Du selber bist Musik. Alfred Hein
Stefan lachte sie glücklich an. Charlos Stirn zeigte eine kleine Unmutfalte, als jetzt Stefan Constanzes Hand ergriff und so seltsam erregt sagte: „Ich danke dir, liebe Stanzi, für dieses Wort!”
Zum ersten Mal sagte er „liebe Stanzi” zu ihr. Verstand sie denn noch immer nicht?
Denn Constanze seufzte nur: „Das aber, was du kannst, werd’ ich nie können.”
Stefan: „Aber das brauchst du ja auch nicht. Dazu bin ja ich da. Mir genügte es, wenn meine zukünftige Frau soviel von Musik verstünde wie du, Stanzi —”
„Hollalah!!” Der Ausruf flog melodisch aus Charlos Mund.
„Wie ich?” lächelte Constanze Stefan ungläubig an und ihr sanftes Gesicht bekam einen kindlich hilflosen Ausdruck. Nur in den großen Augen leuchteten unerschlossene Tiefen eine Sekunde lang auf — „Was willst du mit einer solch unbegabten Frau? Du mußt eine wie Charlo haben —”
„Na, nun, Kinder, hört mal auf,” fuhr Charlo dazwischen. Es sollte scherzhaft klingen. Klang aber nicht ganz so.
„Ist ja alles Theorie — —” wich jetzt Stefan vor Constanzes an seinem Herzen vorbeiredenden Worten zurück.
„Du wolltest uns noch die Sonate für die Prüfungsarbeit vorspielen —” sagte Constanze. Sie hatte gewiß auch Stefans heimliche Werbung herausgehört, aber sie war wirklich von ihrer Ungeeignetheit, einmal Stefans Frau zu sein, so überzeugt, daß sie das Ganze nicht für ernst nahm.
Stefan spielte die Sonate. Sie war streng nach der klassischen Regel aufgebaut: Nach einem antreibend bewegten ersten Satz folgte ein getragenes Andante, diesem ein Scherzo und darauf ein immer wieder sich emporringendes Finale.
Ja, Stefan war ein Musikant von Gottes Gnaden! Constanze kam sich ganz klein vor. Noch kleiner aber wurde sie, als Charlo Stefan vom Klaviersessel wegschob, sich selbst ans Instrument setzte und die Sonate vom Blatt mit einer erschütternden Kraft und temperamentvollen Vehemenz spielte, daß Stefan Tränen in die Augen bekam, als er hörte, wie Charlos geübte und beseelte Finger sein kleines Werk in triumphale Klänge verwandelten.
VI
Constanze ging allein nach Haus. Charlo war noch zu ihrer Schneiderin heraufgesprungen, um das Kleid, das sie zum nächsten Schülerkonzert anziehen wollte, anzuprobieren. Als sie an der Konditorei Senkbley vorbei ins Haus hineingehen wollte, stierte sie durch die Spiegelscheibe Mirko Machaczeks feistes Gesicht an. Im nächsten Augenblick war er draußen und redete erregt auf sie ein: Ob sie wisse, daß Stefan etwas mit Charlo hätte? Etwas ganz Dolles! In der Neujahrsnacht! So unglaublich es klänge, sie solle es nur glauben. Es sei richtig skandalös gewesen. In der Alten Fischerhütte am Schlachtensee sei’s geschehen —
„In der Alten Fischerhütte? Dort wart ihr auch?”
„Ja, bevor wir hier zurück nach Schöneberg in die Lagune fuhren. Rolf Görtz war mit, der reiche Knabe, mit seiner großen Limousine. Darein verfrachtete er uns alle, als wir vom Zigeunerkeller aufbrachen, und hinaus gings in der Nacht zum Schlachtensee —”
Constanze sah Mirko mit einem Gefühlsgemisch von Mitleid und gutmütigem Spott an: immer mußte sie ihn mit dem Max in Wilhelm Buschs „Max und Moritz” vergleichen, wenn sie sein käserundes Gesicht vor Augen hatte. Die schwarzen Haare saßen perückenhaft darüber und standen von Stirn und Nacken ab wie ein kupierter Pferdeschwanz. „Ich weiß, daß es unter euch sehr ausgelassen zuging, aber was wäre weiter dabei?”
O sehr viel wäre dabei, fuhr Mirko erregt fort — sie standen im Hausflur, denn draußen hatte es halb zu regnen und halb zu schneien begonnen — sehr viel wäre dabei! Ob sie billigen könne, daß Charlo plötzlich Stefan Klodwig um den Hals fiel? Ja, ein Sektglas hielt sie in der Rechten und mit der Linken umarmte sie Stefan, der gerade mit Issy Grenthen getanzt hatte. Und dann hätte Charlo Stefan geküßt. Und geschrieen — ganz laut ins Lokal geschrieen, daß alle im Tanz stockten und die an den andern Tischen hinüberblickten: „Junge! Stefan! Wenn du wüßtest, wie lieb ich dich hab! Zum Auffressen lieb ich dich hab! Warum küßt du mich nicht? Küsse mich!”
Constanze lachte: „Charlo war eben ein wenig beschwipst. Ihr Temperament ging durch!”
„Sie lachen?” Mirko blickte Constanze Dornbühl fassungslos an. „Mir ist nicht zum Lachen, wenn Charlo einen andern — — Sie aber lachen, wenn Ihr Stefan von einer andern geküßt wird?”
„Mein Stefan?” fragte Constanze verwundert. „Weil wir Landsleute sind — mein Stefan?”
„Also nicht. Schade. Ich dachte. Mirko knickte ganz in sich zusammen. „Um so schlimmer für mich. Ich dachte, Sie würden der Charlo vor Eifersucht die Augen auskratzen. Aber Sie haben wohl Fischblut. Sie wissen gar nicht, was Liebe ist.” Er keuchte. „Daß man daran sterben kann.” Sein feistes Gesicht glänzte schwitzig. „Aber eines müssen Sie wissen, wenn Sie noch nicht wissen sollten, was alle Welt weiß: Stefan liebt Sie!”
Constanze wurde verwirrt. „Warum sagen Sie mir das? Was quälen Sie mich mit Ihren Worten?”
„Offengestanden —: aus Eigennutz. Aus Liebeshunger. Ich liebe Charlo. Und sie soll mich lieben, nicht Stefan!”
„Kann man Liebe diktieren?” fragte Constanze.
„Sie haben’s gut. Sie hat’s noch nicht gepackt,” stöhnte Mirko, drückte den Hut in die Stirn, steckte das breite Kinn in seinen hochgeschlagenen Mantelkragen und verschwand.
Constanze erzählte Charlo von der häßlichen Szene mit Mirko Machaczek nichts. Was hätte sie ihr sagen sollen? Vor allem wußte sie nicht, wie sie es sagen sollte. Alles hätte falsch geklungen. Gewiß — sie hatte erst heute nachmittag gespürt, als Stefan sein Lied „Schließe mir die Augen beide” sang, daß er es ihr zusang. Aber war das mehr als eine kleine Anschwärmerei? Liebe — — nein —: Liebe müßte anders sein. Nicht nur so: Ich liebe dich. Kuß. Werde mein. Kuß. Heirate mich. Schluß. Liebe —!
Ob Charlo Stefan wirklich liebte? Auf ihre Art — gewiß. Aber Stefan mochte vielleicht diese Art nicht. Obwohl — wie gut würden die Beiden zusammenpassen. Das spürte Constanze besonders dann, wenn sie zu dritt beisammen waren und das Gespräch sich mit schwierigen musikalischen Problemen zu beschäftigen begann. Dinge, die Constanze ebensowenig je begreifen würde wie die höhere Mathematik. Was sie davon in der Hochschule für die Theoriestunde erlernen mußte, paukte sie sich mühsam ein. Meist mit Stefans Hilfe. Charlo brauchte dafür Stefans Hilfe nie. Im Gegenteil: „Ich lerne noch von dir, Charlo,” sagte er einmal nach einem langen Gespräch über atonale Musik. Charlo war ihm ebenbürtig, Constanze blieb seine Schülerin. Und wenn Stefan mit ihr von Musik redete, sprach er auch so wie zu einer Schülerin. Meist aber redete er mit ihr nicht von der Musik....
Muß das gleich Liebe sein, wenn er manchmal nette Worte zu ihr sagt, der gute Stefan?
VII
Wunibald Venus schnaubte vor Wut. Seit er Inspektor in der Hochschule für Musik war — und das sind nun bald an die zwanzig Jahr — schnaubte er so an jedem Tag in seinen Walroßbart hinein. Zwei Zentner wog er, aber er war nicht groß. So wirkte er fast breiter als hoch in seiner rundlichen Fülle.
Herr Venus — dieser dicke Mann, den Schönheit wahrlich nicht plagte, hieß wirklich so — sorgte für die Ordnung in dem musizierendsten Hause Berlins. Und das will was heißen bei 600 zivilen Studenten und 400 Militärmusikern! Sowohl für Chor- und Orchesterproben hatte er täglich die Räume zu besorgen wie für die einzelnen Übungen und Studierenden.
Wie sollte man das ohne Hexerei fertig kriegen, wenn allein 120 Lehrer unterrichteten und nur 80 Übungszimmer da sind? Muß es da nicht täglich Karambolagen geben?
Natürlich gab es täglich Karambolagen. Dr. Sievenkamp, der bekannte Musiktheoretiker, irrte vor seiner Tür umher, weil alle Theoriezimmer augenblicklich besetzt waren. Wen sollte er nun hinausschmeißen? Er kann doch nicht den Herrn Direktor —? Nein, dem Herrn Direktor kann er nicht sagen: