Skotom. Moira Dawkins

Skotom - Moira Dawkins


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ehrlich zu sein, kehrte in diesem Moment der Gedanke zurück, dass ich vielleicht doch verrückt würde. Doch das behielt ich für mich. Nichtsdestotrotz fand sie es spannend und fügte ihren Unterlagen eine Kopie meiner Skizze hinzu.

      Nach einem langen Gespräch über meine Gesundheit konnte ich meine Ungeduld nicht mehr verbergen und erkundigte mich vorsichtig nach dem weiteren Vorgehen in Sachen EMDR. Inzwischen hatten sich sogar meine Pflegeeltern nach dem Fortschritt erkundigt, was relativ selten vorkam. Das war für mich der ausschlaggebende Moment selbst einmal nachzuhaken.

      Um mich nicht weiter auf die Folter spannen zu müssen, begann meine Therapeutin mit einer Übung. Hierbei sollte sich zeigen, ob ich meinen Wohlfühl-Ort auch oft genug trainiert hatte. Gleichzeitig konnte ich so den Ablauf der EMDR-Sitzungen kennenlernen. Sie erklärte mir, dass ich mir eine Situation denken sollte, die kaum traumatisierend war. Wohl eher einen Moment, in dem ich mich über etwas oder jemanden geärgert hatte. Dabei würde sie langsam ihre Finger vor meinen Augen hin und her bewegen. Dann sollte ich zwischen dieser unangenehmen Situation und meinem Wohlfühl-Ort wechseln, und das mehrere Male. Sozusagen ein Nippen an der negativen Erfahrung und sofort danach das Eintauchen in den Wohlfühl-Ort. Dies war allerdings noch nicht Teil der ersten Übung. Zuvor fingen wir ganz klein an. Dazu positionierte sich meine Therapeutin schräg vor mir, um so bequem mit ihren aneinandergelegtem Zeige- und Mittelfinger vor meinen Augen hin und her pendeln zu können. Nachdem wir beide also eine gute Position gefunden hatten, erklärte sie mir, dass sie sich exakt an ein vorgegebenes Protokoll halten würde. Ich solle mich daher nicht wundern, wenn es zu Pausen oder Wiederholungen ihrerseits kommen würde. Und dann ging es los:

      Meine Therapeutin trug mir mit ruhiger Stimme auf, an meinen Wohlfühl-Ort zu denken, während sie langsam ihre Finger vor meinem Kopf hin und her bewegte. Wichtig war hierbei, dass ich ihnen lediglich mit den Augen und nicht mit dem ganzen Kopf folgen durfte. Nach wenigen Sekunden stoppte sie die Bewegung und erkundigte sich nach meinem Befinden. Zu meinem Erstaunen war da tatsächlich etwas. Während ich den Fingern gefolgt war und an mein Zimmer dachte, konnte ich spüren, wie sich langsam eine warme Schicht über meinen ganzen Körper zog. Nach ein paar weiteren Runden, die jedes Mal ein paar Sekunden andauerten, hatte sich diese „Schicht“ auf meinen Kopf konzentriert. Diese Veränderung teilte ich natürlich meiner Therapeutin mit, die sehr zufrieden mit diesem Phänomen war. Offensichtlich sprach dies dafür, dass ich auf EMDR ansprach. Nach weiteren Runden hatte die Schutzhülle, wie ich sie nannte, eine entsprechende Dicke und Wärme erreicht, von der sie dann auch nicht mehr abwich. Erst an diesem entscheidenden Punkt hörten wir auf. Zufrieden konnten wir beide feststellen, dass wir das soeben Erlebte als Erfolg verbuchen konnten, auf dem es sich wunderbar aufbauen ließ.

      Und genau das taten wir dann auch in der nächsten Sitzung. Zuvor hatte ich die Hausaufgabe erhalten, mir eine Erinnerung oder ein Erlebnis ins Gedächtnis zu rufen, das mich etwas belastet hatte. Sollte ich keinerlei Belastung ausmachen können, würde auch ein anderes Gefühl ausreichen, wie z. B. Ärger.

      Wieder fiel mir anfangs absolut nichts ein. Da ich mir schon als Kind angewöhnt hatte, alles zu verdrängen, was mich belastete, und so jegliche Gefühlsbindung abzuwehren, war es entsprechend schwer, der Liste auch nur einen Punkt hinzuzufügen. Nur wenige Tage vor der Sitzung war ich endlich auf eine Erinnerung gestoßen, die ich wohl niemals vergessen werde: der Tag, an dem ich meine Pflegeeltern enttäuscht hatte. Tatsächlich denke ich an diese Szene nur sehr ungern, da ich dadurch sehr wütend werde – und zwar auf mich selbst.

      Folgendes hat sich damals zugetragen:

      Ich war ca. elf Jahre alt. Wir waren noch nicht sehr lange bei unseren Pflegeeltern und waren daher immer noch irgendwie in der Kennenlernphase. Besonders meinen Pflegevater konnte ich damals noch nicht so richtig einschätzen. Ich war zu der Zeit noch immer ein ordentliches Weichei und brach regelmäßig in Tränen aus. Zwar war es nicht mehr so schlimm wie vor dem Heimaufenthalt, aber so ganz kam ich nicht aus meiner Haut. Und auch hier sollte es nicht anders verlaufen. Wie jeden Abend brachten uns unsere Pflegeeltern ins Bett. Mein Bruder und ich teilten uns ein Zimmer mit Stockbett und durften abends noch eine Kassette hören. Diese lief bereits und mein Pflegevater beugte sich zu mir herunter, um mir eine gute Nacht zu wünschen. Dabei kratzte er mich aus Versehen am Arm. Ganz meiner damaligen Natur entsprechend, fing ich sofort an zu weinen, ohne auf seine Nachfrage nach dem Grund für mein Weinen zu reagieren. Also ging er schweigend aus dem Zimmer und mein Bruder erkundigte sich neugierig nach der Ursache meiner Tränen. Aufgelöst und ohne nachzudenken, brachte ich schluchzend hervor: „Das Arschloch hat mich gekratzt!“ Kaum hatte ich diesen verhängnisvollen Satz ausgesprochen, wurde die Tür mit einem lauten Knall aufgerissen und mein Pflegevater stand mit wutverzerrtem Gesicht in der Tür. Zu Recht stinksauer, erkundigte er sich, ob er soeben richtig gehört habe. Der Verzweiflung nahe, schob ich der Kassette das soeben Gehörte zu, wobei jedem im Raum klar war, dass das eine glatte Lüge war. Dann beugte sich mein Pflegevater erneut zu mir herunter und erteilte mir eine Standpauke, die sich gewaschen hat. Allerdings habe ich nicht ein Wort von dem wahrgenommen, was er damals zu mir gesagt hat. Der Grund dafür waren meine eigenen Gedanken. Als ich nämlich das zornige Gesicht über mir sah, erwartete ich regelrecht eine Tracht Prügel, die er mir bestimmt gleich verpassen würde. Vor meinem inneren Auge schlug er mich grün und blau. Dass er niemals einer Fliege etwas zuleide tun würde, war mir damals noch nicht klar. Doch mir muss die nackte Panik im Gesicht gestanden haben, denn ich war absolut sicher, dass er mich für meine Worte bestrafen würde. Also sah ich mir die schreckliche Szene in meinem Kopf an, zitterte vor Angst und konnte so seinen Worten keine Beachtung schenken.

      25 Wobei ich zugeben muss, dass ich danach nie wieder solch eine große Angst hatte wie damals.

      Da saß ich nun, hörte den soeben vernommenen Satz in meinem Kopf nachhallen, sah in die enttäuschten Gesichter der beiden und vernahm das langsame Brechen meines Herzens. Nie wieder habe ich mich so sehr geschämt wie an diesem Tag. Mein Gewissen erinnerte mich noch viele Jahre mit einem hämischen Grinsen an diesen Tag und ließ mich die Reue von damals in gleicher Intensität spüren.

      Somit hatte ich also die perfekte Erinnerung für die EMDR-Sitzung gefunden. Meiner Therapeutin gefiel dieses Erlebnis sehr gut, sie notierte sich die Geschichte und dann konnte es auch schon losgehen. Wieder wurden unter den verwunderten Blicken ihrer Hunde die Möbel umgeräumt und schon bald saßen wir in bekannter Position nebeneinander. Bevor es losging, erklärte mir meine Therapeutin, dass wir festlegen mussten, wie lange ich jeweils in das Erlebnis eintauchen sollte. Dabei lag die Zeitspanne bei null bis zehn Sekunden. Ganz tapfer entschied ich mich sofort für die vollen zehn Sekunden. Sie bremste meine Euphorie jedoch ein wenig und beschloss, dass acht Sekunden wohl zunächst ausreichend seien. Erst als ich als Belastungsgrad eine Drei angab, stimmte sie meiner Entscheidung zu und es blieb doch bei den zehn Sekunden.

      Ihr Skript als Stütze auf den Knien liegend, bat mich meine Therapeutin mit ruhiger Stimme, in die soeben beschriebene Erinnerung einzutreten. Während sie also langsam ihre Finger vor meinen Augen hin und her bewegte, versetzte ich mich in die vergangene Situation, als ich reumütig vor meinen Pflegeeltern saß. Dabei hörte ich meiner Therapeutin zu, wie sie langsam von zehn rückwärts zählte. Als sie bei null angekommen war, holte sie mich in die Gegenwart zurück. Um sicherzugehen, dass ich auch wirklich mit all meinen Sinnen wieder im Hier und Jetzt war, prüfte sie mich mit der Frage, woher ich denn wisse, dass ich komplett zurück sei. Leicht verwundert


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