehr kranker Scherz. Wer kommt denn auf … ich bin schon lange gut nach Hause gekommen, ich sitze hier zusammen mit Papa und genieße ein Glas Wein. Willst du mit ihm sprechen …?«

      Sara konnte nicht mit Worten antworten, nur den Kopf schütteln


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