Ausgewählte Erzählungen. Oscar Wilde
Schloß!« rief Lady Windermere.
»Ja, meine Teure«, sagte die Herzogin. »Ich liebe ...«
»Den Komfort«, sagte Mr. Podgers. »Und die Errungenschaften der Neuzeit, wie Heizung in jedem Schlafzimmer. Euer Gnaden haben ganz recht. Komfort ist das einzige, was unsere Kultur uns zu geben vermag.«
»Sie haben den Charakter der Herzogin bewundernswürdig getroffen, Mr. Podgers – jetzt müssen Sie uns aber auch den Charakter Lady Floras enthüllen.«
Und auf ein Kopfnicken der lächelnden Hausfrau erhob sich ein hochgewachsenes Mädchen mit rötlichem Haar und hohen Schultern verlegen vom Sofa und streckte ihm eine lange knochige Hand mit spateiförmigen Fingern entgegen.
»Ah, eine Klavierspielerin, wie ich sehe«, sagte Mr. Podgers. »Eine ausgezeichnete Pianistin, aber vielleicht nicht sehr musikalisch. Sehr zurückhaltend, sehr ehrlich. Sie lieben Tiere sehr.«
»Sehr wahr!« rief die Herzogin und wandte sich Lady Windermere zu. »Das ist vollkommen wahr. Flora hält in Macloskie zwei Dutzend Collies und würde auch unser Stadthaus in eine Menagerie verwandeln, wenn der Vater es erlaubte.«
»Wie ich es mit meinem Haus jeden Donnerstagabend tue«, rief Lady Windermere lachend. »Nur habe ich Salonlöwen lieber als Collies.«
»Das ist Ihr einziger Fehler, Lady Windermere«, sagte Mr. Podgers mit einer pompösen Verbeugung.
»Wenn eine Frau ihre Fehler nicht mit Reiz umkleiden kann, ist sie bloß ein Weibchen«, war die Antwort. »Aber Sie müssen uns noch einige Hände lesen. Bitte, Sir Thomas, zeigen Sie doch Mr. Podgers die Ihre!« Und ein lustig dreinschauender alter Herr mit einer weißen Weste kam heran und hielt eine dicke, rauhe Hand hin, deren Mittelfinger sehr lang war.
»Eine Abenteurernatur. Sie haben vier lange Reisen hinter sich und eine vor sich. Sie haben dreimal Schiffbruch erlitten. Nein, nur zweimal – aber die Gefahr eines Schiffbruchs droht Ihnen auf der nächsten Reise. Streng konservativ, sehr pünktlich. Sie sammeln mit Leidenschaft Kuriositäten. Eine schwere Krankheit zwischen dem sechzehnten und achtzehnten Jahr. Große Erbschaft nach dem dreißigsten Jahr. Große Abneigung gegen Katzen und Radikale.«
»Außerordentlich!« rief Sir Thomas aus. »Sie müssen unbedingt auch die Hand meiner Frau lesen.«
»Ihrer zweiten Frau«, sagte Mr. Podgers ruhig und hielt Sir Thomas' Hand noch in der seinen fest. »Ihrer zweiten Frau. Es wird mir ein Vergnügen sein.« Aber Lady Marvel, eine melancholisch aussehende Dame mit braunem Haar und sentimentalen Wimpern, lehnte entschieden ab, sich ihre Vergangenheit oder Zukunft enthüllen zu lassen. Und was Lady Windermere auch versuchte, nichts konnte Monsieur de Koloff, den russischen Botschafter, dazu bewegen, auch nur seine Handschuhe auszuziehen. Ja, viele schienen sich zu fürchten, dem seltsamen kleinen Mann mit dem stereotypen Lächeln, der goldenen Brille und den glänzenden Kugelaugen gegenüberzutreten; und als er der armen Lady Fermor klipp und klar vor allen Leuten erklärte, daß sie gar keinen Sinn für Musik habe, aber in Musiker vernarrt sei, fühlte man allgemein, daß Chiromantie eine sehr gefährliche Wissenschaft sei und daß man sie nur unter vier Augen betreiben dürfe.
Lord Arthur Savile aber, der von Lady Fermors unglückseliger Geschichte nichts wußte und Mr. Podgers mit großem Interesse beobachtet hatte, war furchtbar neugierig, sich aus der Hand lesen zu lassen, und da er sich etwas scheute, sich in den Vordergrund zu drängen, ging er durch das Zimmer hinüber zu Lady Windermeres Platz und fragte sie mit reizendem Erröten, ob sie wohl glaube, daß Mr. Podgers ihm den Gefallen tun würde.
»Gewiß, gewiß«, sagte Lady Windermere. »Dazu ist er ja hier. Alle meine Löwen, lieber Lord Arthur, sind dressierte Löwen, die durch den Reifen springen, wenn ich es ihnen befehle. Aber ich sage Ihnen im voraus, daß ich Sybil alles wiedererzählen werde. Sie kommt morgen zum Lunch zu mir – wir haben über Hüte zu reden –, und wenn Mr. Podgers herausfinden sollte, daß Sie einen schlechten Charakter oder Anlage zur Gicht haben oder daß Sie bereits eine Frau besitzen, die irgendwo in Bayswater lebt, so werde ich sie das alles bestimmt wissen lassen!«
Lord Arthur lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich fürchte mich nicht«, sagte er, »Sybil kennt mich so gut, wie ich sie kenne.«
»Ach, das tut mir eigentlich leid. Die passende Grundlage für eine Ehe ist gegenseitiges Mißverstehen. Nein, ich bin durchaus nicht zynisch. Ich habe bloß Erfahrung gesammelt, was übrigens fast auf dasselbe hinauskommt ... Mr. Podgers, Lord Arthur Savile ist furchtbar neugierig, was in seiner Hand steht. Aber erzählen Sie ihm nicht, daß er mit einem der schönsten Mädchen Londons verlobt ist, denn das hat bereits vor einem Monat in der Morning Post gestanden!«
»Liebe Lady Windermere«, rief die Marquise von Jedburgh. »Lassen Sie Mr. Podgers nur noch einen Augenblick hier! Er hat mir eben gesagt, daß ich zur Bühne gehen würde, und das interessiert mich schrecklich.«
»Wenn er Ihnen das gesagt hat, Lady Jedburgh, werde ich ihn gewiß sofort abberufen. Kommen Sie gleich herüber, Podgers, und lesen Sie Lord Arthurs Hand.«
»Schön«, sagte Lady Jedburgh und verzog etwas das Mündchen, als sie vom Sofa aufstand. »Wenn man mir nicht erlauben will, zur Bühne zu gehen, will ich wenigstens Publikum sein.«
»Natürlich, wir sind alle Publikum«, sagte Lady Windermere. »Und nun, Mr. Podgers, erzählen Sie uns etwas recht Hübsches. Lord Arthur ist einer meiner besonderen Lieblinge.«
Als aber Mr. Podgers Lord Arthurs Hand erblickte, erblaßte er ganz merkwürdig und sagte gar nichts. Ein Schauer schien ihn zu schütteln, und seine großen, buschigen Augenbrauen zuckten konvulsivisch auf eine ganz seltsame, erregte Art, wie immer, wenn er sich in einer schwierigen Situation befand. Dann traten große Schweißtropfen auf seine gelbe Stirn wie giftiger Tau, und seine dicken Finger wurden kalt und feucht.
Lord Arthur entgingen natürlich diese merkwürdigen Zeichen von Aufregung nicht, und zum erstenmal in seinem Leben empfand er Furcht. Sein erster Gedanke war, aus dem Zimmer zu stürzen, aber er bezwang sich. Es war besser, das Schlimmste zu erfahren, was es auch sein mochte, als in dieser fürchterlichen Ungewißheit zu bleiben.
»Ich warte, Mr. Podgers«, sagte er.
»Wir warten alle«, sagte Lady Windermere in ihrer raschen, ungeduldigen Art, aber der Chiromant gab keine Antwort.
»Wahrscheinlich soll Arthur auch zur Bühne gehen«, sagte Lady Jedburgh. »Und da Sie vorhin gescholten haben, traut sich Mr. Podgers nicht, es zu sagen.«
Plötzlich ließ Mr. Podgers Lord Arthurs rechte Hand fallen und ergriff seine linke; um sie zu prüfen, beugte er sich so tief herab, daß die goldene Fassung seiner Brille die Handfläche zu berühren schien. Einen Augenblick legte sich das Entsetzen wie eine bleiche Maske über sein Gesicht, aber er fand bald seine Kaltblütigkeit wieder und sagte mit einem Blick auf Lady Windermere und mit einem erzwungenen Lächeln: »Es ist die Hand eines reizenden jungen Mannes.«
»Das stimmt natürlich«, antwortete Lady Windermere. »Aber wird er auch ein reizender Ehemann werden? Das möchte ich gern wissen.«
»Das ist die Bestimmung aller reizenden jungen Männer«, sagte Podgers.
»Ich glaube nicht, daß ein Ehemann gar zu reizend sein sollte«, murmelte nachdenklich Lady Jedburgh. »Das ist zu gefährlich.«
»Mein liebes Kind, Ehemänner sind niemals reizend genug!« rief Lady Windermere. »Was ich aber wissen möchte, sind Einzelheiten. Einzelheiten sind nämlich das einzige, was interessant ist. Was wird also Lord Arthur begegnen?«
»In den nächsten Monaten wird Lord Arthur eine Reise machen –«
»Seine Hochzeitsreise natürlich.«
»Und eine Verwandte verlieren.«
»Doch hoffentlich nicht seine Schwester«, sagte Lady Jedburgh mit kläglicher Stimme.
»Bestimmt nicht seine Schwester«, sagte Mr. Podgers mit einer abwehrenden Handbewegung. »Bloß eine entfernte Verwandte.«