Jan und das Gold. Carlo Andersen
und ein blutroter Fleck wurde über dem Herzen sichtbar. «Ja, er ist tot, und du hast ihn umgebracht!»
«O Gott», stammelte Andreas. «Es geschah in Notwehr... sonst hätte er mich erschossen ...»
«Du Betrüger und Mörder!» schrie Aksel und sprang auf. «Mach, daß du fortkommst, sonst knalle ich dich nieder! Gleich werden die Leute vom Nachbarcamp hier sein, sie müssen den Schuß gehört haben. Und ich werde ihnen sagen, daß du meinen Bruder kaltblütig ermordet hast!»
Andreas stand wie versteinert, während ihm die Gedanken durch den Kopf wirbelten. Wie sollte er den andern Goldgräbern beweisen, daß er in Notwehr gehandelt hatte, wenn Aksel das Gegenteil behauptete? In seiner Verzweiflung fiel ihm kein anderer Ausweg ein, als vom Schauplatz zu verschwinden. An die gefüllten Lederbeutel in der Hütte dachte er überhaupt nicht. Er mußte fort, nur fort...
Einige Tage wohnte er in Perth in einem Hotel, ohne einen Entschluß fassen zu können. Das Bewußtsein, ein Menschenleben auf dem Gewissen zu haben, drückte ihn nieder, und jeden Augenblick erwartete er die Polizei. Als er einigermaßen zur Besinnung kam, war es zu spät. Jetzt sprach alles gegen ihn. Aksel würde natürlich behaupten, daß es sich um einen vorbedachten Mord handelte und daß der Täter geflüchtet war. Was ließ sich dagegen vorbringen?
Als kurz darauf ein Frachter nach Brisbane fuhr, hob er kurz entschlossen sein Bankkonto ab und buchte die Passage, um an der australischen Ostküste ein neues Leben zu beginnen. Da er aber dort nichts anzufangen wußte, reiste er weiter nach Port Morseby auf Neuguinea.
Aus dem lebensfrohen Andreas Holm war ein stiller, in sich gekehrter Mensch geworden, der zur Schwermut neigte. Er mußte arbeiten, um den Schock zu überwinden, und sah sich nach einer Tätigkeit um. An Geld fehlte es ihm nicht, und er entschied sich für den Koprahandel. Er tat sich mit einem Holländer namens Jan van Buis zusammen, der sich auf diesem Gebiet auskannte, so daß Andreas einiges von ihm lernen konnte. Die Eingeborenen waren zwar nicht mehr so naiv wie in früherer Zeit, wo man von ihnen für ein paar Handvoll bunte Glasperlen Kopra erhielt, aber trotzdem machten die beiden Europäer recht gute Geschäfte. Mit einer Barkasse waren sie fast ständig zwischen den Inseln unterwegs und kauften getrocknete Kopra auf, die weniger wog als die halbnasse und nicht so leicht verdarb.
Nach einigen Jahren hatten es die beiden zu einer richtigen kleinen Flotte gebracht, mit der sie den Koprahandel der Gegend beherrschten. Das Geld strömte herein, und als Jan van Buis zu einem großen Vermögen gekommen war, kehrte er nach Holland zurück, um dort Tulpen zu züchten.
Mehrere Jahre arbeitete Andreas Holm allein weiter, bis er zu den vermögendsten Männern von Neuguinea gehörte. Er war erst sechsunddreißig Jahre alt, als er die Lust an dieser Art des Lebens verlor. Es fehlte ihm ein eigentlicher Daseinsinhalt, und das Heimweh plagte ihn. Er verkaufte seine blühende Firma an ein Konsortium und kehrte auf einem Luxusdampfer als Millionär nach Dänemark zurück.
Aber der Reichtum machte ihn nicht glücklich. Wenn er auf dem Sonnendeck in einem Liegestuhl ruhte, im eleganten Schwimmbecken schwamm oder im Speisesaal eine üppige Mahlzeit zu sich nahm, konnte sein Gesicht plötzlich einen traurigen Ausdruck annehmen. Dann überwältigten ihn wieder die alten Gedanken. Er vermochte nicht zu vergessen, daß er ein Menschenleben auf dem Gewissen hatte.
Zweites kapitel
Der Seniorchef der weltumspannenden Handelsfirma Andreas Holm & Sohn war bei seinen Angestellten außerordentlich beliebt. Sogar der jüngste Lehrling wurde augenblicklich vorgelassen, wenn er etwas auf dem Herzen hatte, und der Chef bewies stets einen bewundernswerten Gerechtigkeitssinn. Er machte keinen Unterschied zwischen groß und klein – für ihn war jeder ein wichtiges Rad der großen Maschinerie –, und er ließ es sich angelegen sein, alle Unstimmigkeiten in dem weitläufigen Betrieb selbst zu schlichten.
Als er seinen zwanzigjährigen Sohn Georg in die Firma aufnahm, wurde der Name zwar geändert, aber Georg mußte wie jeder andere auf der untersten Sprosse beginnen. Zum Glück fügte er sich darein, da er das Herz auf dem rechten Fleck hatte, und so erfreute er sich auch der gleichen Beliebtheit wie sein Vater. In seiner Freizeit widmete er sich im Hellerup-Segelklub dem Sport. Schon oft hatte er seinen Vater aufgefordert, ein Segelboot zu kaufen, aber jedesmal erwiderte Andreas Holm mit einem betrübten Lächeln, er sei früher genug auf dem Wasser gewesen. Diese Antwort stimmte Goerg immer nachdenklich. Der Vater sprach nicht gern von der Vergangenheit, auch seiner Frau gegenüber nicht. Mutter und Sohn wußten nur, daß er auf Neuguinea zu seinem Vermögen gekommen war. Frau Holm gab sich mit dieser Erklärung zufrieden, Georg hingegen wurde das Gefühl nicht los, daß die Vergangenheit seines Vaters ein trauriges Geheimnis barg.
Wieder einmal hatte der Seniorchef einen bewegten Tag hinter sich, vor allem Besprechungen mit englischen und südamerikanischen Geschäftsfreunden. Die übrige Zeit hatten Korrespondenz und Telefongespräche in Anspruch genommen. Die Sonne fiel schräg durchs Fenster, als sich Holm endlich zurücklehnen konnte, und sie enthüllte die Sorgenfalten in seinem Gesicht. Über die Verhandlungen brauchte er sich nicht zu beklagen – sie waren sogar über Erwarten gut verlaufen –, sondern er wurde wieder einmal von der Schwermut befallen, unter der er seit vielen Jahren oft litt. Er hätte viel dafür gegeben, wenn er das Schreckensbild hätte bannen können; aber das war hoffnungslos. Im Wachen und im Schlafen sah er Ejnar Hansen unbeweglich auf dem Boden liegen. Freilich, er hatte in Notwehr gehandelt, und niemand konnte ihm daraus einen Vorwurf machen... aber ein Menschenleben war und blieb doch ein Menschenleben.
Er seufzte tief und nippte an dem kalten Tee, der auf seinem Schreibtisch stand. Da summte die Sprechanlage, und seine Privatsekretärin teilte ihm mit, ein Herr Johnson habe etwas Wichtiges mit ihm zu besprechen.
«Danke, Fräulein Nielsen, lassen Sie ihn hereinkommen», antwortete Holm.
Ohne besondere Neugier betrachtete er den Eintretenden, doch plötzlich zuckte er zusammen und richtete sich steif im Sessel auf.
Der Mann schloß die Tür hinter sich und bemerkte mit kühlem Lächeln: «Ja, die Jahre sind vergangen, aber wie ich zu meiner Freude sehe, erinnerst du dich noch an mich. Und an Ejnar erinnerst du dich wohl auch noch?»
«Nimm Platz, Aksel», sagte Holm tonlos. «Ich dachte gerade an dich... und an... und an Ejnar.»
«Nett von dir», spöttelte der Besucher und setzte sich. Er blickte sich in dem geschmackvoll ausgestatteten Raum um. «Anscheinend ist es dir nicht schlecht ergangen. Ich habe mir erlaubt, deine Lebensverhältnisse zu untersuchen, und festgestellt, daß du mehrfacher Millionär geworden bist. Tja, so verschieden kann es zugehen ...»
«Was willst du?» fiel Holm kurz angebunden ein. «Meine Zeit ist knapp.»
Aksel Hansen winkte mit der Hand verachtungsvoll ab. «Für mich wirst du Zeit haben, wenn du nicht etwas recht Unangenehmes erleben willst.»
«Soll das eine Drohung sein?»
«Eine Drohung?» wiederholte der ungebetene Gast mit gespieltem Erstaunen. «Wo denkst du hin! Ich bin nur gekommen, um mit dir ein bißchen von den früheren Zeiten zu plaudern. Wie lange bist du nun wieder in der guten alten Heimat?»
«Seit zweiundzwanzig Jahren», antwortete Holm unwillkürlich.
Sein ehemaliger Kamerad nickte nachdenklich. «Eine lange Zeit, aber sie vergeht ja nicht gleichschnell für alle. Für mich waren es sehr lange Jahre, Andreas. Hast du dir jemals Gedanken gemacht, wie es mir ergangen sein mag?»
«Nein! Jedenfalls habe ich nie darüber nachgedacht, ob es dir an Geld fehlen könnte. Du bist ja allein auf der reichen Goldader zurückgeblieben.»
Hansen lachte leise. «Sie war gar nicht so ergiebig, wie wir uns vorgestellt hatten. Nachdem du meinen Bruder getötet und dich davongemacht hattest ...»
«Sprich nicht so laut», sagte Holm mit einem unruhigen Blick auf die Tür zu seinem Privatsekretariat. «Es braucht nicht jeder deine Geschichten zu hören. Laß mich endlich wissen, was du willst!»
Hansen schlug die Beine übereinander und sagte schleppend: «Ich will dir nur erzählen, wie es mir ergangen ist. Nein, Andreas,