Das Moordorf. Max Geißler

Das Moordorf - Max Geißler


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man reden. — Ja, was ich sagen wollte: die Ziege könnt ihr nun wieder anbinden. Ich hab’ sie frei laufen lassen, seit ich hörte, wie die Zeit ging — oder der Tod ...“

      Und Ham Rugen erzählte von jenem Wintertag, an dem er den Tod über das Heidemoor kommen hörte.

      Hinnerk Stelljes lachte.

      „Wenn man jung ist“, sagte Ham Rugen, „ist das anders. Und wenn man sein Lebtag in der Moorkuhle gestanden hat, wird das Denken und das Reden der Männer und Frauen zäh wie der Klipp, der zu unterst im Torf liegt. Aber weisst du, wenn man in andern Tagen ein anderes Leben gelebt hat, ich mein’, wie das Schmuggeln noch im Gang war, da ist das doch auch ein ander Ding. Ich möchte sagen: wenn einer lange auf der Wanderschaft gewesen ist und Länder und Menschen gesehen hat oder gar in England war, dann weiss er erst, was ‚daheim‘ bedeutet. Dann erst sieht er, was anders ist an der Scholle und an der Hütte, die auf dieser Scholle steht. Er sieht was besser ist, und was zu bessern sei, damit es auch gut werde.“ —

      „Ham Rugen is en ollen Mann“, sagte Hinnerk Stelljes.

      Dann kam wieder die lautlose Stille und setzte sich zwischen die beiden. Ein geller Ruf flog aus der Hütte, hart und spitz.

      „Wie der eines Vogels in den Hammewiesen“, dachte Ham Rugen, und um seine Lippen ging ein kluges Lächeln.

      „Es ist schon richtig, Hinnerk Stelljes. Denkst du: draussen, wo die Berge sind, oder in England ruft einer so wie Gesche? So kreischen die Moorvögel. Mich wundert’s nicht, Hinnerk, dass unsern Frauen und unsern Kindern dieser Ton im Ohr klingt, den die Moorheide hat, und dass sie ihn annehmen.“

      „Gesche Stelljes schreit wie’n Kiewit!“ lachte Hinnerk.

      Darüber traten sie durch die Tür der Hütte. Gesche hatte zum Essen gerufen und warf Ham Rugen einen Blick zu, bei dem er empfand: „In Gesches Augen ist der Schein, der im Moor ist, wenn das Wetter leuchtet und die Irrlichter laufen.“

      Dann setzten sie sich an den Tisch und assen den Buchweizenpfannenkuchen, den Gesche über dem Torfbrande gebacken hatte. Sie schwiegen. Nur die Glut knisterte über den Klinkern, und der Torfrauch spann durch die Hütte.

      Ham Rugen dachte, während er mit dem Taschenmesser ein Stück von dem Kuchen aus der gemeinsamen Pfanne holte:

      „Der gebackene Buchweizen ist trocken wie der gebackene Torf. Die Leute im Moor backen den Buchweizen, weil sie das Backen aus der Torfkuhle her im Griff haben. Wenn es regnet, isst und trinkt der dürre Torf. Dann ist ein leises Knistern in den braunen Schollen, und ein weicher Erdrauch spinnt sich darüber. Aber es ist nirgends ein Laut — gerade wie da in der Hütte.“

      Und er sah wieder das missfarbige Haar Gesches, das war wie die trockenen Torfbrocken, über die der Regen von Jahren gelaufen.

      Es waren nur zwei Stühle in der Hütte und der Schemel, bei dem das eine Bein fast eine Hand hoch durch das Sitzbrett ragte. Den hatte Gesche Ham Rugen hingeschoben. Nun lehnten die Jungen in den Stühlen und Ham Rugen, auf dem Schemel sitzend, gegen die Wand. Sie bohrten mit den Messern zwischen den Zähnen.

      Die Glut knisterte über den Klinkern, und der Torfrauch spann durch die Hütte.

      Ham Rugen stand auf, ergriff den Schemel und nahm die Säge vom Balken herab. Er wollte dem kippelnden Sitz die Stützen gleichmässig versägen; denn er dachte: wenn die beiden die Stühle für sich beanspruchen, werde er mit dem Schemel vorlieb nehmen müssen; aber er sagte: es könne nichts schaden, wenn der Schemel instand gesetzt werde, da ihn Gesche dann besser zu allerhand häuslichen Verrichtungen brauchen könne.

      Da litt es die Frau, dass Ham Rugen in den dämmerigen Abend ging und den Sitz in Ordnung brachte.

      Gesche kniete neben der Ziege, die noch draussen im Grase stand, und melkte. Wie sie damit fertig war und das Tier im Stall angebunden hatte, sass Ham Rugen auf dem Schemel, den er zu der Bank an die Fensterwand der Hütte gestellt hatte. Hinnerk Stelljes sass rauchend daneben.

      Die Sterne brannten an, und ein Streifen silbernen Lichts verkündete, dass der Mond dicht unter dem Horizonte stehe. Immer blanker wurden die Wipfel der Birken, immer silberner ihre Stämme, und als die halbe Scheibe langsam in die lautlose blaue Nacht emporschwebte, wandelten sich die Blätter der schwarzen Stechvalmen in Silber.

      „Ziküh! Ziküh! Ziküh!“

      Die Nachtigall stimmte in dem Stechpalmbusch. Und auch von drüben flogs herüber wie Spiel aus goldener Flöte.

      Ham Rugen lauschte und sagte:

      „Vordem hab ich nicht hingehorcht, wenn die Nachtigallen schlugen. Warum hör’ ich das jetzt wohl? Und warum dünkt es mich das Lieblichste, was im Moor ist? Ja, es ist lieblicher als alle Vogelstimmen, die sonst im Lande sind. Und in keinem Gelände sind diese Vögel so zahlreich als in unserm stillen Moore. Vielleicht scheuen sie die belebten Gegenden. Aber vielleicht auch ...“

      Ham Rugen ward still und sann.

      Immerfort sprang der Quell der süssen Töne im Stechpalmbusch.

      „Vielleicht auch, weil die Moorheide gar nichts besitzt, was lieblich oder schön ist. Und darum sind ihren Nächten diese klingenden Flöten gegeben, dass auch sie einen Reichtum habe vor anderm ...“

      Wie Hinnerk Stelljes den alten Mann so sprechen hörte, stand er auf.

      Gesche lehnte an der andern Schmalseite der Hütte in der Tür.

      „De Olle trömt“, sagte er. „He redt as en Pastor.“

      „Lat hem.“

      Hinnerk kroch zu Bett. Nach einer Weile kroch Gesche nach. Die Tür der Hütte blieb offen.

      In den Stechpalmbüschen schlugen die Nachtigallen.

      Viertes Kapitel.

      Der Mond schwamm allmählich höher; die linke beschattete Hälfte war von einem sanften Silberzirkel umgrenzt.

      In dem Schilfe der Moore war hin und wieder ein sanftes Klucksen, hin und wieder flog auch der dumpfe Ruf der Rohrdommel durch den Maitraum der Torfheide oder der schrille Schrei des Rebhahns.

      Und immer schlugen die Nachtigallen.

      Ham Rugen, der noch immer auf dem Schemel vor der Hütte sass, sah den sanften Glanz, der in der Welt war, und lauschte, ob nicht die zitternden Rinnsale des Lichts, die in silbernem Fall über die Blätter der Stechpalmen rannen, einen Klang gäben. Die Luft war so blank, dass der Flug der Käuze einen Schatten auf den lichten Grund warf. Der flog so leise wie der Vogel selbst und verschwand.

      Ham Rugen schlug die Arme über der Brust zusammen und lehnte den Kopf gegen die Wand.

      „Sonst habe ich dieses Licht der Nächte gehasst“, sagte er, „und ich dachte nicht, dass die Zeit komme, da ich es liebe.“

      Und er sann ein ganzes Leben zurück und erinnerte sich, wie vor vielen, vielen Jahren Tage gewesen waren, in denen er auch eine seltsame Lust an dem Leben der Moore gefunden habe. Dann aber wandelte sich sein Herz und die Träume wurden verscheucht, die er gehabt, als er hinter den Ziegen seiner Mutter durch die sommerstille Blütenheide lief oder auf dem Knie Weidenflöten schlug.

      In der blühenden Heide oder wenn die weisse Seide des Wollgrases weich um die nackten Füsse spielt oder der Morgentau klingend darumspringt — da mag einer träumen; die Pfade, die Ham Rugen später geschritten war, heischten List und Verschlagenheit, offene Ohren und tausend wachsame Augen. Die Traumbahnen im Heidemoor konnte einer mit gesenkten Lidern wandern. Aber von Bremen heraus war jeder Strauch ein Schutz für die „Kontrolörs“, und jede Weide in der Wiese, jeder Busch Schilf am Ufer der Hamme konnte einen Verfolger bergen. Und die Nächte waren Ham Rugen nicht schwarz genug gewesen.

      Nun dachte er wieder jener alten Tage und redete mit seiner Seele, in die er hineinhorchen wollte, weil ihn deuchte, sie habe Geheimnisse, oder er verstehe diese Seele nicht mehr.

      „Wir sind einen langen Weg gewandert, wir zwei“, sagte er.

      Manchmal


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