G.F. Barner Jubiläumsbox 9 – Western. G.F. Barner
Dafür sahen sie sich jetzt. John beobachtete, wie Lionel McGruder irgend etwas zu Don Walsh sagte. Danach trieb der Alte sein Pferd hart an, fegte zum Haltebalken vor Dempseys Mietstall und saß ab.
Im Norden sah sich Abraham Harris nach Monty Challenger und dem riesenfüßigen Einohr-Joe um. Danach ritt der Alte los, daß sein Ziegenbart wehte. Er hielt vor der Bäckerei von Cornells, saß ab und starrte, während seine Männer weit hinter ihm gehalten hatten, zu Lionel McGruder. Der blickte mit einem Gesichtsausdruck zu Harris, als müßte er sich übergeben.
Don Walsh hielt mit Bill Shivers und Jim Lawson etwa vierzig Schritt hinter McGruder. Big John Warren war klar, daß die beiden Alten genau die gleichen Befehle an ihre Leute gegeben hatten. Im nächsten Moment zog Lionel McGruder sein Gewehr aus dem Scabbard.
Abe Harris starrte McGruder so angewidert an, als wäre er ein ekelerregendes Ungeheuer. Dann riß Harris sein Gewehr genauso wild und wütend an sich, drehte sich um und ging zur Straßenmitte.
Vor McClures Hoteltür tauchte nun Nora McClure auf. Ihr braunrotes Haar glitzerte im Sonnenschein. Ihre grüngrauen Augen weiteten sich vor Schreck, und ihr kräftiger Busen hob und senkte sich heftig.
John betrachtete sie mit dem Vergnügen eines Mannes, der viele erlebnisreiche Stunden mit ihr erlebt hatte und noch möglichst viele genießen wollte. Wahrscheinlich hätte Nora McClure niemals geheiratet, da sie ihren Bruder Charlie zu versorgen und ihr Hotel zu führen hatte. Für John war es unglaublich gewesen, daß eine vierunddreißigjährige Frau noch nie einen Mann gehabt haben sollte. Nach der ersten Nacht mit Nora hatte er gewußt, daß sie viel mehr besaß als nur eine erstklassige Figur. Er hatte ihre Leidenschaft in einer Nacht geweckt, und es stand fest, daß er sie eines Tages heiraten würde.
Es hatte viele Frauen in John Warrens Leben gegeben, junge, sehr junge und auch ältere, aber keine war wie Nora gewesen. Sie schien sich all ihre Gefühle für nur einen Mann – ihn – aufgehoben zu haben. Sie war kein junges Ding mit Flausen und Rosinen und wenig Verstand im Gehirn. Was sie tat, das tat sie ganz und mit völliger Hingabe, und er hatte sich gesagt, daß die alte Wahrheit bestätigt worden war: eine Frau mußte erst in den Dreißigern sein, wenn sie richtig zu lieben verstehen wollte.
Charlie McClure erschien hinter ihr, wurde immer bleicher und schickte einen entsetzten Blick zu John hinüber. Doch der blinzelte weiter müde und gelangweilt vor sich hin.
Währenddessen kamen sich Abe Harris und Lionel McGruder immer näher. Sie waren noch achtzig Yards voneinander entfernt, als sie stehenblieben. Es war die beste Distanz für einen tödlichen Gewehrschuß.
Sulphur Springs war ihre Stadt. Sie gehörte den McGruders vielleicht etwas mehr, aber das machte nicht viel aus. Was etwas ausmachte, war die Tatsache, daß sie sich nicht um den Sheriff kümmerten. Er war ihr Sheriff, von dem jeweiligen Anhang gewählt und folglich von ihnen abhängig.
»Jetzt rechne ich mit dir ab, Abe!« drohte McGruder. »Wenigstens bist du nicht so feige gewesen, wegzurennen, obwohl du mir bis jetzt nur deine angeworbenen Heckenschützen auf den Hals geschickt hast!«
»Was habe ich, du Wasser- und Viehdieb?« brüllte Abe Harris los. »Du hast schon immer gelogen, aber du wirst nie mehr lügen, sobald ich mit dir fertig bin!«
John Warren schwieg. Er hätte viel sagen können. Er hätte sie fragen können, ob sie sich wirklich einbildete, daß er ihr Mann war. Sie wußten längst, daß er es keine Sekunde gewesen war, aber anscheinend hatten sie sich das eingeredet. Und jetzt besaßen sie die Unverschämtheit, ihn zum Zeugen ihrer endgültigen Abrechnung zu machen. Da war der ständige Streit um die Wasserstelle gewesen. Da hatte es vergiftetes Wasser, gestohlene Rinder und zerschnittene Zäune geben – wechselseitig. Es mußte irgendwann zur Explosion zwischen ihnen kommen. Daß es hier dazu kam, hatte John vorausgesehen.
»Jetzt hört gut zu, ihr Narren«, sagte John Warren träge. »Und du siehst besser genauer hin, Abe, ehe du ganz überschnappst!«
Abe Harris zuckte zusammen und schrie dann wild: »Du verdammter Kerl, zeigt etwa dein Gewehr auf meinen Bauch?«
»Ich glaube schon«, erwiderte der Sheriff gelassen.
»John, zur Hölle mit dir!« brüllte McGruder. »Was soll das? Warum zielst du verdammter Strolch auf Abe? Das Loch in seinen Bauch mache ich, kapiert?«
»Tatsächlich?« fragte John spöttisch. »Sieh dich mal um, Freund McGruder – zum Dach von Charlies Hotel!«
Die Köpfe flogen herum. Einige Leute – bis jetzt hatte sich niemand sehen lassen, die Stadt war wie ausgestorben gewesen – öffneten die Fenster, blickten zum Dach von Charlies Hotel. Auch Lionel McGruder tat es, fuhr herum und stieß einen greulichen Fluch aus, weil er den Gewehrlauf in der Dachluke entdeckt hatte. Die Mündung zeigte auf ihn.
»Hölle, Pest und Verdammnis, wer wagt es, auf mich zu zielen, John?«
»Jemand, dem ich den Befehl gegeben habe, dich notfalls niederzuschießen«, antwortete John Warren scharf. »Ehe einer von euch Narren auf den anderen schießen kann, erwischt ihn eine Kugel. Und daran ändern auch Einohr-Joe und Don Walsh nichts. Sie könnten es nicht verhindern, sie würden vielleicht sogar dafür sorgen, daß wir nicht mehr genau zielen können und ihr beide tot auf der Straße liegenbleibt, wenn sie etwas versuchen. Ihr werdet eure Waffen jetzt mitten auf der Straße ablegen und danach ins Office kommen! Sobald ich das Geld für den von euren Söhnen angerichteten Schaden habe, könnt ihr die Burschen mitnehmen – keine Sekunde früher. Das ist alles, und nun versucht mal etwas.«
»Mensch!« grollte McGruder. »Bist du des Teufels? Du stellst dich uns in den Weg? Du bist die längste Zeit Sheriff gewesen!«
»Ja, das bist du!« schrie Abe Harris wütend. »Geh zur Hölle! Ich werde dafür sorgen, daß dich kein Mensch in diesem County wählt. Das wagst du nicht, Bursche, du läßt nicht schießen. – Er blufft, der elende Kerl!«
»Findet es heraus«, gab John kalt zurück. »Keine Schießerei in dieser Stadt – habt ihr das nicht euren Männern befohlen? Und was macht ihr? Eure Söhne tragen Wagenrennen durch die Stadt aus und bringen das Leben anderer Menschen in Gefahr. Die Waffen ablegen, oder ihr erlebt etwas!«
»Ehe ich meine Waffen abgebe, will ich lieber sterben«, zischelte Lionel McGruder. »Nun gut, ich werde für den Schaden zahlen, aber mehr erwarte nun nicht, du Narr. Ich will nichts gegen das Gesetz tun, doch das schwöre ich dir: dies ist dein letzter Sheriffstern gewesen.«
»Ja«, gab Abe Harris seinen Senf dazu. »Niemand soll sagen, ich hätte das Gesetz nicht geachtet, ich habe immer Respekt davor gehabt. Und ich will es nicht, daß irgendwer durch eine Schießerei verletzt wird.«
Sie waren alt, gerissen und listig wie erfahrene Füchse. Jeder erkannte sofort die sich ihm bietende Chance. Beide beeilten sich zu versichern, daß sie immer schon das Gesetz befolgt hätten. Und doch wußte John Warren, daß sie froh waren, um eine Schießerei herumgekommen zu sein. Ihre Worte hatten dafür gesorgt, daß sie ihr Gesicht nicht verloren.
Für John Warren begann die Arbeit. Er kannte den krankhaften Geiz von Harris und machte sich auf ein hartes Feilschen um jeden Dollar Schadenersatz für Dempsey bereit. Was der alte Abe Harris seinem Sohn Luke erzählen würde, konnte John sich vorstellen. Der Alte würde Gift und Galle spucken – aber schließlich doch nach Hause reiten.
*
Lionel McGruder blickte seinem jüngsten Sohn wütend nach. Harris hatte sich einen Wagen geliehen, um Luke nach Hause zu schaffen. Er und die Männer waren längst unterwegs. Howie ritt mit Jim Lawson und Bill Shivers davon, während Walsh mit unbeweglichem Gesicht bei den Pferden stand.
Er lernt es nicht, dachte Lionel McGruder und biß sich auf die Unterlippe. Dieser verdammte Bursche Howie wird sich noch eines Tages den Hals brechen. Fährt mir den Vierhundert-Dollar-Buckboard zusammen. Auslösen muß ich ihn, bezahlen, weil er nichts als Dummheiten im Kopf hat. Der Teufel soll ihn holen. Das hätte ich mit Matt nie erlebt, nichts von dem, was Howie schon alles angerichtet hat. Matt hätte sich nicht provozieren lassen, der nicht. Der hätte ihnen etwas vor das Maul gehauen, aber niemals das Eigentum