Seewölfe - Piraten der Weltmeere 672. Jan J. Moreno

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 672 - Jan J. Moreno


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er. „Verschwinden Sie samt Ihrem üblen Pack. Statt meine Geduld zu strapazieren, sollten Sie meine Großzügigkeit schätzen. Ich könnte Ihr Schiff konfiszieren.“

      „Ist das Ihr letztes Wort?“

      Sir Thomas Carnavon stützte den rechten Arm auf die Balustrade, kniff das linke Auge zusammen und fixierte mit dem rechten über den Lauf seiner Waffe hinweg den Seewolf. Im nächsten Moment drückte er ab. Die Kugel fuhr einen halben Yard neben Hasard in die Planken, der jedoch so unbewegt stehen blieb, als sei nicht das Geringste vorgefallen.

      „Das war mein letztes Wort!“ höhnte Carnavon. „Haben Sie das begriffen?“

      „Trimmt die Segel!“ befahl er im selben Atemzug. Ohne die Reaktion des Seewolfs abzuwarten, wandte er ihm den Rücken zu. „Ruder ein Strich Steuerbord!“

      Die „Respectable“ löste sich von der Schebecke und schwenkte, hart am Wind, auf Westkurs ein. Das Kriegsschiff mußte die vorspringende Küste runden, bevor es auf Südkurs gehen konnte. Aber selbst dann würden Kreuzschläge unvermeidlich sein.

      „Setzt alles Tuch!“

      „Sir, wir segeln in die Nacht hinein“, gab John Macleod of Dunvegan-Castle, der Dritte Offizier, zu bedenken. Sein weißgepudertes Gesicht wirkte in der Dämmerung wie eine starre Maske. Der Schatten des schwarzen Biberhuts fiel über seine Augen. „Fürchten Sie, der Pirat könnte recht behalten?“

      „Womit?“

      „Daß die Portugiesen uns folgen werden.“

      „Dummes Geschwätz!“ Sir Thomas Carnavon tat den Einwand mit einer verärgerten Handbewegung ab. „Aber die Nähe dieses Killigrews ist mir zuwider.“

      John Macleod nickte verständnisvoll.

      „Was wird aus dem Pack?“ fragte er einen Atemzug später und deutete auf die Kuhl hinunter. „Whistler vernachlässigt seinen Gehorsam.“

      „Ich übe Großmut“, sagte der Kommandant.

      „Das – das kann nicht Ihr Ernst sein, Sir.“

      „Sehr richtig“, wandte auch Godfrey Ballantine, Earl of Berwick-upon-Tweed, ein. „Wenn die Kerle ungestraft aufmucken dürfen, tanzen uns bald alle auf der Nase herum.“

      Sir Thomas vollführte eine einladende Geste. „Bitte, Sir Godfrey, tun Sie sich keinen Zwang an. Hängen Sie die Burschen kopfunter an die Rah.“

      „Ich …? Das ist wohl eher Sache des Profosen.“

      In Carnavons hellen Augen blitzte es auf. Zögern fuhr er mit beiden Händen durch sein schon lichtes graues Haar.

      „Sie scheinen nicht hinreichend informiert zu sein, Gentlemen.“ In seiner Stimme schwang mühsam verhaltener Triumph mit. Endlich hatte er gegenüber den Lords die besseren Argumente: „Whistler wurde von dem narbengesichtigen Riesen zusammengeschlagen.“

      „Das ist Aufruhr!“ schnaubte John Macleod. „Wenn keiner gegen Carberry vorzugehen wagt, muß er eben einen bedauerlichen Unfall erleiden.“

      „Die vier anderen werden das nicht hinnehmen“, sagte Sir Thomas seufzend.

      Godfrey Ballantine lachte hell und geziert. Umständlich zupfte er seine weißgraue Perücke zurecht.

      „Es sei mir erlaubt, darauf hinzuweisen, daß auch ein Bennet Whistler nicht ungestraft Befehle ignorieren darf. Das bedeutet, daß wir ihn kielholen müssen.“

      „Meine Lords, Sie denken zu wenig praktisch“, sagte Carnavon. „Es gut, den Willen der fünf Kerle zu brechen. Nicht mit den Fäusten, sondern damit …“ Er tippte sich an den Schädel. „Die Crew muß sehen, daß die Kerle genauso verwundbar sind wie jeder andere auch.“

      „Sie haben einen Plan, Sir Thomas?“ fragte John Macleod.

      Der Kommandant lächelte zufrieden. Zumindest momentan wirkte er nicht mehr deprimiert. Auf dem Absatz drehte er sich um und rief zur Kuhl hinunter: „Lord Hyram, ich wünsche nicht, daß die Leute bestraft werden!“

      „Sir …“

      „Wir brauchen jede Hand, die zupacken kann.“ Der Kommandant wandte sich an die fünf Arwenacks: „Ich lasse Gnade vor Recht ergehen, weil uns Killigrew gegen die Portugiesen beigestanden hat – doch dafür erwarte ich absoluten Gehorsam.“

      Die Arwenacks sahen sich überrascht an. Schließlich sagte Carberry: „Aye, Sir. An uns soll es nicht liegen.“

      Blutrot versank die Sonne im Meer, die Nacht zog schnell über dem Land herauf. Die in der Hafenbucht liegenden Portugiesen setzten die ersten Laternen.

      „Vor dem neuen Morgen können Sie uns nicht folgen“, behauptete der Kommandant. „Bis dahin sind wir längst weit genug entfernt.“

      Das letzte Marssegel entfaltete sich. Im Widerschein der sinkenden Sonne und vor dem düster werdenden Hintergrund waren die Männer auf der Rah nur noch als Schatten zu sehen.

      Sir Thomas blickte achteraus, wo die Flußmündung rasch von der Finsternis verschluckt wurde. Für eine Weile flackerten noch die Laternen der Portugiesen wie winzige Irrlichter durch die Nacht.

      Dann war die „Respectable“ allein. In spitzem Winkel, mit geblähten Segeln, stampfte sie gegen die Wellen und die auflaufende Flut an. Der Mond hielt sich hinter Wolkenschleiern verborgen, die Schebecke der Seewölfe hatte sich allem Anschein nach an der Küste entlang nach Norden abgesetzt. Das Land zeichnete sich ohnehin nur noch als schmale Silhouette hinter dem Kriegsschiff ab.

      Die Laternen wurden angesteckt. Sie erhellten die Decks mit warmem, flackernden Lichtschein.

      Sir Thomas Carnavon hatte Zeit, mit seinen Offizieren zu sprechen. Godfrey Ballantine redete danach dem Profos und dem Bootsmann ins Gewissen. Am Ende der recht einseitigen Unterhaltung wirkte er sehr zufrieden. Niemand dachte daran, sich Befehlen zu widersetzen.

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