Rätsel um Herta. Axel Rudolph

Rätsel um Herta - Axel Rudolph


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Kommissar. Diesmal liegt die Anzeige eines Herrn Lecour vor. Gutsbesitzer aus dem Departement Haut-Auvergne. Den hat sie um 30 000 Franken leichter gemacht. Dazu um eine Brillantnadel, angeblich im Werte von 80 000 Franken.“

      „Helas! Wie hat sie das nun wieder fertiggebracht?“

      „Diesmal operiert sie mit einem schicken Auto. Eine ungewöhnlich hübsche und elegante junge Dame, die einen schnittigen Wagen lenkte, hat gestern abend auf dem Boul Michel dicht vor diesem Herrn Lecour gestoppt und ihn um Feuer für ihre Zigarette gebeten. Natürlich war Monsieur sofort dazu bereit. Kurze verbindliche Unterhaltung. Dann charmante Einladung, in den Wagen zu steigen. Madame behauptete, den gleichen Weg zu haben, den Herr Lecour zu seinem Hotel einschlagen wollte.“

      „Wohin sie dann aber natürlich nicht fuhren?“

      „Natürlich nicht. Unterwegs Anfreundung. Herr Lecour erzählte von seinen Weinbergen in der Auvergne. Madame erbot sich liebenswürdig, ihm Paris bei Nacht zu zeigen. Monsieur war natürlich entzückt von diesem Abenteuer. Er verficht jetzt noch energisch die Behauptung, Madame sei keine Kokotte gewesen, sondern eine untadelige Dame der Gesellschaft und habe mit dem Nachfolgenden nichts zu tun. Nun wohl, das Nachfolgende war einfach genug. Gemeinsamer Besuch mehrerer Nachtlokale. Zuerst ein feudales Restaurant, dann mehrere Bars und Kneipen auf dem Montmartre. Herr Lecour ist ein trunkfester Mann und weiß selbst nicht zu erklären, wie es gekommen ist. Aber in vorgerückter Nachtstunde wachte er im Straßengraben zwischen Clichy und Gennevilliers auf und stellte fest, daß Brieftasche und Brillantnadel verschwunden waren. Ebenso natürlich die Dame mit dem schnittigen Wagen. Herr Lecour ist nun in tausend Ängsten, nicht so sehr wegen seines Geldes als um die schöne Unbekannte, die seiner Ansicht nach von Banditen überfallen und entführt worden ist.“

      „Großartig! Der Wagen ...?“

      Assistent Morlain hebt die Schultern. „Herr Lecour hat es nicht für nötig erachtet, sich die Nummer anzusehen. Er kann nicht mal angeben, welche Fabrikmarke es war. Madame hat sich ihm gegenüber ‚Diane d’Arout‘ genannt.“

      „Diane d’Arout? Das ist doch ...“

      „Stimmt, mein Kommissar. So heißt die Freundin des bekannten Börsenmannes Roulac. Kommt natürlich gar nicht in Frage. Ich habe der Sicherheit halber sofort Erkundigungen eingezogen. Die wirkliche Diane d’Arout befand sich gestern abend in Gesellschaft des Comte de Polligny in der Oper. Nachher haben die Herrschaften im Hotel Louvre soupiert.“

      „Selbstverständlich ausgeschlossen“, stimmt Valvert ohne Bedenken zu. „Madame d’Arout gehört unseren ersten Kreisen an. Wüßte nicht, daß polizeilich jemals irgend etwas gegen sie vorgelegen hätte. Außerdem ... hm, wer so intim mit Herrn Roulac befreundet ist, wie Madame d’Arout, der hat es nicht nötig, Provinzonkels nächtlicherweise auszuplündern. Welche Beschreibung gibt dieser Herr Lecour von seiner Schönen?“

      „Sie paßt keinesfalls auf die wirkliche Madame d’Arout. Im übrigen ist sie dürftig und unsicher wie alle bisherigen Beschreibungen der Unbekannten. Groß, schlank, wundervolle Figur, vornehmes, feingeschnittenes Gesicht, blonde, vielleicht gefärbte Haare, Augen braun oder dunkelgrau. Autokappe, elegantes, braun-weiß gestreiftes sportliches Kleid, hellgelbe Lederjacke.“

      „Haben Sie die Personalien des Herrn Lecour schon festgestellt?“

      „Sofort. Die von ihm angegebenen Personalien stimmen. Er wohnt seit drei Tagen im Hotel d’Etoile. Gestern vormittag hat er im Crédit National 40 000 Franken abgehoben. Ich habe Durand und Jonquières gleich losgeschickt, um die Stelle zu besichtigen, wo Herr Lecour sich nach der Bummelfahrt mit der Schönen wiederfand. Schleifspuren eines Autos sind dort festzustellen, sonst jedoch nichts, was uns als Anhaltspunkt dienen könnte.“

      „Schön, mein Guter.“ Valvert hat sich bereits über das Aktenstück gebeugt und studiert aufmerksam die Aussagen des bestohlenen Herrn Lecour, während der Assistent sich am anderen Schreibtisch an seine Arbeit macht. Nachdem er zu Ende gelesen hat, sitzt Kommissar Valvert noch lange in stillem Grübeln da.

      Die Sache mit der unbekannten Hochstaplerin beginnt verflucht ungemütlich zu werden. Vor zwei Wochen schon hat der Polizeipräfekt sich ziemlich ungehalten über die Erfolglosigkeit der Sûreté in dieser Angelegenheit geäußert. Die Zeitungen sind voll von versteckten Spitzen gegen die Behörden. Alles was recht ist, die Sache ist auch nachgerade toll geworden. Seit einem halben Jahr hält die Unbekannte die Pariser Polizei zum Narren. Sie arbeitet selten und vorsichtig. Nur etwa jeden Monat einen Coup, aber dann auch so, daß niemand eine Spur von ihr erwischen kann. Natürlich arbeitet sie nicht allein, sondern hat mehrere Helfershelfer, die ihre Opfer vorher sorgsam beobachten. Möglicherweise handelt es sich sogar um eine wohlorganisierte Bande. Aber bis jetzt weiß man nichts, gar nichts über Madame, außer daß sie jung, schön und von bezaubernder Unnahbarkeit ist. Herr Lecour aus der Auvergne ist nicht der erste, der trotz seines üblen Erlebnisses darauf schwört, daß die schöne Unbekannte völlig unschuldig sei. Und niemand hat eine Ahnung, wer sie eigentlich ist! Die Verbrecheralben geben keinen Anhaltspunkt. Die ausländischen Erkennungsdienste vermögen keinen stichhaltigen Hinweis zu geben. Es liegen keine Fingerabdrücke vor. Jede elegante Dame, die in ihrem Kabriolett über die Boulevards rollt, könnte die Gesuchte sein. Aber um Himmels willen keinen Fehlgriff begehen! Der Präfekt hat nachdrücklichst davor gewarnt. Ein Fehlgriff, die Festnahme einer Dame, die sich womöglich nachher als wirkliche Dame der Gesellschaft entpuppt, würde ein Wutgeheul in der Presse auslösen, vielleicht sogar den Präfekten höchstselbst zum Rücktritt zwingen. Und doch muß diesem Treiben ein Ende gesetzt werden. Wer ist diese Gaunerin? Vielleicht wohnt sie im ersten Luxushotel oder gar in einer eigenen, vornehmen Villa. Vielleicht auch haust sie in irgendeinem Kämmerlein auf dem Montparnasse oder in St.-Antoine.

      „Schlank, groß, blondes Haar, braune oder dunkelgraue Augen“, wiederholt sich Valvert gedankenvoll die Beschreibung, grübelt noch einige Minuten und reckt den Kopf zu seinem Assistenten hinüber.

      „Hören Sie, lieber Morlain, die Sache will mir nicht aus dem Kopf. Ich meine den Diebstahl bei der Firma Pollin. Es sind da gewisse Anhaltspunkte, die auf einen äußerst geschickten Dieb hindeuten. Man könnte fast von einer Meisterleistung sprechen. Ich habe zuerst nur die Sache in die Hand genommen, um meinem alten Freunde, Herrn Pollin, gefällig zu sein, aber jetzt möchte ich sie auch weiter in der Hand behalten. Also alle Eingänge in der Sache sofort an mich! Veranlassen Sie vor allen Dingen möglichst umfangreiche und eingehende Ermittlungen über diese Herta Friebel.“

      „Sehr wohl, mein Kommissar.“

      Valvert sieht das Erstaunen in den Zügen seines Untergebenen und lächelt leise. „Sie wundern sich, lieber Morlain, daß ich von der kleinen Sache spreche statt von unserer großen Unbekannten? Eh bien, wer weiß, ob uns nicht gerade das auf die so lang ersehnte Spur bringen kann.“

      „Ah! Sie haben einen Verdacht, Herr Kommissar!?“

      „Wäre zuviel gesagt. Immerhin, mein Lieber, ich lege Wert darauf, möglichst bald Genaueres über die genannte Herta Friebel zu erfahren. Unter anderem auch, wo sie den gestrigen Abend und die Nacht verbracht hat. Veranlassen Sie das sofort!“

      *

      Noch am gleichen Abend ist Kommissar Valvert im Besitz ausführlicher Berichte über Frau Grimmaud, Herta Friebel und Henry Heitinger. Die leise Andeutung, daß eine der Personen womöglich in Verbindung mit der schönen Unbekannten stehen könne, hat den Leuten von der Sûreté Beine gemacht. Selten ist in Kommissar Valverts Abteilung so schnell gearbeitet worden. Sogar telegrafische Auskünfte der Internationalen Fahndungszentrale Berlin liegen bereits vor.

      Kommissar Valvert vertieft sich sofort eifrig in die Berichte.

      Über Frau Josefine Grimmaud ist, wie zu erwarten stand, nichts Interessantes zu melden. Ihre Verhältnisse sind klar und einfach. Wesentlich ist höchstens, daß Frau Grimmaud außerhalb ihrer geschäftlichen Arbeit keinerlei Beziehungen weder zu Herta Friebel noch zu dem jungen Heitinger unterhält. Sie wohnt bei ihrer Tante, der Witwe eines mittleren Postbeamten, hat keine Liebschaften, keine kostpieligen Gewohnheiten und noch weniger Schulden.

      Valvert legt diesen Bericht bald


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