Liebe in Gefahr. Ell Wendt

Liebe in Gefahr - Ell Wendt


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Schlössern zu finden waren. Sie hatte der Banalität des zweibettigen bürgerlichen Schlafzimmers zu entgehen versucht, indem in ihrer Wohnung zwei große Matratzen, am Tage von einer grünen Decke verhüllt, mit zahllosen bunten Kissen als Diwan prunkten, während sie zur Nacht mit ein paar Handgriffen in Betten verwandelt wurden. Auf diese Weise war ein gewichtiges Möbelstück entstanden, das den kleinen Raum vollkommen beherrschte. Kaum, daß ein gebrechliches Toilettentischchen, mit einem halbblinden Barockspiegel darüber, nahe beim Fenster Platz fand. Kleider und Wäsche waren in einem Wandschrank untergebracht, während ein winziges Gelaß neben der Küche mit einer hochbeinigen Blechwanne den stolzen Namen Badezimmer führte.

      „Guten Morgen“, sagte Sibylle und lächelte Alexander gewinnend an, „sieh nur, welch herrlicher Tag!“

      Alexander jedoch erwies sich als unempfänglich für die Schönheit des Sonntags. Er gehörte zu den Menschen, die Morgensonne als persönliche Kränkung empfinden. Nachdem er den freudetrunkenen Polster zornig von seinem Bett verscheucht hatte, zog er die Decke über den Kopf, so daß nichts als ein Büschel brauner Haare hervorschaute, und tauchte nur noch einmal auf, um Sibylle vorwurfsvoll mitzuteilen, er habe die ganze Nacht kein Auge zugetan.

      Sibylle zog den Bademantel über ihr Pyjama, sie gab ihrem kurzen, glatten Blondhaar einen kräftigen Bürstenstrich und verschwand im Badezimmer, wo sie sich aus Gründen der Sparsamkeit mit einer kalten Dusche begnügte. Dann begab sie sich daran, das Frühstück zu bereiten und den Tisch im Atelier zu decken.

      Das Atelier — ein richtiges Maleratelier mit einem Riesenfenster — war ihr „Zimmer für alles“. Hier stand der große schwarz glänzende Konzertflügel, hier prangte die Barockkommode aus der Hinterlassenschaft des Kunstmalers mit üppig geschwungenen Formen und kunstvollen Beschlägen. Vor das Sofa aus der Zeit der Madame Récamier war der niedrige Tisch geschoben, an dem sie ihre Mahlzeiten einzunehmen pflegten; ein paar ebenso dekorative wie unbequeme Stühle paradierten an den Wänden, die mit dem angezweifelten Spitzweg und einigen schönen alten Stichen geschmückt waren.

      Sibylle war der Atelierromantik hoffnungslos verfallen. Es focht sie nicht im geringsten an, daß das Zimmerthermometer sich im Winter hartnäckig weigerte, über 15 Grad zu steigen, den Kohlenmengen zum Trotz, die Jeremias, das häßliche, schwarze Öfchen, wie ein Moloch verschlang. Dafür schien am Vormittag die Sonne hinein, ein Umstand, der alle Kunstmaler auf die Dauer zwang, das Atelier aufzugeben. Sibylle liebte den schwachen Duft von Farbe und Terpentin, den sie hinterlassen hatten; sie liebte den Blick über Dächer und Türme — an föhnigen Tagen schweifte er ungehemmt bis zur blauen Kulisse des fernen Gebirges. Sie liebte den Himmel vor dem Fenster mit dem Spiel ziehender Wolken, dem tiefen Blau stiller Sommertage und dem funkelnden Sternenmeer klarer Nächte.

      Die Familie hatte die Wahl der Wohnung seufzend den mancherlei Verstiegenheiten zugerechnet, an die Alexander und Sibylle sie im Lauf ihrer vierjährigen Ehe gewöhnt hatten. Aber das Badezimmer erfüllte Mama immer aufs neue mit stiller Trauer, ebenso wie es sie verdroß, daß das Atelier vom Schlafzimmer lediglich durch einen Vorhang abgetrennt war. Sie begriff nicht, wie Alexander, von jeher an solide Behaglichkeit gewöhnt, sich im Milieu eines „bohémien“ — ein Wort übrigens, das die Familie mit unsäglicher Verachtung aussprach — wohlfühlen konnte. Nichts jedoch hätte Alexander und Sibylle zu bewegen vermocht, um größerer Bequemlichkeit willen auf die mannigfachen und unbeschreiblichen Reize des Ateliers zu verzichten.

      Alexander kam aus dem Badezimmer in seinem dunkelblauen Bademantel, rote Saffianpantoffel an den Füßen. Sibylle goß Kaffee ein und bestrich heiße Toastschnitten mit Butter. Zwischendurch bedachte sie Polster mit einem Stückchen Zucker. Er saß zwischen ihr und Alexander, ein ungewöhnlich schwarzer Hund von fragwürdiger Herkunft. Sein Kopf glich einer zerzausten Chrysantheme, über den gelben Augen sträubte sich das Haar zu kleinen Dächern. Der Mann, der ihn Alexander verkauft hatte, behauptete, er sei ungarischer Abkunft, ein Sohn der Pußta, wo seinesgleichen die Herden bewache. Wie dem auch sein mochte, Sibylles Seligkeit kannte keine Grenzen, als sie das struppige, schwarze Knäuel zum ersten Male im Arm hielt. Der Hund war Alexanders erstes Weihnachtsgeschenk gewesen, von Rechts wegen hieß er Janosz, aber seine wollige Beschaffenheit hatte ihm alsbald den Namen Polster eingetragen.

      „Du verwöhnst den Hund“, sagte Alexander mißmutig.

      Er saß in dem einzigen bequemen Sessel, den sein schönheitsdurstiger Schwiegervater hinterlassen hatte, während Sibylle auf dem Récamiersofa Platz genommen hatte, dessen stilvolle Unbequemlichkeit notdürftig durch einige Kissen gemildert wurde. Gewöhnlich war Alexander nach der ersten Zigarette imstande, den Dingen des täglichen Lebens ins Auge zu sehen. Sibylle beschloß, den günstigen Augenblick zu nutzen.

      „Hast du schon darüber nachgedacht, was du am Mittwoch bei Osterwalds spielen wirst?“ begann sie behutsam.

      Alexander blies den Rauch seiner Zigarette unwillig durch die Nase.

      „Ich werde überhaupt nicht spielen“, sagte er kurz.

      „Du bist wahnsinnig“, stellte Sibylle kopfschüttelnd fest, „eine derartige Chance auszuschlagen. Frau Konsul Osterwald ist in hundert Vereinen und Ausschüssen, sie kann dir bestimmt von Nutzen sein.“

      „Glaubst du etwa, es sei eine Ehre für mich, in Wohltätigkeitsvereinen und Hauskonzerten zu spielen?“ fragte Alexander höhnisch zurück, „ich bin kein Salonmusikant und wünsche ernstgenommen zu werden, verstehst du mich?“

      „Ja.“ Es ging Sibylle durch den Kopf, daß Künstler vom Range Chopins und Liszts es nicht verschmäht hatten, in Salons zu spielen, aber sie wagte nicht, Alexander in diesem Augenblick darauf aufmerksam zu machen.

      Sie stand auf und setzte sich auf seine Sessellehne.

      „Lexl“, schmeichelte sie, „tu es mir zuliebe. Schau, man darf nicht allzu wählerisch sein. Wie willst du bekannt werden, wenn man dich nirgends hört? Frau Osterwald ist immer sehr freundlich zu uns — —“

      „Sie sieht wie ein Marzipanschweinchen aus“, unterbrach Alexander grimmig.

      Sibylle mußte lachen.

      „Sie ist aber ein einflußreiches Marzipanschweinchen, und wir können ein bißchen Protektion sehr gut gebrauchen. Denk’ nur an die unbezahlten Rechnungen drüben auf dem Schreibtisch. Vor ein paar Tagen hat Herr Gareisl gemahnt wegen der Kohlen, und was den Schneider betrifft —“

      Alexander stöhnte laut auf. „Welch grauenhafter Materialismus! Man könnte meinen, du seist Papas leibliche Tochter.“

      Sibylle schwieg. Sie dachte, daß das Leben einen zwinge, praktisch zu denken, wenn man mit einem Mann verheiratet ist, der die Lösung aller irdischen Probleme einer glücklichen Fügung überließ.

      „Schneekopf ist übrigens auch eingeladen“, spielte sie nach einer Pause ihren letzten Trumpf aus.

      Endlich horchte Alexander auf. Professor Schneekopf, Direktor der musikalischen Akademie und Dirigent der Odeonkonzerte, war immerhin ein Faktor, mit dem zu rechnen es sich verlohnte.

      „Sagst du nun auch noch nein?“ fragte Sibylle frohlockend. Sie wußte ihn besiegt, obwohl er murrend erklärte, er laufe niemandem nach, auch Schneekopf nicht.

      „Du unverbesserlicher Querkopf!“ Sibylle erhob sich und begann, den Frühstückstisch abzuräumen. „Wenn es nach dir ginge, würden wir bald an den Hungerpfoten saugen.“

      Während sie hin- und herging, erzählte sie lachend, wie sich ihr als Kind schreckliche Vorstellungen mit dieser Redensart verbunden hatten, ein ewiges Daumenlutschen etwa, dessen grausame Unergiebigkeit nur durch die Erfahrung gemildert worden war, daß ein in Zuckerwasser getauchter Daumen gar nicht übel schmecke.

      Auch Alexander mußte lachen.

      „Also, das Zuckerwasser bleibt uns immer noch, wenn alle Stricke reißen. Arme Billie, mache ich dir das Leben so schwer?“

      „Manchmal — ein bißchen“, sagte Sibylle und lächelte.

      Sie stand mitten im Zimmer, das Tablett mit dem Frühstücksgeschirr in den Händen, eine schmale


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