Der Hund, der die Welt rettet. Ross Welford

Der Hund, der die Welt rettet - Ross Welford


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Maurice? Außer meinem Vater, der den Pfarrer seit Ewigkeiten kennt, nennt ihn keiner so. Alle sprechen ihn mit Reverend Cleghorn an. Mal wieder typisch, dass Sass ihn beim Vornamen nennen muss. Ich war jetzt schon genervt, doch es sollte noch schlimmer kommen.

      »Der hässliche alte Köter da«, sagte sie und legte den Kopf mit gespieltem Mitgefühl zur Seite. »Wäre besser, wenn man ihn einschläfert, was meinst du?«

      Das war es: die fiese Bemerkung, von der ich gesprochen hatte. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie Dudley meinte. Dudley, meinen zweitliebsten Hund im ganzen Hundeheim! Ich klappte den Mund auf und zu, ohne dass ein Ton rauskam.

      »Ist was, Georgie?«

      »Nein, nichts.« Das stimmte natürlich nicht. Ich kochte vor Wut. Schweigend füllte ich das Desinfektionsmittel in den Spendern nach, streifte die Handschuhe ab, nahm etwas von dem Gel und verrieb es wütend in den Händen. Dann zog ich die Gummistiefel aus.

      »Hey, so war’s doch nicht …«

      »Warum sagst du’s dann erst? Du weißt doch genau, dass wir so was hier nicht machen.« Ich war kurz vorm Explodieren.

      »Aber er ist doch so alt und krank …«

      Nun platzte mir wirklich der Kragen. »So alt und so krank ist er nun auch wieder nicht. Kapiert?«, schrie ich.

      Damit hatte Sass wohl nicht gerechnet. Leise sagte sie: »Oookaaay.« Dieses eine Mal hatte ich es ihr wirklich gezeigt.

      Mit spitzen Fingern hob sie Dudleys vollgesabberten Tennisball auf, der zur Tür gerollt war. Sie gab ihn mir, und ich war gezwungen, mich zu bedanken. Es war ein seltsames Versöhnungsangebot.

      Ich drehte den Ball in den Händen, während ich sie davongehen sah, dann warf ich ihn Dudley zu und schloss die Quarantänestation hinter mir.

      Als ich zurück auf meine Station kam, war ich immer noch total sauer. Ramzy wartete auf mich mit Ben im Arm, dem knurrigen Jack Russell, der ihm unbedingt das Gesicht ablecken wollte.

      »Guck mal!«, rief Ramzy ganz stolz. »Ich habe einen neuen Freund!«

      »Hast du wirklich«, sagte ich. »Guter Junge, Ben«, und hielt ihm meine Hand hin, damit er sie lecken konnte. Dann streichelte ich zum Abschied noch mal jeden einzelnen Hund auf meiner Station.

      »Tschüss, Herr Pfarrer«, rief ich und zog an der schweren Eichentür.

      »Auf Wiedersehen, Sergeant Santos und Gefreiter Rahman!«, rief der Pfarrer und salutierte. »Ausgezeichnete Arbeit!«

      Das war’s also. Der Schaden war angerichtet. Ich hatte das Ende der Welt angezettelt.

      Selbstverständlich wusste ich das in dem Moment noch nicht. Und bis jetzt habe ich es auch für mich behalten: Ich habe den Tennisball angefasst, der mit Dudleys Keimen verseucht war, Keime, die er sich von dem kleinen Mädchen geholt hatte, das ihn aufnehmen wollte. Dann hatte ich den armen Ben an meiner verkeimten Hand lecken lassen und dann auch noch die anderen Hunde …

      Offenbar nützt alle Aufklärung über Ansteckungsgefahren nichts gegen Dummheit.

      Oder ich war einfach so sauer über Sass’ gemeine Bemerkung, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Was letztendlich aber auch auf Dummheit hinausläuft.

      12. Kapitel

      Gebt mir noch ’ne Woche«, hatte Dr. Pretorius gesagt. Immerzu musste ich daran denken. Noch eine Woche Geheimniskrämerei.

      Ein Geheimnis für sich zu behalten, ist nicht weiter schwer, solange niemand Verdacht schöpft. Solange dich niemand sieht. Jemand, der, sagen wir, deinen Bruder kennt. Jemand, der gerade angefangen hat, in Spanish City zu arbeiten, und bemerkt, wie du durch eine private Hintertür in die Arkaden gelangst.

      So jemand wie Sass Hennesseys Schwester Ann zum Beispiel, die bei meinem Bruder im Jahrgang ist und deren Mutter ihr gerade einen Job samstags bei Polly Donkin Tea Rooms verschafft hat.

      Gebt mir noch ’ne Woche, gebt mir noch ’ne Woche. Wie ein nerviger Ohrwurm ging es mir durch den Kopf, als ich mit schlenkernder Schultasche von Spanish City nach Hause trabte. Zu meiner Überraschung kam Clem aus Dads Werkstatt und wischte sich die öligen Hände an einem Handtuch ab.

      Wir leben auf einem Bauernhof, der aber nicht mehr richtig beackert wird. Fast alle umliegenden Höfe wurden als Bauland verkauft. Von der oberen Weide, auf der Mums Baum steht und die Kühe grasen, sieht man in jeder Himmelsrichtung Häuser, Kräne und halb fertige Wohnblocks und im Osten ein Fitzelchen Meer. (Leider sind es nicht mal unsere Kühe.)

      Ein Stück weiter liegt Dads Werkstatt, in der er alte Autos restauriert, und eine Scheune, in der Motoren, Auspuffe, Autotüren und so ein Kram lagern.

      Clem schien auf mich gewartet zu haben.

      »Hi, Pupsi«, sagte er gut gelaunt. So hatte er mich schon lange nicht mehr genannt. Ich wurde hellhörig, grinste aber.

      »Bist du irgendwo Aufregendes gewesen?«, fragte er.

      Die Wahrheit? Gerade hatte ich auf einem Ritterturnier gegen Ramzy gekämpft, und zwar auf einem virtuellen Pferd (bestehend aus einem Klavierstuhl und dem Sattel, den ich bei meinem ersten Besuch im Lager gesehen hatte).

      »Sankt Bello.« Ich log wirklich niemanden gern an, nicht mal Clem. Mir stieg die Röte in die Wangen.

      »Und wie geht’s ihm?«

      »Wem?«

      »Dem Hund. Ben?«

      »Gut! Wir waren gerade am Strand spazieren. Wie immer. Dem geht’s super.« Unter Clems prüfenden Blick fühlte ich mich zunehmend unwohl.

      Es dauerte eine Ewigkeit, bis er endlich sagte: »Spontanheilung also?«

      Mit Unschuldsmiene lächelte ich Clem an. Blinzelte ein paarmal überrascht.

      Clem sagte: »Der Pfarrer hat angerufen. Er konnte dich nicht erreichen, weil dein Handy abgestellt war.«

      Das stimmte, denn bei Dr. Pretorius mussten wir immer unsere Handys ausstellen (irgendwas mit Elektromagnetismus oder so). Ich hatte vergessen, meines wieder einzuschalten.

      »Lass uns mal Klartext reden.« Clem zählte es an seinen ölverschmierten Fingern ab: »Erstens: Ein Hund namens Ben ist krank. Er ist in Quarantäne. Das soll ich dir vom Pfarrer ausrichten. Zweitens: Anna Hennessey hat dich mit deinem Kumpel Ramzy Schlagmichtot und einer alten Schreckschraube in Spanish City gesehen. Drittens: Du lügst mich an, sonst würdest du nicht rot werden. Viertens: Ich will wissen, warum.«

      »Sonst was?« Immerhin ist Clem mein Bruder. Und der sollte ja wohl auf meiner Seite sein.

      »Sonst sag ich’s Dad.«

      Okay, vielleicht ist er nicht mehr auf meiner Seite. Clem nickte entschlossen, schob sich die Brille mit öligen Fingern hoch und verschwand wieder in der Werkstatt. Offenbar sollte ich ihm folgen.

      Was blieb mir anderes übrig?

      13. Kapitel

      Wochenlang habe ich Clem kaum gesehen, kam mir zumindest so vor. Doch nun sind die Prüfungen geschafft und er muss erst im September wieder in die Schule. Eigentlich wollte er mit Freunden nach Schottland, aber alles wurde abgeblasen, weil einer von ihnen frisch verliebt war. So hat Clem kaum was zu tun, bis wir in den Sommerferien nach Spanien fahren.

      Er füllt die Zeit, indem er Nachrichten ins Handy tippt, Musik hört, Dad in der Werkstatt hilft und sich einen fusseligen Bart wachsen lässt. Mittlerweile sieht er aus wie zwanzig.

      Im Grunde vermisse ich meinen Bruder. Vor einem Jahr ist irgendwas mit ihm passiert. Der Bruder, mit dem ich aufgewachsen bin, der Junge, der mit mir gespielt hat, als ich klein war, der mich stundenlang auf seinem Rücken hat reiten lassen, der für mich gelogen hat, als ich die Badewanne habe überlaufen lassen, der


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