Gib mir die Hand. Rudolf Stratz

Gib mir die Hand - Rudolf Stratz


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seine weichlichen Züge. Er schaute in das auf dem Tisch liegende Konzertprogramm, ohne den Kopf zu heben. Und Lisa bemerkte mit plötzlichem Herzklopfen, dass sich in der Gesellschaft der Görwihls Roloff befand, den das Gedränge ein paar Schritte von ihnen entfernt gehalten hatte. Er grüsste ehrerbietig gemessen wie immer. Sie neigte leicht, fast ohne hinzusehen, das Haupt. Gleich darauf fluteten draussen schon wieder fremde Menschen vorüber. Nun schaute sie ihm nach. Roloff begleitete wohl das ihm befreundete Ehepaar, das in der Nähe wohnte, bis zu ihrem Hause und kehrte dann in sein Steppenheim bei Hadschi-Bey, von dem er ihr erzählt, in die Einsamkeit der ausgetrockneten Salzsümpfe, zu seinen Hunden und Gewehren zurück, um morgen früh wieder unten im Peressip den Weizen prüfend durch die Finger gleiten zu lassen und kaltblütig mit den Maklern zu feilschen.

      Eine Weile war es zwischen ihnen still. Dann sagte Lisa ruhig: „Das muss Roloff gemerkt haben!“

      „Was denn?“

      „Dass du seinen Gruss nicht hast erwidern wollen!“

      „Dann mag er es merken!“

      Diese Art war bei Nicolai ungewohnt. Und befremdender noch der dumpfe Groll in seiner Stimme, als er hinzusetzte: „Dieser Mensch ist gefährlich! Vergiss das nicht!“

      Wem gefährlich? Dem Geschäft? Sie wollte nicht fragen. Aber sie fühlte deutlich: Nein — das meinte er nicht! Er, der sein ganzes Leben mit Frauen und für die Frauen verbracht, der allmählich selbst aus ihrem Wesen heraus zu denken und zu fühlen gelernt hatte, er hielt sich plötzlich für verpflichtet, sie zu warnen — er zeigte ihr, deren er sonst so achtlos sicher schien, dass er sich kaum um sie kümmerte, ganz unverhohlen seine Eifersucht, und weckte dadurch vielleicht erst etwas in ihr auf, an das sie selbst noch gar nicht gedacht hatte . . .

      Sie war so betroffen, dass sie kein Wort der Erwiderung fand. Sie sann nur: er muss ja wissen, wer gefährlich ist und wer nicht! Aber warum sagt er es? — Und Nicolai selbst bereute sofort wieder seine übereilte, nervöser und gekränkter Eigenliebe entsprungene Äusserung, und fing an, plötzlich gesprächig und liebenswürdig werdend, von seinen geschäftlichen Plänen zu reden und dass er überzeugt sei, mit seiner Zuversicht auf das Ausbleiben des Ausfuhrverbots richtig zu liegen, und dass er daher, wenn er jetzt das Kontor nicht mehr betrete, mit voller Hoffnung auf eigene Faust weiter spekulieren werde. Um Herakles Yannopoulo und seine Frau, die mit dem jüdisch-italienisch-anatolischen Fessträger Tedesco gar nicht weit entfernt sassen, kümmerte er sich dabei geflissentlich in keiner Weise.

      Eine Zeitlang hörte Lisa zu. Dann stand sie auf einmal auf und sagte ihm ruhig mitten in einen Satz hinein: „Ich möchte nach Hause!“ Und er brach betroffen ab. Er war ganz anders wie sonst. Unruhig und unsicher.

      Der Tatar Abdul hielt seitwärts auf dem Boulevard mit dem Wagen. Nicolai begleitete sie hin und wollte selbst mit einsteigen. Aber sie frug: „Fährst du denn nicht gleich wieder in die Stadt zurück?“

      „Ja. Ich habe noch Geschäfte.“

      „Nun — dann bleibe doch gleich da! Ich will dich nicht aufhalten. Ich habe ja den Diener auf dem Bock. Es kann mir nichts passieren.“

      „Gut!“ erwiderte er kühl und half ihr in den Wagen und nickte ihr, während die Pferde anzogen und Hufe und Räder eine deutliche Spur in den vor Hitze noch weichen Asphalt schnitten, noch einmal lächelnd zu. Dann ging er wieder zurück auf die Terrasse.

      Nun setzte er sich wohl zu den Yannopoulos. Alle Welt sah es. Er war dazu im stande. Oder nein . . . so geschmacklos, so auffällig war er nicht. Er liess die jetzt ruhig auch nach Hause gehen, und eine Viertelstunde später war er bei ihnen und lachte mit der Polin beim summenden Samowar und rauchte mit ihrem Mann eine Papyros um die andere und redete mit ihm von Geschäften und mit ihr von tausend Dingen — er erzählte ihr ja alles! — und fühlte sich da wohl und behaglich, ganz anders wie in seinem eigenen Heim, eben weil es nicht sein Heim und ihm schon dadurch langweilig war.

      Aber bei dem Gedanken daran litt Lisa Sandbauer nicht unter der überströmenden Bitterkeit und Verachtung wie sonst. Es war leichter in ihr geworden — freier. Sie empfand deutlich, wie die Macht, die ihr Mann über sie übte, im selben Masse schwand, als er ihr seine Eifersucht verraten hatte. Sie war ihm und seiner Eitelkeit doch mehr, als sie gemeint, und in diesem Bewusstsein stärkte sich ihr Selbst gegen ihn, so unnötig auch — das sagte sie sich, um es zu glauben, immer wieder während der Fahrt vor — seine Warnung vor Roba Roloff gewesen war . . .

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