Das Geheimnis des Brunnens. Paul Keller

Das Geheimnis des Brunnens - Paul  Keller


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      Paul Keller

      Das Geheimnis des Brunnens

      Saga

      Das Geheimnis des BrunnensCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1930, 2019 Paul Keller und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711517499

      1. Ebook-Auflage, 2019

      Format: EPUB 2.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

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      Tanz

      Rie ist in Deutschland soviel getanzt worden wie unmittelbar nach dem verlorenen Kriege. Abend um Abend, Nacht um Nacht gefüllte Tanzsäle, Flöten und Fiedeln, heulende Saxophone, klirrende Becken und dröhnende Pauken. Zu wüstem Radau, der mit Musik nichts zu tun hatte, wirbelnde Paare in bacchantischer Lust, in fiebernder Lebensgier. — An der einsamen Landstrasse, die von dem Städtchen Mosheim nach dem eine deutsche Meile entfernten Dorfe Brosau führte, lag in einem schönen Waldtale weltabgeschieden Vater Seligers „Gasthof zur alten Linde“. Wochentags kamen wenig Gäste, eben nur ein paar Fuhrleute, einige Holzfäller, der Förster und alle drei Tage einmal der Briefträger. Vater Seliger war ein Menschenfreund, er verlangte nur zweimal in der Woche Briefbestellung und bei schlechter Witterung überhaupt nicht.

      Heute war Trubel und Jubel in der „Linde“. Seliger hatte im Kreisblatt grosses Schweineschlachten mit nachfolgendem „vornehmem Tanz“ angezeigt. Da strömte bei dem schönen Wetter das Volk zusammen in Omnibussen, auf Leiterwagen und zu Rade; einige kamen auch zu Fuss.

      An einem Tischchen sassen zusammen der alte Hauptlehrer Jüttner, der Bauerngutsbesitzer Hönig und ein hübscher Bursche, namens Berthold Reich.

      „Warum tanzest du nicht, Berthold?“ fragte der alte Lehrer.

      Finster antwortete der Bursche:

      „Ich komme von einem Tanzplatz, da sass der Tod an der Kasse und verteilte die Tanzschleifen. Da brummten ganz andere Bässe, da schrillten ganz andere Schreie, da tanzten und wirbelten die Leichen. Diese wilde Tanzerei gleich nach dem Kriege ist abscheulich; mir ist’s, als trampelten sie auf den Gräbern herum. Einer hat ausgerechnet, wie lang eine Doppelreihe wäre, die aus Gräbern gefallener Deutscher bestünde, das Grab nur zu ein Meter Stirnseite berechnet. Fünfzehn Stunden würde ein D-Zug brauchen, ehe er durch diese schaurige Doppelreihe hindurch wäre, eine Strecke von Berlin bis München, Meter für Meter je ein Grab hüben und drüben. Und da tanzen diese Leute!“

      Der alte Lehrer sagte milde:

      „Berthold, urteile nicht zu streng. Die Leute sind ausgehungert an Freude, sie schmachten nach Leben, nach Bewegung, nach Tanz und Lust nach all dem Grausigen, Gequälten, das sie haben erleben müssen. Bedenke doch, dass alle diese jungen Leute um fast fünf Jahre ihres Lebens betrogen wurden, um die besten Jahre, um Jugendzeit, die nie wiederkehrt! Von denen, die draussen im Felde waren, will ich nicht reden, deren Schicksal kennst du besser als ich; aber auch hier in der Heimat war es doch schrecklich, das Darben, das Bangesein, das Hungern, die doppelte und dreifache Arbeitslast, die auf den Schultern der Frauen lag — die ganze angsterfüllte Öde des Lebens. Es ist kein Wunder, wenn jetzt das junge Blut sein Recht verlangt, wenn die Jugend lachen, tanzen, toben will. Sperre junge Rosse wochenlang in einen finsteren Stall und dann lasse sie los — wirst sehen, wie sie durchgehen, wie sie das Geschirr zerreissen, die Deichsel zerbrechen, den Wagen umkippen. Das ist ja alles so natürlich!“ Der Bursche antwortete nicht. Mit finsterem Gesicht sah er auf die Tanzenden, starrte er besonders auf seine schöne Schwester Lore. Nun sprach der Bauer Hönig. Er war ein grobknochiger Mann mit robustem Gesicht. Borstig stand ihm das Haupthaar über niederer Stirn; hart stiess das Kinn hervor, roh die Backenknochen; die Augen hatten jenes tückische Lauern, das allen groben Egoisten eigen ist und das sie nicht einmal verstecken oder auch nur wesentlich mildern können, wenn sie versuchen, zu lachen.

      „Am besten amüsiert sich wieder der Zöllnerbauer“, sagte Hönig. „Nun, er war immer ein toller Hahn, immer eine Zuckerlecke für die Weiber!“

      „Er hat es schwer gehabt im Kriege; zweimal war er verwundet, wie unser braver Freund Berthold hier zweimal verwundet und einmal verschüttet war. Beide tragen mit Ehren das Eiserne Kreuz erster Klasse.“ So sagte der Lehrer.

      Hönig liess ein kurzes, meckriges Lachen hören.

      „Das Eiserne Erster! Das ist schon was! Zuletzt sollen sie darum geknobelt haben; wer über 15 warf, kriegte eins.“

      Berthold sass erst ganz still, dann sprang er auf. Kreideweiss war er und seine Stimme keuchte.

      „Hönig, kommen Sie mal mit mir hinaus auf die Strasse!“

      „Was soll ich da?“

      „Rechenschaft sollen Sie mir geben! Sie wissen, ich bin Offizier!“

      „Schulmeister sind Sie!“

      „Ich bin Offizier! Sie elender Drückeberger haben eine infame Bemerkung über das Eiserne Kreuz gemacht. Kommen Sie mit mir hinaus auf die Strasse!“

      Der alte Lehrer suchte ängstlich zu beschwichtigen. Hönig lachte.

      „Mir gefällt’s hier sehr gut. Wenn Sie frische Luft brauchen, gehn Sie doch allein hinaus.“

      „Wenn Sie, bis ich auf drei zähle, nicht draussen sind — dann —“

      „Dann werde ich eben auch bis fünfzehn oder sechzehn noch hier sein — zählen Sie, soweit Sie wollen!“

      „Sie kommen mit hinaus!“

      „Nein! Ich will lieber weiter zusehen, wie Ihre Schwester Lore mit dem Zöllnerbauer schmust.“

      „Hund! Das wagen Sie zu sagen —?“

      „Ja, das sage ich! Das ganze Dorf sagt es. Seht doch nur, wie sie sich an ihn anschmiegt, wie er sie drückt! Der Zöllner ist verheiratet, hat einen siebzehnjährigen Jungen. — Eine Schande ist das.“

      Auf einmal schöpfte der junge Offizier schwer Atem; seine Augen verdrehten sich, er griff sich nach dem Herzen. Noch einmal stierte er auf seine Schwester und den Zöllnerbauer, dann fiel er mit dem Kopfe schwer auf die Tischplatte.

      „Schande! — Verachtung! — Ist das — ist das berechtigt?“

      Es klirrte etwas auf den Fussboden.

      Der alte Lehrer bückte sich rasch.

      Es war eine Armeepistole. Der Alte steckte sie in die Tasche.

      Im Tanzsaale entstand eine kurze Pause. Dem Berthold Reich ist übel geworden. Nun ja, so etwas passierte jetzt häufig. Das waren Nachwirkungen des Krieges. Lore Reich tat ein paar Schritte auf den Bruder zu. Dann blieb sie stehen. „Nein, er gönnt mir kein Vergnügen! Ich lasse es mir nicht gefallen!“

      Zwei Minuten später ging der Tanz zu der Radaumusik weiter. Am wildesten tanzte der Zöllnerbauer mit der blonden Lore Reich. —

      Der alte Lehrer führte den jungen Mann hinaus. Hönig lachte hinterher:

      „Jetzt geht er auf die Strasse, aber ohne mich!“

      Am nächsten Tage war Berthold Reich aus der Gegend verschwunden.

      Seine Mutter jammerte, dass sie den Sohn, um den sie so bitter und lange im Weltkriege gebangt, nun wieder verloren habe. Gott weiss, wohin er war! Einen Brief hatte Berthold hinterlassen.

      „Liebe Mutter, ich gehe weit fort und komme nie wieder. Ich kann die Schande, die Lore mit dem gewissenlosen Zöllnerbauern über uns bringt, nicht ertragen. Selbst solch ein Scheusal wie der Bauer Hönig wagt es, mich zu beschimpfen. Einen solchen Strohkranz vertrage ich nach dem schweren Kriege nicht. Lieber umkommen in der Fremde, wo mich niemand kennt. Meine Braut hat mich aufgegeben; sie schämt sich, eine solche Schwägerin zu bekommen. So bringt mich die Lore um Glück


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