Gesammelte historische Romane: Quo Vadis? + Die Kreuzritter + Mit Feuer und Schwert + Sintflut + Pan Wolodyjowski. Henryk Sienkiewicz
wieder: »Daran habe ich wahrlich nie gedacht. Jagienka bestand darauf, mit mir zu ziehen.«
»Sie bestand darauf, weil wir ihr vorredeten, die Sicherheit ihrer Brüder sei eine weit größere, wenn sie sich von Zgorzelic fern halte, weil wir ihr sagten, Jurands Tochter befinde sich nicht mehr am Leben, deshalb ist sie mit Euch gezogen.«
»Kein anderer als Du hast ihr dies alles gesagt,« schrie Macko.
»Ich habe mich dessen schuldig gemacht. Jetzt aber müssen wir ihr zeigen, wie die Dinge liegen. Wir sind zum Handeln verpflichtet, o Herr, unterlassen wir es aber, dann wäre es besser für uns, zu Grunde zu gehen.«
»Was willst Du beginnen?« fragte Macko ungeduldig. »Was glaubst Du in einer Schlacht mit einem solchen Kriegsheere zu erreichen? Bevor der Monat Juli kommt, wird sich vielleicht alles besser gestaltet haben. Die Kreuzritter können ja nur zu bestimmten Zeiten Krieg führen – im Winter oder während eines trockenen Sommers. Die Kriegsfackel glimmt zwar schon, sie brennt aber noch nicht. Vermutlich hat sich Fürst Witold nach Krakau begeben, um dem König Bericht zu erstatten und dessen Zustimmung, dessen Unterstützung zu erlangen.«
»Gar viele Burgen der Kreuzritter befinden sich aber hier in der Nähe. Wenn wir auch nur zwei davon in unsere Gewalt bekommen könnten, würden wir vielleicht Jurands Tochter auffinden oder uns Gewißheit über ihren Tod verschaffen.«
»Und wenn weder das eine noch das andere der Fall wäre?«
»Jedenfalls ist sie von Zygfryd in diese Gegend gebracht worden. Dies ward uns wenigstens in Szczytno berichtet, und wir selbst haben auch nie anders gedacht.«
»Doch hast Du schon das Kriegsvolk hier gesehen? Komm mit mir hinter das Zelt und schau umher. Etliche sind nur mit Pfählen bewaffnet, etliche tragen erzene, von den Urahnen ererbte Schwerter.«
»Bei meiner Treu, was liegt daran! Gar tüchtig sollen sie sich aber im Kampfe erweisen.«
»Vermögen sie indessen mit nackter Brust die Burgen zu erstürmen, und gar noch die Burgen der Kreuzritter?«
Das weitere Gespräch wurde durch das Hinzutreten Zbyszkos unterbrochen, dem Skirwoillo, der Anführer der Samogitier folgte. Letzterer, ein fast kleiner Mann, der an Wuchs kaum einen Waffenträger überragen mochte, war kräftig und breitschultrig gebaut. Seine hohe gewölbte Brust konnte nahezu einem Höcker verglichen werden, und seine unverhältnismäßig langen Arme reichten fast bis zu den Knien. Im großen und ganzen ähnelte er Zindram aus Maszkowice, jenem berühmten Ritter, dessen Bekanntschaft Macko und Zbyszko seinerzeit in Krakau gemacht hatten, besaß er doch gleichfalls einen ungewöhnlich großen Kopf und völlig krumme Beine. Wie allgemein von ihm behauptet ward, verstand er sich vortrefflich auf die Kriegskunst. Den größten Teil seines Lebens hatte er im Felde verbracht. Er stritt lange Jahre hindurch in Rußland gegen die Tataren, und dann kämpfte er gegen die Deutschen. Während jener Kriege war ihm die russische Sprache geläufig geworden, später lernte er an Witolds Hofe auch etwas polnisch, und das Deutsche verstand er nicht nur, sondern wußte sogar nicht weniger als drei Worte zu sagen: »Feuer«, »Blut« und »Tod«. Sein ungeheurer Kopf steckte stets voll Kriegslisten und Kriegsplänen, die zu vereiteln die Kreuzritter nie im stande waren. Was Wunder, daß man ihn vornehmlich in den an der Grenze gelegenen Komtureien nicht wenig fürchtete.
»Wir haben einen Angriff in Erwägung gezogen,« wandte sich Zbyszko sofort mit ungewöhnlichem Eifer an seinen Ohm, »und sind jetzt zu Euch gekommen, um aus Eurem erfahrenen Munde einen Rat zu erhalten.«
Macko bedeutete Skirwoillo, auf einem mit einem Bärenfelle bedeckten Fichtenstamme Platz zu nehmen, dann befahl er einem Knechte, einen großen Krug Met zu bringen, aus dem die Ritter sich ihre Blechgefäße voll schöpften, und erst nachdem sich alle durch einen tüchtigen Trunk gestärkt hatten, hub der alte Kämpe also an: »Ihr wollt also einen Angriff unternehmen. Was bezweckt Ihr damit?«
»Eine Burg der Deutschen wollen wir niedersengen.«
»Welche? Ragneta oder Neu-Kowno?«
»Ragneta!« erwiderte Zbyszko. »Vor vier Tagen sind wir gegen Neu-Kowno gezogen, wurden aber zurückgeschlagen.«
»Just ist es so gewesen!« fügte Skirwoillo hinzu.
»Wie sind die Deutschen dabei zu Werke, gegangen?«
»Auf äußerst tüchtige Weise.«
»Geduldet Euch ein wenig,« ergriff nun Macko das Wort, »denn ich kenne dies Land nicht genau. Wo liegt Neu-Kowno und wo Ragneta?«
»Von hier nach Alt-Kowno ist’s nicht ganz eine Meile,« antwortete Zbyszko, »und von Alt-nach Neu-Kowno ungefähr die gleiche Entfernung. Die Burg steht auf einer Insel. Umsonst versuchten wir, überzusetzen, sie vereitelten unsern Plan. Während eines halben Tages verfolgten sie uns, schließlich jedoch verbargen wir uns in diesem Walde; unsere Mannen waren indessen derart nach allen Richtungen hin auseinander getrieben, daß etliche von ihnen sich erst heute in der Frühe wieder einstellten.«
»Wo liegt Ragneta?«
»Weit, weit fort!« rief nun Skirwoillo, mit seinen riesenlangen Armen gen Norden zeigend.
»Gerade weil die Burg so weit entfernt liegt, sollten wir einen Ueberfall wagen,« ließ sich jetzt Zbyszko vernehmen. »Dort herrscht Ruhe, denn alle bewaffneten Mannen aus jener Gegend sind gegen uns aufgeboten worden. Von einem Ueberfalle auf Ragneta lassen sich die Deutschen nichts träumen, auf Sorglose, Unbekümmerte werden wir daher stoßen.«
»Wahrlich, so ist es!« bemerkte Skirwoillo.
»Demzufolge glaubt Ihr, daß wir die Burg nehmen können?« fragte Macko.
Skirwoillo schüttelte verneinend das Haupt, aber Zbyszko antwortete: »Die Burg ist stark befestigt, doch könnte uns der Zufall günstig sein. Zunächst müssen wir das Land verwüsten, Dörfer und Städte niederbrennen, die Kornspeicher vernichten, vor allem aber Gefangene zu machen suchen. Manch namhafter Kämpe mag sich dann unter ihnen befinden, für den die Kreuzritter willig Lösegeld bezahlen, oder den sie für einen andern auszuwechseln gern bereit sind.«
Sich nun zu Skirwoillo wendend, fuhr er fort: »Ihr selbst, Fürst, habt mir beigestimmt und nun bedenkt noch eines: Neu-Kowno liegt auf einer Insel. In der Nähe dieser Burg können wir daher weder Dörfer zerstören, noch Vieh hinwegführen, noch Gefangene machen. Einmal schon sind wir geschlagen worden. Darum ist es besser, einen Angriff dort zu wagen, wo sie uns jetzt am wenigsten erwarten.«
»Wer siegt, der glaubt fast nie an einen neuen Ueberfall,« murmelte Skirwoillo.
Nun hub Macko zu sprechen an. Er erklärte sich mit Zbyszkos Ansicht einverstanden, war er doch überzeugt, der junge Ritter werde in Ragneta weit eher etwas in Erfahrung bringen, als in Neu-Kowno, ja, es werde ihm bei Ragneta weit leichter gelingen, einen namhaften, zur Auswechslung geeigneten Kämpen in seine Gewalt zu bekommen. Allein ganz abgesehen davon, hielt Macko es auch weit ratsamer, in der Ferne, in einem weniger bewachten Gebiete unvermutet einzufallen, als gegen eine Burg vorzugehen, die wohl befestigt war, von einer siegesfrohen Besatzung verteidigt ward und zudem auf einer von der Natur schon geschützten Insel lag.
Als ein kriegskundiger Ritter setzte er seine Ansicht so klar auseinander und begründete sie in solch trefflicher Weise, daß er auf jeden überzeugend wirken mußte. Jene beiden lauschten ihm aufmerksam. Skirwoillo runzelte dann und wann, wohl als Zeichen der Zustimmung, die Stirn und murmelte: »Die reine Wahrheit, die reine Wahrheit.« Zuletzt zog er die breiten Schultern dermaßen in die Höhe, daß sein gewaltiges Haupt fast dazwischen verschwand und man, während er so sinnend dasaß, noch mehr als sonst den Eindruck bekam, als ob er verwachsen sei.
Mit einem Male erhob er sich rasch und schickte sich, ohne ein Wort zu sprechen an, das Zelt zu verlassen.
»Aber, Fürst, wie soll es werden?« fragte Macko. »Wohin sollen wir aufbrechen?«
»Nach Neu-Kowno!« entgegnete Skirwoillo kurz, indem er sich entfernte.
Macko und Hlawa blickten zuerst voll Staunen auf Zbyszko, dann schlug sich der alte Ritter mit beiden Händen auf die Schenkel