Ponyglück bei Lise Gast. Lise Gast

Ponyglück bei Lise Gast - Lise Gast


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ist immer traurig, sich von ihnen zu trennen, und Mutter überlegt den ganzen Sommer, wie sie es uns versüßen kann. Ein halbes Jahr springen unsere winzigen Ponykinder ums Haus, kommen neugierig ans Fenster oder auf den Sitzplatz, betteln um Brot und toben hinter uns her, wenn wir durch den Wald reiten. Nun sollen wir sie hergeben, an fremde Leute ...

      Wir richten es immer so ein, daß sie zu möglichst netten Leuten kommen, die uns gefallen. Nicht als Spielzeug, sondern zu Kindern, die sie vernünftig behandeln und später reiten und fahren wie wir, oder zu andern Ponys. Ponys sollte man immer in der Mehrzahl haben, sie werden, allein gehalten, leicht schwermütig, und wir können ihnen das gut nachfühlen. Wir sind auch an die Herde gewöhnt, die uns umgibt, die uns wärmt und schützt.

      In jener Adventszeit also sollte Hanko verkauft werden, ein süßer kleiner Rapphengst, Sohn von unserer Appelschnut, die wir auch schon als Fohlen besaßen. Hanko, ein Shetlandpony, etwa einen Meter hoch, kam glücklicherweise nach Murrhardt zu einem Arzt, der auch Isländer besitzt. Wir hatten ihn vorher besucht und uns alles genau angesehen, Stall und Weide, und vor allem die zukünftigen Gefährten unseres kleinen Hengstes. Murrhardt liegt zweiunddreißig Kilometer vom Ponyhof entfernt. Ben überlegte sich dies alles, und dann rückte er an seinem Geburtstag mit dem diesjährigen Sonderwunsch heraus:

      Wir sollten Hanko erst am ersten Weihnachtsferientag, also kurz vor dem Heiligen Abend, verkaufen, und er wollte im Transporter mit ihm mitfahren, um ihn sicher hinzubringen. Nicht nur er, sondern auch Winnetou, sein kleiner weißer Hengst, sein Pony, auf dem kein anderer reiten kann, weil wir alle schon zu groß sind, so jedenfalls sagen wir. Er sagt, weil er keinen anderen auf seinem Rücken dulden würde, denn Winnetou ist ein Übermut und schmeißt mitunter auch Ben ab, so bockelt und hopst und tobt er. Winnetou also sollte auch mitfahren, und am nächsten Tage sollten die beiden, Ben und Winnetou, allein zurückreiten. Ben war damals zwölf Jahre alt und fand einen solchen einsamen Überlandritt im Schnee das Schönste, was er sich vorstellen konnte.

      Gut, er durfte. Das aber ließ Steffi nicht ruhen. Sie, die vier Jahre älter ist, sollte so etwas nicht können? Sie grübelte und grübelte, und schließlich verkündete sie, sie wünschte sich zum Geburtstag, am letzten Schultag in die Schule reiten zu dürfen.

      Das klingt vielleicht bescheiden und gar nicht großartig. Man muß aber wissen, daß das Städtchen, zu dem der Ponyhof gehört, keine höhere Schule hat und die Kinder mit der Bahn in die Kreisstadt fahren müssen. Steffis Schule also liegt sechzehn Kilometer weit entfernt. Wenn sie hin und zurück ritt, war es genauso ein langer Weg wie der von Ben von Murrhardt her.

      Schön. Auch das wurde ihr genehmigt. Und diesmal kam Weihnachten vielleicht noch langsamer und noch heißer erwartet und ersehnt heran als sonst, so freuten sich die beiden auf ihre Ritte. Sie konnten es kaum erwarten.

      Immer ist die Adventszeit herzbeklemmend erwartungsvoll. Da kommt die langersehnte Fahrt mit dem Dogcart – wenn der Schnee noch zu dünn ist – oder mit dem Pferdeschlitten in den Wald, um Tannengrün für den Adventskranz und Moos für die Krippe zu sammeln. Wochenlang haben wir schon bei unsern Waldritten nach gefällten Tannen ausgespäht, von denen wir gutes, wertbeständiges Tannengrün, am besten Weißtanne, bekommen können. Denn die Zimmer in unserm winzigen Häuschen sind sehr niedrig, und da wir es tüchtig warm haben wollen, nadelt so ein Kranz schnell, wenn er aus Fichte ist. Meistens gelingt es nach langen Erkundungsritten, doch noch »richtige« Tanne zu finden. Wenn wir den Förster treffen, dann fragen wir: »Dürfen wir von dem Baum an der Fuchsklinge – oder am Galoppweg – oder am Kreuzbühl – Tannengrün haben?« Erst guckt er grimmig und tut, als wollte er es uns verbieten. Und dann schmunzelt er und blinzelt uns zu und nickt ...

      Ach, der Tag, an dem es in unserer kleinen, holzgetäfelten Küche nach Harz und bitterem Tannenduft riecht und wir, heimkommend, Mutter auf einem niedrigen Schemel hokkend vorfinden, den Kranz windend, nicht ohne Gestöhne und die übliche, sich immer wiederholende Frage: »Wird er auch rund? Ich weiß nicht ...«

      Immer ist der Reifen weg, um den der Kranz gewunden werden soll, immer, nachdem er uns das ganze Jahr über in Werkstatt und Sattelkammer im Wege war. Eines Adventstages erfanden wir, den Kranz um einen alten Reifen vom Ponywagen zu winden. Unser Dogcart läuft gummibereift, und die Räder haben grade die richtige Größe. Wir empfehlen das allen Leuten, es geht wunderschön. Wer keinen Ponywagen hat, nimmt einen Motorradreifen, es ist dieselbe Größe.

      Nun hängt der Kranz. Auch die Ponys bekommen einen. Sie machen sich nicht viel daraus, aber wir finden es hübsch. Und mindestens zweimal in der Woche muß eins von ihnen nachmittags in die Stadt tackeln und Päckchen auf die Post bringen. Mutter packt und packt. Diese Fahrt nehmen wir ihr gern ab, denn wir bringen nicht nur Päckchen auf die Post, wir holen auch welche. Fast immer sind welche für uns da, und die werden beguckt, berochen, begrübelt – wer schickt sie, was mag drin sein, wen werden sie betreffen? Manchmal kann man es aus dem Absender erraten. Manchmal aber tappt man ganz im dunklen.

      Wir haben eine unermeßlich große Schar von Freunden, die in allen Teilen Deutschlands – und auch im Ausland – sitzen und zu Weihnachten an uns denken. Daher die vielen Päckchen, die vom Ponyhof aus in die Welt hinausfliegen. Ach, es ist eine geheimnisvolle, eine selige Zeit – und uns fällt es jedesmal wieder schwer, diese Päckchen ungeöffnet in den Sack zu stecken, der im Flur hängt und immer dickbäuchiger wird, immer mehr kantige Auswüchse bekommt. Er darf erst nach der Bescherung geöffnet werden, das gibt dann immer eine zweite Bescherung.

      Noch aber ist es nicht soweit, noch lange nicht! Jetzt kommt erst die Weihnachtsbäckerei. Da wir immer mit vielen Weihnachtsgästen rechnen müssen, backen wir Stollen wie für ein Regiment Soldaten. Der Tag, an dem es kein Mittagbrot, sondern Kartoffelkuchen aus Stollenteig zu Mittag gibt, ist ein besonderer Festtag.

      Meist richtet es Mutter so ein, daß die Zinkwanne, die sonst anderen Zwecken dient, mit dem Riesenklumpen Teig darin, am späten Vormittag in die Stadt zum Bäcker muß, damit sie uns, wenn wir aus der Schule kommen, mit heimnehmen kann. Dann wartet sie am Bahnhof, füttert die Ponys mit Brot oder Möhren, damit sie Geduld haben und stehenbleiben, obwohl sie kalte Hüfchen bekommen, und lädt uns alle in den Schlitten, auch unsere Freunde, die denselben Weg haben. In irgendeiner Ecke des Schlittens liegt dann eine Plastiktüte mit einem Teigrest, der nach Mandeln, Rosinen, Hefe und Zitronat schmeckt. Während der Streit tobt, daß jeder ein möglichst gleichgroßes Stück davon erwischt, fahren wir schon los. Wer keinen Platz im Schlitten findet, hockt hinten auf. Da haben wir quer über die Kufenenden ein Brett genagelt, darauf können noch zwei, sogar eventuell drei stehen. Sie halten sich an der Rückenlehne fest. Pferdeschlitten fährt man im Karacho. Vor dem Wagen dürfen die Pferde nicht galoppieren, wohl aber vor dem Schlitten. Das ist ein Gefühl, da hinten zu stehen und zu balancieren! Manchmal muß man auch bremsen. Wenn der Kutscher schreit, springt man ab und läßt sich in der Hocke, die Hände an den Schlitten geklammert, hinterherziehen. Das bremst etwas, nicht sehr. Rock’n’Roll-Schuhe sind dazu nicht geeignet, auch keine mit hohen Absätzen. Wohl aber Ski- oder Reitstiefel. Mutter findet, wir könnten im Winter ruhig gestiefelt in die Schule fahren, jeder weiß doch, daß wir außerhalb wohnen. Sie findet immer solche Sachen, mit denen wir nicht so sehr einverstanden sind. Keiner außer uns tut so was ... Freilich, zum Zurückfahren im Ponyschlitten ist es praktischer, und im Grunde stellen wir ja unser ganzes Leben auf Ponys ein ...

      Einmal hatte Ben in der Adventszeit ein Bein gebrochen. Das kommt bei dem besten Reiter vor, Ben ist einer unserer Besten. Kunststück, er kam sehr früh aufs Pferd, während wir andern schon größer waren, zum Teil sogar schon zu groß für die Ponys, jedenfalls für die Shetlandponys, mit denen wir anfingen. Später kaufte Mutter die Isländer, mit denen man reiten kann, bis man Großmutter ist. Ben hatte also das Bein gebrochen und sah fürchterlich blaß aus, wie eine Spitzmaus. Mutter sagt dann immer im kläglichsten Ton: »Schpitzmaus!«, als sei er noch ein Baby, und wir alle machen es so lange nach, bis Ben voller Wut mit Kissen oder Büchern nach uns wirft. Er lag im Krankenhaus und hatte diesmal nur den einen Sonderwunsch, nach Hause zu dürfen. Trotz allem geschwisterlichen Hohn verstanden wir das. Mutter sprach mit dem Arzt. Der machte Ben ein »Zuckerbein« – einen Gipsverband, verabschiedete ihn mit einem liebevollen Klaps auf den Körperteil, der dem Reiter nächst dem Herzen der wichtigste ist, und sagte:

      »Aber


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