Weihnachtslinguistik. Группа авторов

Weihnachtslinguistik - Группа авторов


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klein wenig mittransportieren. Dafür, so ist bei Thomas Spranz-Fogasy zu lesen, wird durchaus einige Anstrengung in Kauf genommen (er dürfte genau jetzt, da das Editorial dieses Buches entsteht, bereits über den Weihnachtsbrief für dieses Jahr nachdenken). Die Möglichkeit theoretisch allen im Laufe eines Lebens liebgewonnenen Menschen technikunterstützt von Angesicht zu Angesicht ein frohes Fest zu wünschen, gibt es ja noch nicht allzu lang und sie konnte sich als Routine sicher auch aus ganz praktischen Gründen nicht in unserem vorweihnachtlichen Alltag etablieren. Weihnachtsbriefe hingegen haben den entscheidenden Vorteil, dass mit Zeit und Liebe zum Detail die persönlichen Höhepunkte des Jahres zusammengetragen und dem Gegenüber zum Lesen zu einem selbstgewählten Zeitpunkt angeboten werden können. Ganz im Gegensatz dazu widmet sich Simon Meier-Vieracker Texten, die zu einem festgelegten Zeitpunkt und damit in der Illusion der Gemeinschaftlichkeit gehört und gesehen werden sollen, den bundespräsidialen Weihnachtsansprachen. Seine Keywordanalysen legen offen, dass und wie sich das jeweilige gesellschaftlich-politische Klima in die Reden eingeschrieben hat, die dadurch zu einem mentalitätsgeschichtlichen Stimmungsbarometer taugen. Es ist die hier zum Einsatz kommende korpuslinguistische Methode und die Konzentration auf Schlüsselwörter, die eine Brücke zum nächsten Kapitel bildet, das mit sprichwörtlichen Wortgeschenken aufwartet.

      So gewährt Sascha Wolfer Einblick in weihnachtlich-überraschende lexikographische Entdeckungen. Zugriffsstatistiken von Onlinewörterbüchern enthüllen nämlich einen Effekt der sozialen Relevanz, der u.a. anhand der Begriffe Nikolaus und Weihnachten eindrucksvoll nachgewiesen werden kann. Weniger eindeutig, geradezu paradoxal ist die daran anschließende Kontemplation von Wolf-Andreas Liebert, in der er sich der Semantik von Weihnachten über semasiologische und onomasiologische Perspektiven hin zu einer Sphäre zwischen fiktional und faktual nähert, um die Verbindung zwischen gehasstem Leben und Erlösung durch den Hass in einem ewigen Kreislauf zu ergründen. Durch dieses partielle Priming gelingt hoffentlich eine einigermaßen behutsame Vorbereitung auf die Wucht, mit der die von Joachim Scharloth zusammengetragenen Beispiele aus dem rechten Schimpfwortrepertoire auf Sie wirken werden. Die weihnachtlichen Vokabeln in krudesten Wortkompositionen erhalten den Eindruck der Paradoxie noch eine Weile lebendig, die weihnachtliche Stimmung allerdings vergeht. Es handelt sich hier um einen schonungslosen Text, in dem – das wird sehr deutlich – menschenverachtende Gebrauchsweisen distanzierend zitiert werden, um das analysierte sprachliche Material und den damit drastisch zu Tage tretenden Rassismus seiner Benutzer*innen eineindeutig sichtbar zu machen. So wird auch das Dilemma der Invektivitätsforschung zwischen Entlarvung und Benennung rassistischer Stereotype einerseits und ihrer Reproduktion andererseits bei der Lektüre mitunter physisch spürbar. Diesem Text folgt eine gedankliche Reise nach Kanada. Grit Liebscher lädt zu einem virtuellen Besuch auf den Christkindl Market in Kitchener, Ontario – ein verbal schillerndes Ereignis und ein Ort, an dem Gemeinschaftssinn, Authentizitätsanspruch, tradierte Stereotype und lebendige Erinnerungskultur koexistieren und gleichsam die Entstehung von etwas Neuem dokumentieren, das die originären Spuren noch verrät. Vergleichbare Prozesse – nur auf lexikalischer Ebene – werden von Henrike Helmer und Silke Reineke beschrieben. Sie suchen in Aufnahmen gesprochener Alltagssprache nach Jesus! und finden Ergebnisse von Interjektionalisierungsprozessen in emotiv-expressiven, aber vor allem auch responsiv-empathischen Verwendungen; den Geist der Weihnacht quasi reduziert auf o(h)je. Der Herausforderung, den Geist der Weihnacht trotz kindlich-bohrenden Hinterfragens mühsam aufrecht erhaltener Weihnachtsmythen zu bewahren, versucht sich Gerd Antos unter Zuhilfenahme grundständiger linguistischer Zugänge zu stellen. Er hebt also ab auf metasprachliche Reflexionen über Namen, lässt den Weihnachtsmann (dis)kursieren und referenzsemantisch dekonstruieren und letztlich Relevanz- und Wahrheitsmaximen miteinander konkurrieren. Aber nicht nur die Existenz des Weihnachtsmannes, wie er auch immer heißen, wie man ihn auch immer nennen möge, zählt zu den großen Mysterien in der Weihnachtszeit, es ist auch der sprichwörtlich merk-würdige Wortschatz, ein Erinnerungsschatz, an dem uns Gabriele Diewald teilhaben lässt. Es geht um Verhörer und dadurch ausgelöste logische Assoziationen, die die stufenweise sprichwörtliche Arbeit bei der Bedeutungserschließung in Spracherwerbsprozessen nachvollziehbar machen. Es handelt sich hierbei um ein so aktives Bewusstmachen, das es noch viele Jahre später erzählt werden kann und anknüpft an Erfahrungen, auf die vermutlich jede*r von uns zurückgreifen kann. (Ich beispielsweise habe als Kind Bienenstich aus offensichtlichen Gründen nicht angerührt, nicht einmal zu Weihnachten.) Am Ende langt der Text bei einem Ross an, das einer Wurzel ent- und direkt ins nächste Kapitel hineinspringt.

      Weihnachtslieder, so stellt Alexander Lasch fest, sind seltene linguistische Analyseobjekte, muss sich aber zumindest bei der Lektüre des vorliegenden Buches eines Besseren belehren lassen. Während er nachzeichnet, wie mit ostdeutschen Liedern das gemeinsame Weihnachts-Fühlen und Wollen einer Gemeinschaft auf der Basis sorgfältigst ausgewählter, mit der Ideenlehre konformer Motive gesteuert werden sollte, seziert Wolfgang Imo die eigentümliche Syntax von bekannten Liedversen. Im Feldermodell schiebt er versuchsweise Phrasen hin und her, wobei es beim stark ausgelasteten Vorfeld ordentlich hakt. Nun wird abgewogen: Sollte eine Ausnahme in den derlei ohnehin schon reichen Regelkatalog aufgenommen werden oder zu Gunsten dichterischer Freiheit entschieden? Gerade der letztgenannte Aspekt wird bei Übersetzungen relevant, wie Birte Arendt und Ulrike Stern an zwei niederdeutschen Versionen eines bekannten Weihnachtsliedes verdeutlichen. Sie fragen nach der gelungeren Übertragung und ziehen hierbei die Messung des Dialektalitätsgrads anhand phonetischer, morphologischer, lexikalischer und syntaktisch/phraseologischer Parameter zurate. Ruth M. Mell setzt mit ihrem Beitrag noch einmal an der lexikalischen Ebene an und nimmt Zeitbezeichnungen und Deiktika in Weihnachtsliedern unter die linguistische Lupe und findet Licht, das auf den Tag in Abgrenzung der dunklen Nacht verweist, die wiederum attributiv als besonders hervorgehoben wird, als Szenerie, die das Hellwerden und damit das Angst-Nehmende schon mitträgt. So kann der Heilige Abend, so kann die Heilige Nacht umgedeutet werden, sie beherbergt nicht Angst, sondern das Warten auf etwas Schönes.

      Dieses Warten, das sich auf den gesamten Advent erstreckt, wird – und damit beginnt das nächste Kapitel – aktiv gestaltet. Susanne Tienken vergleicht diese Zeit mit einer Bühne, die gemeinschaftlich bespielt werden will, nach individuellen Regeln, die selbst Traditionen werden können, durchaus, aber bespielt muss sie werden. Ein wichtiges Ritual in diesem Schauspiel ist das gemeinsame Lesen von Weihnachtsgeschichten, in denen sich nicht nur das aktuelle Setting des eigenen gemütlichen Vorlesens repliziert, sondern auch weitere wichtige Versatzstücke für die Kreation eines perfekten Weihnachtsskripts zur Verfügung gestellt werden. Dass Kinder diese Bausteine internalisiert haben, wird im Beitrag von Juliane Stude deutlich. Literarische und filmische Darstellungsweisen finden ebenso Eingang in kindliche Weihnachtserzählungen wie Alltagserfahrungen, etwa die musterhafte Chronologie des Festtages, die Vorfreude und das Warten auf Weihnachten sowie das Überbringen der Geschenke. Der Spielraum, der weihnachtlich spezifisch zwischen Realität und Fiktionalität entsteht, wird dabei kreativ für Überraschendes genutzt. Es handelt sich hierbei um eine Komponente, die Stefan Hauser zufolge konstitutiv für Humor, aber eben auch für Weihnachten ist: Die Spannung kann nur gehalten werden, wenn in ihr die Sicherheit, dass etwas Unerwartetes eintritt, schon angelegt ist. Sein Beitrag hält folglich eine Reihe von Weihnachtswitzen bereit, deren komisches Potenzial sachlich sprachwissenschaftlich analysiert wird und dabei dennoch nicht verlorengeht.

      Ebensowenig wie im Beitrag von Axel Schmidt, der das nächste Kapitel einleitend unterschiedliche Fernsehformate auf ihre weihnachtliche Passfähigkeit untersucht, dabei natürlich Loriots Hoppenstedts nicht unerwähnt lässt, aber insbesondere im Reality-TV ein mediales Perpetuum mobile entdeckt, das sich Ereignisse, über die es dann berichtet, selbst erschafft und gleichzeitig Identifikations- (Ja, so feiern wir auch Weihnachten) und Abgrenzungsangebote (Hilfe, was hängt denn bei denen am Baum?) für das Publikum macht. Mit Eva Wyss kehren wir gedanklich noch einmal zurück zum Weihnachtswunschkapitel. Sie hebt in ihrem Text den Medienwechsel als besonders relevant hervor und vermutet im Versenden multimodaler Adventsbotschaften eine Adjustierung bisheriger Grußrituale. Einen geradezu strategischen Einsatz von


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