Autobiografie von Alice B.Toklas. Gertrude Stein
beides. Ich war eingeladen worden Samstagabend zum Essen zu kommen dem Abend wo jedermann kam, und tatsächlich kam jedermann. Ich ging zum Essen. Das Essen hatte Hélène gekocht. Ich muss ein wenig von Hélène erzählen.
Hélène war schon seit zwei Jahren bei Gertrude Stein und ihrem Bruder gewesen. Sie war eine von jenen Perlen mit anderen Worten vorzüglichen Mädchen für alles, guten Köchinnen die sich ganz dem Wohlergehen ihrer Herrschaft und ihrer selbst widmen, fest davon überzeugt dass alles was man kaufen kann viel zu teuer ist. Oh das ist aber teuer, war ihre Antwort auf jede Frage. Sie verschwendete nichts und führte den Haushalt mit nicht mehr als acht Francs täglich. Sie wollte mit dieser Summe sogar inklusive Gäste auskommen, es war ihr Stolz, doch das war natürlich schwierig weil sie um der Ehre ihres Hauses willen und auf Wunsch ihrer Herrschaft jedem immer genug zu essen geben sollte. Sie war eine ausgezeichnete Köchin und machte ein sehr gutes Soufflé. In jenen Tagen lebten fast alle Gäste mehr oder weniger von der Hand in den Mund, keiner verhungerte, irgendeiner half immer doch die meisten lebten nicht im Überfluss. Es war Braque der etwa vier Jahre später als sie alle bekannt zu werden begannen sagte, mit einem Seufzer und einem Lächeln, wie sich das Leben verändert hat wir alle haben jetzt Köchinnen die ein Soufflé machen können.
Hélène hatte ihre eigenen Ansichten, zum Beispiel konnte sie Matisse nicht leiden. Sie sagte immer ein Franzose solle nicht überraschend zum Essen bleiben vor allem nicht wenn er sich vorher beim Mädchen erkundigt habe was es zu essen gebe. Sie sagte Ausländer wären durchaus berechtigt so etwas zu tun aber kein Franzose und Matisse habe dies einmal getan. Wenn also Miss Stein zu ihr sage, Monsieur Matisse bleibt heute Abend zum Essen, dann sage sie, in dem Fall mach ich kein Omelette sondern Spiegeleier. Dafür braucht man die gleiche Anzahl Eier und die gleiche Menge Butter aber es zeugt von weniger Achtung, und er wird verstehen.
Hélène blieb bis Ende 1913 im Haushalt. Dann bestand ihr Mann, sie hatte inzwischen geheiratet und hatte einen kleinen Jungen, darauf dass sie nicht länger für andere arbeitete. Zu ihrem großen Bedauern ging sie und später sagte sie immer dass das Leben zu Hause lange nicht so amüsant sei wie in der Rue de Fleurus. Viel später, etwa vor drei Jahren, kam sie für ein Jahr wieder zurück, da es ihr und ihrem Mann schlecht ergangen und der Junge gestorben war. Sie war so vergnügt wie früher und außerordentlich interessiert. Sie sagte ist es nicht merkwürdig, all die Leute die ich damals kannte als sie noch niemand waren stehen jetzt immer in den Zeitungen, und neulich Abend wurde im Radio Monsieur Picassos Name erwähnt. Ja die Zeitungen schreiben sogar über Monsieur Braque, der immer die großen Bilder beim Aufhängen festhalten musste weil er der Stärkste war, während der Hausmeister die Nägel einschlug, und jetzt wird im Louvre, man stelle sich vor, im Louvre ein Bild von dem armen kleinen Monsieur Rousseau gezeigt, der so schüchtern war dass er sich nicht einmal traute an die Tür zu klopfen. Hélène war furchtbar gespannt Monsieur Picasso und seine Frau und sein Kind zu sehen und kochte ihr allerbestes Diner für ihn, aber wie sehr er sich verändert hat, sagte sie, nun, sagte sie, das ist schließlich ganz natürlich aber immerhin hat er einen hübschen Sohn. Wir dachten Hélène sei in Wirklichkeit wiedergekommen um auf die junge Generation einen Blick zu werfen. Das war sie auch in gewisser Hinsicht aber sie interessierte sich nicht für sie. Sie sagte sie machten ihr keinerlei Eindruck was alle traurig stimmte denn sie war in ganz Paris zur Legende geworden. Nach einem Jahr ging es ihnen wieder besser, ihr Mann verdiente mehr Geld, und sie bleibt nun wieder zu Hause. Aber zurück zum Jahr 1907.
Ehe ich von den Gästen erzähle muss ich erzählen was ich sah. Wie ich schon sagte war ich zum Abendessen eingeladen ich klingelte am kleinen Pavillon und wurde in den winzigen Vorraum geführt und dann in das kleine Esszimmer dessen Wände mit Büchern bedeckt waren. Auf die einzigen freien Stellen, die Türen, waren ein paar Zeichnungen von Picasso und Matisse geheftet. Da die anderen Gäste noch nicht gekommen waren führte Miss Stein mich ins Atelier. Es regnet oft in Paris und es war immer schwierig durch den Regen vom Pavillon zur Ateliertür im Abendkleid zu gehen, aber an solchen Dingen durfte man sich nicht stören da die Gastgeber und die meisten Gäste es nicht taten. Wir gingen also ins Atelier das mit einem Sicherheitsschlüssel aufgemacht werden musste dem einzigen Sicherheitsschlüssel im ganzen Viertel damals, und es war nicht so sehr wegen der Sicherheit, denn die Bilder hatten in jenen Tagen keinen Wert, sondern weil der Schlüssel klein war und in das Portemonnaie passte und nicht so riesig war wie französische Schlüssel. An den Wänden entlang standen mehrere gewaltige italienische Renaissancemöbel und in der Mitte des Raumes ein großer Renaissancetisch, darauf ein hübsches Tintenfass, und auf dem Ende sorgfältig gestapelt mehrere Hefte, die Sorte Hefte die französische Kinder benutzen, mit Bildern von Erdbeben und Entdeckungsreisen auf dem Deckblatt. Und an allen Wänden bis oben an die Decke waren Bilder. An dem einen Ende des Raumes war ein großer gusseiserner Ofen den Hélène immer mit Getöse auffüllte, und in einer Ecke des Raumes war ein großer Tisch auf dem Hufeisennägel und Kieselsteine und kleine pfeifenförmige Zigarettenhalter waren die man neugierig betrachtete aber nicht berührte die aber wie es sich später herausstellte der Inhalt der Taschen von Picasso und Gertrude Stein waren. Doch zurück zu den Bildern. Die Bilder waren so seltsam dass man ganz unwillkürlich zuerst lieber alles mögliche andere ansah als sie. Ich habe mein Gedächtnis aufgefrischt und einige Fotos betrachtet die damals im Atelier aufgenommen wurden. Die Stühle im Raum waren auch alle italienische Renaissance, nicht sehr bequem für kurzbeinige Leute und man gewöhnte sich an mit untergeschlagenen Beinen zu sitzen. Miss Stein saß neben dem Ofen auf einem schönen Stuhl mit hoher Rückenlehne und ließ friedlich ihre Beine herabhängen, was sie sich angewöhnt hatte, und wenn einer von den vielen Besuchern auf sie zukam um sie etwas zu fragen erhob sie sich von diesem Stuhl und erwiderte meistens auf französisch, im Moment nicht. Das bezog sich meistens auf etwas was sie sehen wollten, Zeichnungen die fortgeräumt worden waren, ein Deutscher hatte einmal Tinte auf eine verschüttet, oder auf irgendeinen anderen nicht erfüllbaren Wunsch. Doch zurück zu den Bildern. Wie gesagt bedeckten sie die weißgetünchten Wände bis ganz oben an die sehr hohe Decke. Der Raum wurde damals durch sehr hohe Gasanschlüsse beleuchtet. Das war das zweite Stadium. Sie waren gerade montiert worden. Davor hatte es nur Lampen gegeben, und ein großer Gast hielt die Lampe hoch während die anderen hinsahen. Doch nun war das Gas installiert worden und ein erfinderischer amerikanischer Maler namens Sayen, der seine Gedanken von der Geburt seines ersten Kindes ablenken wollte, brachte gerade eine automatische Vorrichtung an damit die hohen Gasanschlüsse von selbst angingen. Die alte höchst konservative Hauseigentümerin duldete keine Elektrizität in ihren Häusern und erst 1914 wurde elektrisches Licht gelegt, weil die alte Eigentümerin da schon zu alt war um noch den Unterschied zu bemerken, gab ihr Hausverwalter die Erlaubnis. Doch jetzt will ich wirklich von den Bildern erzählen.
Es ist sehr schwierig heute wo alle sich an alles gewöhnt haben zu beschreiben was für ein Unbehagen einen überkam wenn man das erste Mal all diese Bilder an diesen Wänden betrachtete. Damals waren alle möglichen Bilder da, es war noch nicht die Zeit gekommen als es bloß Cézannes, Renoirs, Matisses und Picassos, und erst recht nicht als es später nur noch Cézannes und Picassos waren. Damals waren dort ziemlich viele Matisses, Picassos, Renoirs, Cézannes aber da waren auch sehr viele andere Dinge. Da waren zwei Gauguins, da waren Manguins, und da war ein großer Akt von Valloton der so wirkte aber nicht so aussah wie die Odaliske von Manet, da war ein Toulouse-Lautrec. In jener Zeit sah Picasso ihn sich einmal an und sagte äußerst kühn, trotzdem kann ich besser malen als er. Toulouse-Lautrec hatte ihn in seinen Anfängen am meisten beeinflusst. Ich kaufte später ein kleines winziges Bild von Picasso aus jener Epoche. Da war ein Porträt von Gertrude Stein von Valloton das ein David hätte sein können aber keiner war, da war ein Maurice Denis, ein kleiner Daumier, viele Cézanne-Aquarelle, da war einfach alles, da war sogar ein kleiner Delacroix und ein mittelgroßer Greco. Da waren riesige Picassos aus der Harlekin-Periode, da waren zwei Reihen Matisses, da waren ein großes Frauenporträt von Cézanne und einige kleine Cézannes, all diese Bilder hatten eine Geschichte und ich werde sie noch erzählen. Jetzt war ich verwirrt und ich schaute und ich schaute und ich war verwirrt. Gertrude Stein und ihr Bruder waren an diesen Zustand bei ihren Gästen derart gewöhnt dass sie dem keine Beachtung schenkten. Dann klopfte es kräftig an die Ateliertür. Gertrude Stein öffnete sie und ein kleiner dunkelhaariger gepflegter Mann trat ein an dem alles, Haare, Augen, Gesicht, Hände und Füße, sehr lebendig war. Hallo Alfy, sagte sie, dies ist Miss Toklas. Guten Abend Miss Toklas, sagte er ganz feierlich.