Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski. Henryk Sienkiewicz
sein Atem sich nur mühsam der eingefallenen Brust entrang. Und doch, wenn die Freilassung zum Nutzen, zum Ruhm des Ordens gereichte? Wenn die Strafe, welche die noch lebenden Miturheber des Verbrechens treffen würde, den bis jetzt feindlich gesinnten Fürsten Janusz versöhnen und einen Vergleich, ja, den Frieden herbeizuführen im stande wäre? »Wohl sind sie aufbrausend,« fuhr der alte Komtur in seinem Selbstgespräche fort, »sobald man ihnen jedoch auch nur ein klein wenig entgegen kommt, vergessen sie rasch die erlittenen Kränkungen. Fürst Janusz hat sich in keiner Weise gerächt, obgleich er auf seinem eigenen Grund und Boden aufgegriffen worden ist!« Im tiefsten Innern erregt, schritt Zygfryd in der Halle hin und her. Schließlich stand er vor dem Kruzifixe still, das gegenüber der Thüre zwischen zwei Fenstern hing und fast die ganze Höhe der Wand einnahm. Hier warf er sich plötzlich auf seine Knie und sprach also: »Erleuchte mich, o Herr, belehre mich, o Herr, denn ich weiß nicht, was mir zu thun obliegt. Gebe ich Jurand und dessen Tochter frei, dann wird unsere That in ihrer ganzen Nacktheit enthüllt werden. Kein Mensch wird sagen: Danveld hat dies gethan, oder Zygfryd that dies, nein alle werden in den Ruf einstimmen: die Kreuzritter sind die Urheber davon. Schmach und Schande werden den Orden treffen, noch größer wird der Haß des Fürsten werden. Doch wenn ich jene nicht freigebe, wenn ich sie im Kerker verborgen halte, wenn ich sie töte, bleibt dann nicht der Verdacht auf dem Orden haften, muß ich dann nicht vor dem Großmeister meine Lippen mit einer Lüge beflecken? Was soll ich beginnen, o Herr! Lehre Du es mich, erleuchte mich! Wenn Rachedurst mich verzehrt, o so richte in Deiner Barmherzigkeit! Nun aber lehre mich, erleuchte mich! Um Deinen Orden handelt es sich, was Du befiehlst, das will ich thun, selbst wenn ich in einem Kerker und in Ketten auf den Tod oder auf die Befreiung harren müßte!«
Die Stirn an das Kreuz gepreßt, betete Zygfryd noch lange inbrünstig, ohne daß es ihm zum Bewußtsein gekommen wäre, sein Gebet sei verwerflich, sei eitel Gotteslästerung. Als er sich endlich erhob, war er gefaßter, in sich geklärter. Eine große Gnade, so dünkte ihn, sei ihm zu teil geworden, er glaubte eine Stimme von oben vernommen zu haben, die ihm zurief: »Stehe auf und harre auf die Rückkehr Rotgiers.« Ja, das mußte er thun. »Nach dem Siege Rotgiers über den jungen Fant,« so sagte sich Zygfryd, »steht es bei jenem, Jurand und dessen Tochter noch länger verborgen zu halten oder freizugeben. Voraussichtlich wird der Fürst auch in ersterem Falle der beiden nicht vergessen, da ihm aber jeder Beweis dafür fehlt, von wem das Mägdlein entführt ward, bleibt ihm nichts übrig als Nachforschungen anzustellen, ein Schreiben an den Großmeister zu senden, nicht mit einer Anklage, nein, mit der Bitte um Untersuchung – und was wäre die Folge von all diesem? In der ganzen Angelegenheit würde niemals ein Endziel erreicht werden. Im andern Falle würde die Freude über die Rückkehr von Jurands Tochter den Wunsch nach Rache wegen ihrer Entführung ersticken. Uns aber steht dann noch immer die Behauptung frei, wir hätten das Mägdlein erst nach dem fürchterlichen Blutbade in Szczytno gefunden.« Dieser Gedanke beruhigte Zygfryd einigermaßen, besonders da er in Betreff Jurands schon längst gemeinsam mit Rotgier einen Plan entworfen hatte, durch dessen Ausführung Jurand selbst nach seiner Freilassung daran gehindert sein würde, Klage zu führen oder Rache zu nehmen. Voll Freude erinnerte sich jetzt Zygfryd dieses Mittels, und mit Genugthuung gedachte er daran, daß in Ciechanow ein Gottesgericht den blutigen Kampf entscheiden sollte. Keinen Augenblick sorgte er sich daher über dessen Ausgang. Ein Turnier in Königsberg kam ihm in den Sinn, in dem Rotgier zwei berühmte Ritter darniedergestreckt hatte, die in ihrem Heimatlande Anjou als unbesiegbar galten, er erinnerte sich eines Kampfes bei Wilno mit einem polnischen Ritter, einem der Mannen von Spytko aus Melsztyn, der auch von Rotgier erschlagen worden war. Sein Antlitz strahlte, sein Herz ward von Stolz geschwellt, hatte er doch dem jetzt schon mit Ruhm bedeckten Ritter Rotgier die ersten Anleitungen in der Kriegsführung gegen die Litauer gegeben. So liebte er ihn denn auch gleich einem Sohne, er liebte ihn mit der Innigkeit, deren nur solche Menschen fähig sind, die lange Jahre hindurch gezwungen waren, die Sehnsucht nach der Allgewalt der Liebe in ihrem Herzen zu verbergen. Und nun stand dieser geliebte Sohn im Begriff, abermals das Blut eines verhaßten Feindes zu vergießen, um dann mit Ruhm bedeckt zurückzukehren. »Das Gottesgericht wird für ihn entscheiden,« sagte sich Zygfryd, »und kein Verdacht mehr wird auf dem Orden lasten! Das Gottesgericht!« Plötzlich regte sich in dem Herzen des alten Mannes ein unbestimmtes Angstgefühl. In diesem todbringenden Kampfe stritt Rotgier für die Unschuld der Ordensritter – doch er kämpfte für eine Lüge, denn jene waren schuldig. »Wie wenn sich ein Unglück ereignen würde!« murmelte Zygfryd vor sich hin. »Nein, daran ist nicht zu denken. Noch drei Tage, dann kehrt Rotgier zurück – als Sieger kehrt er zurück!«
Durch diese Erwägungen allgemach ruhiger geworden, zog nun der alte Kreuzritter den Fall in Betracht, ob es nicht ratsamer wäre, Danusia in eine der entfernteren Burgen bringen zu lassen, welche jedem Angriff der Masuren standhalten konnte. Doch gleich darauf wies er diesen Gedanken wieder von sich. Nur Danusias Ehegemahl konnte einen Ueberfall planen, voraussichtlich war er aber schon unter den Streichen Rotgiers gefallen. Was mochte aber von seiten des Fürsten und der Fürstin geschehen? Sie konnten Nachforschungen anstellen, Schreiben versenden, Klagen vorbringen! Was aber erreichten sie damit! Nichts, als daß sich die Sache noch verwickelter, noch geheimnisvoller gestaltete und kein Ende abzusehen war. »Ehe sie zum Ziele gelangen würden,« dachte Zygfryd, »werde ich tot sein, Jurands Tochter aber wird vielleicht in einem der Kerker des Ordens dahinwelken.« Gleichwohl gab er Befehl, die Burg in Verteidigungszustand zu setzen, die Wege zu bewachen, wußte er doch selbst noch nicht, was nach seiner Beratung mit Rotgier geschehen werde. In solcher Weise gerüstet, harrte er auf dessen Ankunft.
Allein die festgesetzte Frist verstrich, ohne daß Rotgier zurückgekehrt wäre. Tag auf Tag verging, keiner seiner Mannen erschien vor dem Thore Szczytnos. Endlich am fünften Tage – es dunkelte bereits – ertönte ein Hornsignal vor dem Turme des Thorwarts. Zygfryd hatte gerade sein Abendgebet vollendet. Sofort entsandte er einen Knaben, um zu hören, wer angelangt sei.
Schon nach wenigen Minuten kehrte der Knabe zurück. Da jedoch das Gelaß durch das in einem tiefen Kamine brennende Feuer nur schwach erhellt wurde, bemerkte der alte Kreuzritter die Bestürzung seines Abgesandten nicht.
»Sind sie gekommen?« fragte er rasch.
»Ja,« erwiderte der Knabe in einem Tone, der Zygfryd sofort beunruhigte.
»Und Bruder Rotgier?«
»Sie haben ihn hierher gebracht.«
Langsam erhob sich Zygfryd von seinem Armstuhl, stützte sich schwer auf dessen Lehne, wie um nicht zu fallen, und sagte mit einer seltsamen, fast erloschenen Stimme: »Reiche mir meinen Mantel!«
Der Knabe hing ihm den Mantel um die Schultern. Da richtete sich der alte Kreuzritter, der seine Fassung wiedergewonnen hatte, hoch auf und schritt, die Kapuze über das Haupt ziehend, aus dem Gelasse.
Bald befand er sich in dem Burghofe. Es dunkelte schon völlig. Ueber den knirschenden Schnee schritt er auf das Gefolge zu, das noch immer in der Nähe des Thores stand. Pechfackeln, die von einigen Kriegsknechten gehalten wurden, verbreiteten hier etwas Licht. Schon hatte sich eine große Menschenmenge angesammelt. Beim Anblick des alten Ordensbruders wichen die Kriegsknechte zur Seite. In dem Scheine der Pechfackeln zeigten sich allenthalben bestürzte Gesichter, von überall her ließen sich gedämpfte Schreckensrufe vernehmen: »Bruder Rotgier …«
»Bruder Rotgier ist erschlagen …«
Zygfryd näherte sich dem Schlitten, worin, auf Stroh gebettet, ein mit einem Mantel bedeckter Leichnam lag. Rasch hob er den Mantel empor.
»Leuchtet!« befahl er hierauf einigen Söldnern, indem er seine Kapuze zurückschob.
Ein Kriegsknecht trat mit einer Fackel heran, und vor dem alten Kreuzritter lag Rotgier mit schneeweißem Antlitz, ein dunkles Tuch um das Kinn gebunden, damit der Mund nicht offen bleibe. So klein war das Gesicht geworden, daß er kaum noch zu erkennen war. Bläuliche Flecken zeigten sich an den Schläfen und um die Augen, die durch den Frost erstarrten Wangen glänzten wie Glas.
Schweigend blickte der Komtur lange Zeit auf den Toten. Tiefe Stille herrschte, denn alle, die umherstanden, wußten, daß Zygfryd für Rotgier ein Vater gewesen war, daß er ihn innig geliebt hatte. Doch keine Thräne trübte die Augen des alten Kreuzritters. Nur blickte er noch finsterer