Nana. Emile Zola

Nana - Emile Zola


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      Emile Zola

      Nana

      Übersetzt Gerhard Krüger

      Saga

      Nana ÜbersetztGerhard Krüger Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1880, 2020 Emile Zola und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726642902

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

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      – a part of Egmont www.egmont.com

      KAPITEL I

      Um neun Uhr war der Zuschauerraum des Théâtre des Variétés 1 noch leer. Auf dem Balkon und im Parkett warteten einige Leute verloren zwischen den granatfarbenen Samtsesseln im Dämmerlicht des mit halber Flamme brennenden Kronleuchters. Ein Schatten ertränkte den großen roten Fleck des Vorhangs, und kein Geräusch kam von der Bühne; das Rampenlicht war nicht angezündet, die Pulte der Musiker in Unordnung. Nur oben im dritten Rang rings um die Kuppel der Decke, wo sich nackte Frauen und Kinder in einen vom Gas grün gewordenen Himmel hinaufschwangen, drangen Zurufe und Gelächter aus einem ununterbrochenen Stimmengewirr hervor, stiegen mit Hauben und Mützen bedeckte Köpfe unter den breiten, runden, mit Gold umrahmten Fensteröffnungen stufenförmig an. Ab und zu zeigte sich eine geschäftige Platzanweiserin mit Eintrittskarten in der Hand und schob einen Herrn und eine Dame vor sich her — der Mann im Frack, die Frau dünn und gekrümmt —, die sich setzten und langsam den Blick umherschweifen ließen. Zwei junge Leute erschienen im Parkett. Sie blieben stehen und sahen sich um.

      „Was habe ich dir gesagt, Hector?“ rief der ältere, ein großer Bursche mit kleinem schwarzem Schnurrbart. „Wir kommen zu früh. Du hättest mich ruhig meine Zigarre zu Ende rauchen lassen können.“

      Eine Platzanweiserin kam vorbei.

      „Oh, Herr Fauchery“, sagte sie vertraulich, ,,vor einer halben Stunde fängt es nicht an.“

      „Warum steht dann neun Uhr auf den Plakaten?“ brummte Hector, dessen langes, hageres Gesicht einen ärgerlichen Ausdruck annahm. „Heute morgen hat mir Clarisse, die mitspielt, noch geschworen, daß es Punkt neun Uhr anfängt.“

      Einen Augenblick schwiegen sie, blickten hoch und suchten das Dunkel der Logen ab. Aber die grüne Tapete, mit der sie ausgeschlagen waren, machte sie noch düsterer. Unten versanken die Parterrelogen unter der Galerie in völliger Nacht. In den Balkonlogen befand sich nur eine dicke Dame, die sich auf den Samt der Brüstung lehnte. Die mit langen Fransenbehängen drapierten Proszeniumslogen, rechts und links zwischen hohen Säulen, blieben leer. Der weiße und goldene, mit zartem Grün belebte Zuschauerraum verschwamm, durch die niedrig brennenden Flammen des großen Kristallkronleuchters gleichsam mit feinem Staub angefüllt.

      „Hast du deine Proszeniumsloge für Lucy bekommen?“ fragte Hector.

      „Ja“, antwortete der andere, „aber es hat einige Mühe gekostet . . . Oh, es besteht keine Gefahr, daß ausgerechnet Lucy zu früh kommt.“ Er unterdrückte ein leichtes Gähnen; nach einem Schweigen sagte er dann: „Du hast Glück, du hast doch noch keine Premiere gesehen . . .,Die blonde Venusʻ wird das Ereignis des Jahres. Seit einem halben Jahr spricht man davon. Oh, mein Lieber, eine Musik! So ein Schwung! — Bordenave, der sein Geschäft versteht, hat das für die Ausstellung aufgehoben.“

      Hector hörte andächtig zu. Er stellte eine Frage:

      „Und Nana, der neue Stern, der die Venus spielen soll, kennst du sie eigentlich?“

      „Hör bloß auf! Das geht also schon wieder los!“ rief Fauchery und warf die Arme in die Luft. „Seit heute morgen fällt man mir mit Nana auf die Nerven. Ich habe mehr als zwanzig Leute getroffen, und Nana hier und Nana dort! Was weiß ich denn? Kenne ich etwa alle Dirnen von Paris? — Nana ist eine Entdeckung von Bordenave. Das muß ja was Sauberes sein!“ Er beruhigte sich. Aber die Leere des Zuschauerraums, das Zwielicht des Kronleuchters, diese kirchengleiche Andacht voller flüsternder Stimmen und Türenschlagen reizte ihn. „Ach was“, sagte er plötzlich, „hier langweilt man sich ja. Ich, ich gehe hinaus . . . Vielleicht finden wir Bordenave unten. Er wird uns Näheres erzählen.“

      Unten in dem großen, mit Marmorfliesen ausgelegten Vestibül, wo die Karten kontrolliert wurden, begann sich das Publikum zu zeigen. Durch die drei offenen Gitter sah man das hitzige Leben der Boulevards vorüberziehen, die in der schönen Aprilnacht wimmelten und flammten. Wagenrollen hielt plötzlich inne, Kutschenschläge schlossen sich geräuschvoll, und Leute traten in kleinen Gruppen ein, blieben vor der Kontrolle stehen und stiegen im Hintergrund die Doppeltreppe hinauf, auf der die Frauen, sich in den Hüften wiegend, verweilten. In dem grellen Gaslicht prangten aufdringlich auf der bleichen Nacktheit dieses Saales, aus dem eine dürftige Empiredekoration eine Tempelsäulenhalle aus Pappe machte, hohe gelbe Plakate mit dem Namen Nanas in dicken schwarzen Lettern. Herren lasen sie, gleichsam im Vorbeigehen aufgegabelt; andere plauderten im Stehen und versperrten die Türen, während an der Theaterkasse ein untersetzter Mann mit breitem, glattrasiertem Gesicht den Leuten, die darauf bestanden, noch Plätze zu bekommen, grobe Antworten gab.

      „Da ist Bordenave“, sagte Fauchery und stieg die Treppe hinunter.

      Der Direktor hatte ihn jedoch bemerkt.

      „Na, Sie sind ja nett!“ schrie er ihm von weitem zu. „So also haben Sie die Besprechung für mich geschrieben . . . Heute morgen habe ich den ,Figaroʻ aufgeschlagen. Nichts.“ „So warten Sie doch!“ antwortete Fauchery. „Ich muß Ihre Nana doch erst kennenlernen, bevor ich sie bespreche . . . Übrigens habe ich nichts versprochen.“

      Um der Sache ein Ende zu machen, stellte er dann seinen Vetter vor, Herrn Hector de la Faloise, einen jungen Mann, der nach Paris gekommen war, um seine Bildung abzuschließen. Der Direktor prüfte den jungen Mann mit einem raschen Blick. Hector jedoch musterte ihn aufgeregt. Das also war Bordenave, dieser Schausteller von Frauen, der sie wie ein Sträflingsaufseher behandelte, dessen Hirn immer von irgendeiner Reklame rauchte, der schrie, spuckte, sich auf die Schenkel schlug, zynisch war und einen Polizistenverstand hatte! Hector glaubte etwas Freundliches sagen zu müssen.

      „Ihr Theater...“, begann er mit Flötenstimme.

      Bordenave, als ein Mann, der klare Verhältnisse liebt, unterbrach ihn gelassen mit einem groben Wort:

      „Sagen Sie: mein Puff.“

      Da lachte Fauchery zustimmend, während La Faloise sein Kompliment in der Kehle steckenblieb. Er fühlte sich vor den Kopf gestoßen, versuchte aber so zu tun, als fände er Geschmack an dem Wort. Der Direktor war davongestürzt, um einem Theaterkritiker, dessen Feuilleton großen Einfluß hatte, die Hand zu drücken. Als er zurückkam, faßte sich La Faloise wieder. Er fürchtete, als Provinzler behandelt zu werden, wenn er sich zu verwirrt zeigte.

      „Man hat mir gesagt“, begann er wieder, da er unbedingt etwas finden wollte, „Nana habe eine köstliche Stimme.“

      „Die!“ rief der Direktor und zuckte die Achseln. „Eine richtige Klistierspritze!“

      Der junge Mann fügte eilends hinzu:

      „Aber eine ausgezeichnete Schauspielerin.“

      „Die! — Ein Trampel! Sie weiß nicht, wo sie mit den Füßen und den Händen hin soll.“

      La Faloise errötete leicht. Er wurde nicht mehr schlau daraus. Er stammelte:

      „Um nichts auf der Welt hätte ich die Premiere heute abend versäumt. Ich wußte, daß Ihr Theater . . .“

      „Sagen Sie: mein Puff“, unterbrach ihn Bordenave erneut mit dem kalten Eigensinn eines überzeugten Menschen.

      Inzwischen betrachtete Fauchery in aller Ruhe die eintretenden Frauen. Er kam seinem Vetter zu Hilfe, als er ihn mit offenem Mund dastehen sah, wie er nicht wußte, ob er lachen oder sich ärgern sollte.

      „Mach


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