Versteckt im Dunkeln. Eva Andersen
nur Spuren – kein Pferd.
„Es ist Golden, das Pferd, an das Papa so sehr glaubt“, sagte sie leise und mehr zu sich selbst. „Ich muss ihn finden, das muss ich einfach.“
Es war bald Kaffeezeit und die anderen beiden Waldarbeiter kamen dazu. Es waren zwei junge Männer, die Emily noch nie zuvor gesehen hatte, aber ab und zu kamen Waldarbeiter, die nur für kurze Zeit aushalfen. Sie konnte nicht alle kennen.
„Elo und Torben, habt ihr ein freilaufendes Pferd hier im Wald gesehen?“ Herr Meyer schaute die zwei jungen Männer an. Die schüttelten beide den Kopf.
„Nein. Müssten wir eins gesehen haben?“
„Ja, es wäre wohl schon merkwürdig, wenn hier eines frei herumliefe. Die Jugend heutzutage ist nicht ganz einfach zu verstehen.“
Emily stand mit halboffenem Mund und starrte. Sie war sich sicher, eine Reaktion bei einem der Waldarbeiter gesehen zu haben, als der alte Meyer das erste Mal gefragt hatte. Es war, als hätte er kurz gezuckt, als hätte ihn die Frage überrascht.
Plötzlich hatten es die zwei Waldarbeiter sehr eilig. Sie müssten schnell Mittagsessen, sagten sie und gingen in den Bauwagen. Beide mit den Händen tief in den Taschen. Emily bemerkte, dass beide weder Blaumann und Sicherheitsschuhe noch einen Helm trugen, so wie es die Waldarbeiter sonst immer taten. Die sahen in keiner Weise wie Waldarbeiter aus.
Im selben Moment kam ein Lastwagen den Feldweg entlang. Sie drehte sich automatisch um. Es war der Pferdetransporter von Mike Mühlenbach. Na ja, es war ja schließlich der Wald von seinen Eltern, also durfte er hier wohl lang fahren. Emily konnte Mike nicht ausstehen, aber ihr Herz schlug trotzdem ein bisschen schneller. Vielleicht wusste er was über Golden?
Mike sprang aus dem LKW und kam zu ihnen, mit einem frechen Grinsen im Gesicht.
„Oh, was sehe ich da? Die kleine Emily geht im Wald spazieren“, lachte Mike laut und fand sich witzig.
„Hey, Schnuckelchen, du wirst ja immer hübscher, wie alt bist du nochmal, 14 oder 15 Jahre?“ Er schnalzte mit der Zunge. „Na, ein älterer Herr von 23 muss wohl noch eine Weile warten, bevor er der Nachbarstochter den Hof macht.“
Emily wurde ganz rot. Ah, wie sie diesen aufgeblasenen Idioten hasste!
„Was machst du eigentlich hier im Wald ohne Pferd?“ Er sah sie genauer an. „Ich hätte nicht gedacht, dass du imstande bist, auf deinen eigenen zwei Beinen zu gehen.“
„Nichts“, sagte Emily. Sie wollte ihn noch nicht einmal mehr wegen Golden fragen. Wenn er ihn gesehen hätte, hätte er es wohl gesagt. Warum fragte er überhaupt, was sie hier machen würde? Sie fuhr doch öfter mit dem Fahrrad durch den Wald.
Mike Mühlenbach schlug auf die Außenseite des Bauwagens. „Elo und Torben, kommt mal her“, sagte er und fing an zum LKW zurückzugehen. „Wir müssen ein paar Stapel Feuerholz Richtung Bach versetzen. Ich brauche dort ein festes Hindernis um Geländespringen zu üben“, hörte Emily ihn sagen, aber dann redete er leise und sie konnte nichts mehr hören.
Er drehte den Kopf und sah sie an.
„Na dann, tschüss Mädel, mach’s mal gut, ne?!“
Mike war der Sohn von Christian Mühlenbach, der viele Höfe mit demselben Namen hatte. Ein sehr netter Mann und alle vom Borghof durften den Wald benutzen, so oft sie wollten, mit oder ohne Pferd. Christian Mühlenbach war Geschäftsführer bei einer großen Brauerei in der Region und ein tüchtiger und beliebter Geschäftsmann.
Der Sohn hingegen, ein Einzelkind, war ein schlauer, aber verwöhnter Schnösel. Er war einer der besten Springreiter des Landes und nebenbei war er auch noch Pferdehändler.
Die meisten mochten ihn nicht, weder als Reiterkamerad noch als Händler. Aber keiner sagte das laut. Sein Vater hatte großen Einfluss und war außerdem in der Geschäftsführung vom Reiterverband.
Urrgggh … Emily schnitt eine Grimasse hinter Mikes Rücken. Meyer stimmte insgeheim mit ihr überein. Er kannte Mike seitdem er ein kleiner Junge war und hatte ihn schon bei so einigem, auch schlimmeren Sachen, erwischt. Manchmal hatte er den Jungen nach Hause gebracht und mit dem alten Mühlenbach geschimpft, der Mike wieder einmal alles durchgehen ließ. Herr Mühlenbach hatte ihm oft recht gegeben, aber hatte ihn gleichzeitig gebeten, die Streiche bitte für sich zu behalten. Das hatte der alte Meyer akzeptiert und Mike hatte das auch nicht vergessen. Herr Meyer war eine der wenigen Personen, vor denen er noch ein bisschen Respekt hatte.
Mike fuhr mit Elo und Torben im LKW davon. Emily studierte immer noch die Spuren im Sand.
‚Das war eigentlich merkwürdig’, dachte sie. ‚Es sind überall die gleichen Reifenspuren, die hier und die, die der Transporter eben hinterlassen hat.’
„Naja, ich muss weitersuchen. Auf Wiedersehen, Herr Meyer“, sagte sie und lief zurück in den Wald.
Sie wusste aber nicht wirklich, wo sie noch suchen könnte. Sie hielt inne und dachte nach. Golden hätte nur hier oder in Richtung Mühlenbach weglaufen können. Und natürlich auf dem Waldweg nach Hause zum Borghof. Aber alle Hufspuren führten Richtung Wald – meinte sie zumindest. Hatte sie was übersehen? War Golden zurückgelaufen, um den Borghof herum – und auf die Bundesstraße? Nein, das hätten sie oder ihre Mutter gesehen und doch … Sie sprang auf ihr Fahrrad und fuhr nach Hause.
Keine der Hufspuren auf dem Feldweg führte zurück. Das Rätsel wurde immer größer. Der Steigbügel und der Riemen, das abgerissene Zügelstück und die Spuren, die auf dem Waldweg endeten, aber kein Pferd, nirgendwo. Hoffentlich hatten Michael und die Mutter etwas gefunden. Aber Emily wurde enttäuscht. Golden war und blieb verschwunden.
Grethe war bei der Polizei, um nach dem verschwundenen Hengst zu fragen.
„Es ist ja ein Hengst“, hatte Grethe den Polizisten erklärt. „Wenn der eine Stute riecht, kann es für alle Beteiligten gefährlich werden.“
„Danke, das ist mir durchaus bewusst“, sagte der Polizist und dachte an freilaufende Pferde und durchgehende Kuhherden, die der Umzäunung entkommen waren und losgerissene Bullen, die im Laufe der Jahre viele Unfälle verursacht hatten.
„Es wäre schön, wenn Sie ein bisschen besser auf Ihre Tiere aufpassen würden“, schnaubte er Grethe an und runzelte den Stirn.
„Wie wäre es mit einer Anzeige in der Zeitung, vielleicht hat ihn ja jemanden gefunden.“
Doch Grethe sah darin keinen Sinn. Jeder in der Region kannte den Borghof. Das war ganz gewiss einer der ersten Höfe, die sie anrufen würden, wenn sie ein ausgebüxtes Pferd fanden.
Das sah der Polizist auch ein und er wurde freundlicher, als er von der ganzen Geschichte, inklusive Olafs Krankenhausaufenthalt, erfuhr.
„Aber ich kann Ihnen leider nicht helfen“, sagte er.
„Ich würde doch nur so gerne das Pferd finden, bevor er nach Hause kommt“, sagte Grethe mit weinerlicher Stimme. Sie war völlig fertig und noch nie so traurig gewesen. Was würde passieren, wenn Olaf erfuhr, dass Golden weg war?
„Also dann, auf Wiedersehen“, sagte sie und eilte zurück zum Auto. Vielleicht hatte Emily ja bessere Neuigkeiten. Sie spürte, wie ihre Unruhe stärker wurde. Emily kam ihr im Hof entgegen.
„Und?“ Sie sah aus wie ein Fragezeichen.
Die Antwort war ihrer Mutter im Gesicht abzulesen. Grethe schaute lange nach unten, dann hob sie den Kopf.
„Emily, wir müssen zusammen zurück in den Wald. Vielleicht hast du was übersehen. Er muss da sein. Tot oder lebendig!“ Grethe lief zur Garage und riss energisch ihr altes, staubiges Fahrrad heraus. Sie benutzte es nur selten. Sie hatten alle mehr als genug auf dem Hof zu tun. Wenn sie einkaufen fuhr, dann mit dem Auto. Fahrradtouren zum Vergnügen waren momentan nicht drin.
Sie fuhren schnell zum Wald. Auf dem Weg erzählte Emily von dem Zügel und den Spuren auf dem Waldweg. Die Mutter antwortete nicht viel, sie musste sich auf ihr Fahrrad konzentrieren, das schon bessere Tage gesehen