Sinfonie der Lust | Erotischer Roman. Ayana Hunter
erst einmal Fuß zu fassen. Und dann würde er seine Fühler nach diesem verhuschten Fräulein ausstrecken, von dem ihm Vanessa erzählt hatte. Vanessa, diese entzückende Bitch, die einzige Frau, von der er sich manchmal etwas sagen ließ. Genau genommen konnte er ihr keinen Wunsch abschlagen. Aber das sollte sie – um Gottes willen – besser nie erfahren.
Vanessa hatte es sich offenbar in den Kopf gesetzt, ihrer kleinen Freundin vögeltechnisch etwas auf die Sprünge zu helfen. Er hätte ja auch nichts dagegen gehabt, hier etwas Nachhilfe zu geben, aber er war selbstlos genug, um auch an seinen besten Kumpel zu denken. Im Grunde genommen sein einziger Freund und auch das war eher eine ziemlich schräge Verbindung. Er musste immer noch schmunzeln, wenn er daran zurückdachte, wie sie zustande gekommen war.
Ben war ein passionierter Bergsteiger. Seine Urlaube verbrachte er in der Regel damit, in den bekannten Kletterregionen Deutschlands kleinere und größere Gipfel zu erklimmen. Besonders beliebt war bei ihm das Elbsandsteingebirge. Nur zwei Autostunden von Berlin entfernt konnte er dort auch mal ganz spontan seiner Leidenschaft frönen. Ein wahres Paradies für Kletterer. Er hatte auch vor einigen Jahren eine Lizenz als Bergführer erworben und veranstaltete mit interessierten Anfängern oder Neulingen Erlebniswochenenden. Es war im Laufe der Jahre bereits ein kleiner Nebenerwerb geworden, bei dem er das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden konnte.
Um seine Touren bekannt zu machen, hatte er eine Webseite eingerichtet, auf der er seine Dienste als Bergführer anbot und entsprechende Pauschaltouren anpries. Immer mal wieder gab es über diesen Kanal Anfragen, und wenn er es einrichten konnte, organisierte er diese Wochenenden. Einmal hatte ein solcher Ausflug allerdings in einem Desaster geendet. Sein Kletterpartner hatte sich mit der teuren Ausrüstung und seiner Geldbörse aus dem Staub gemacht und Ben besaß keinerlei Informationen, die ihm dabei geholfen hätten, den Dieb aufzuspüren und zur Verantwortung zu ziehen. Deshalb begann er damals, sich seine Gäste vorher genauer anzuschauen. Erst wenn er genügend Daten über ihre Identität und ihre Vertrauenswürdigkeit eingeholt hatte, ließ er sich auf das Abenteuer ein. So vergewisserte er sich nach Möglichkeit, dass sein potenzieller Kletterpartner mit großer Wahrscheinlichkeit über ein geregeltes Einkommen verfügte und mit beiden Beinen fest im Leben stand. Wenn es ihm nicht gelang, an Informationen heranzukommen, die ihm dies glaubhaft machten, oder wenn er den Eindruck hatte, dass die Person einen unsteten Lebenswandel führte, sagte er die Anfrage ab. Schon bald hatte er ein zielsicheres detektivisches Gespür entwickelt, und was er anfangs zu seiner eigenen Absicherung betrieben hatte, wurde langsam aber sicher zu einer wahren Obsession.
Auch Marc hatte ihn im vergangenen Jahr über eine solche Anfrage angeschrieben. Mit ein paar rudimentären Vorkenntnissen vom Hallen-Bouldern ausgestattet, wollte er seine Fähigkeiten am blanken Felsen weiter vertiefen, dafür suchte er einen erfahrenen Führer. Das perfekte Arrangement für Ben. Obwohl er für Marc sofort einen Eintrag in seiner Datenbank anlegte und sich alle verfügbaren Informationen in Bezug auf seinen potenziellen Schützling beschaffte, hatte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen können, dass es für den neuen Kunden so eine Art Selbstfindungstrip werden sollte. Was er über Marc herausgefunden hatte, klang recht beeindruckend: erfolgreicher Leiter eines Architekturbüros, das für prestigeträchtige Objekte verantwortlich zeichnete, Gewinner mehrerer Architekturwettbewerbe. Musikalisches Talent, spielte ab und an zum eigenen Vergnügen als Barpianist in einem Berliner Nobelrestaurant. Er betrieb gelegentlich Trendsportarten wie Snowboarden und Kitesurfen. Überzeugter Single, jedenfalls hatte Ben zu diesem Zeitpunkt noch keine Verbindungen zum weiblichen Geschlecht ausmachen können. Das schien eine gemeinsame Basis zu sein, doch wenn er hier etwas genauer recherchiert hätte, dann hätte er sich womöglich die unangenehme Überraschung erspart, die ihn später ereilte.
Ein ergiebiges Wochenende stand an. Marc hatte das für Ben auch finanziell lohnende All-inclusive-Alleinunterhalter-Paket gebucht, was für ihn bedeutete, dass er selbst auch mehr Zeit haben würde, sein Hobby zu genießen, je nachdem wie geschickt sich sein Schüler anstellte. Da Marc die Grundfertigkeiten schon mitbrachte und auch sonst nicht gerade mit Ungeschicklichkeit geschlagen zu sein schien, war in dieser Hinsicht aber nichts zu befürchten. Außerdem verfügte er offenbar über Verbindungen zu bekannten Persönlichkeiten der Stadt. Da rechnete sich Ben für die Abende beim Bier so manch interessantes Gespräch aus. Kurzum, die Anfrage dieses Architekten-Tausendsassas war wie ein Goldnugget für ihn gewesen, in jeder Hinsicht. So schien es zumindest damals.
Als das Wochenende nahte, war zunächst auch noch alles im Lot gewesen, denn das Wetter spielte mit. Es sollte heiter bis wolkig sein bei angenehmen Temperaturen und auf jeden Fall trocken bleiben, was die wichtigste Voraussetzung war. Die verschlafene Pension am Hang des Elbtals in abgelegener Idylle nahe dem Kurort Dorf Wehlen, in der er sich mit seinen Gästen immer einquartierte, war auch noch frei. Für die ältere Dame, die sie betrieb, war Ben ohnehin schon seit längerer Zeit der Lieblingsstammkunde und sie hatte ihm versichert, dass sie an diesem Wochenende die einzigen Gäste sein würden.
Vor Ort stellte sich die Lage aber plötzlich ganz anders dar. Keine Spur von herzlicher, unausgesprochener Vertrautheit. Dieser Architekt war unerträglich eingebildet und hochnäsig. Er schien Ben nicht als Lehrer akzeptieren zu wollen, sondern sah ihn wohl mehr als unvermeidlichen Helfer an. Dazu kam, dass Marc sich sehr introvertiert zeigte, alle seine Versuche, ihn aus der Reserve zu locken, scheiterten kläglich. Eigentlich hätte er sich innerlich zurückziehen und das Klettern genießen können. Aber auch das wollte ihm nicht gelingen, denn dieser Typ hatte das Talent, ihn zur Weißglut zu treiben.
Als er ihn am Ende des ersten Tages darauf aufmerksam gemacht hatte, dass Marc elementare Regeln der Sicherheit nicht beachtet hatte, eskalierte der Streit und es wäre fast handgreiflich geworden. Marc hatte ihm deutlich gemacht, dass Ben sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern solle, er könne ganz gut selbst für sich sorgen. Allzu gern hätte er diesem großspurigen Kotzbrocken die Fresse poliert, aber so viel Professionalität bewahrte er sich dann doch, dass er dies unterließ, wenn auch mit geballten Fäusten in der Tasche. Aus dem gemütlichen Abend beim Bier wurde jedenfalls auch nichts mehr und für den geplanten zweiten Tag schwante ihm nichts Gutes.
Diese Befürchtung wurde bereits frühmorgens in der Pension zur Gewissheit, als Ben von dem Geräusch quietschender Reifen geweckt wurde, das vom Parkplatz vor dem verträumten Haus in sein Zimmer drang. Sollte Marc etwa grußlos abgereist sein? Nein, seine Ausrüstung hing noch an der Garderobe.
Ben hatte zu diesem Zeitpunkt ein verdammt mulmiges Gefühl und er ahnte, dass er schnell handeln musste. Er fühlte sich für seinen Schützling verantwortlich. Für eine Verfolgung war Marc schon zu weit voraus, aber er schnappte sich seinen besten Feldstecher und schwang sich in seinen Wagen. In halsbrecherischer Fahrt schleuderte er um die Serpentinen. Ben steuerte eine Stelle an, von der aus man einen überragenden Blick auf das gesamte Elbtal hatte. Sollte er nicht fündig werden, so musste er es an einer ähnlichen Stelle hinter der nächsten Windung des Flusses noch einmal versuchen. Er kannte die Gegend wie seine Westentasche und er würde diese Nadel im Heuhaufen, sprich den einsamen Kletterer, zwischen Hunderten Sandsteinfelsen schon aufspüren.
Und er hatte Glück. Bereits an seinem ersten Aussichtspunkt, nachdem er den Blick zweimal hatte streifen lassen, bemerkte er ihn. Wie ein Insekt klebte da ein Mensch an der Wand des »Wurmkopfes« in einer Entfernung von etwa 800 Metern Luftlinie. Eindeutig, ein Verrückter ohne Sicherheitsausrüstung. Aber klar, die war ja auch in der Pension geblieben. Wenigstens nur der »Wurmkopf«, ein relativ leichter Felsen, dachte Ben, ein Selbstmörder schien Marc zumindest nicht zu sein.
Wieder raste Ben durch die Serpentinen, ohne auf möglichen Gegenverkehr Rücksicht zu nehmen, der zu dieser Stunde am Sonntagmorgen allerdings auch eher unwahrscheinlich war. Aus den wenigen Metern Luftlinie wurden auf der Straße mehrere Kilometer. Er selbst hatte seine Ausrüstung wohlweislich mitgenommen und sie in Sekundenbruchteilen angelegt, als er, so weit es ging, an die Stelle herangefahren war und geparkt hatte. Er musste noch ein paar Hundert Meter sprinten, um bis zu dem Felsen zu gelangen, auf dessen Gipfel er Marc bereits stehen sehen konnte.
Genau in dem Moment, als er atemlos am Fuße des »Wurmkopfes« angelangt war, verlor Marc oben offenbar das Gleichgewicht. Jedenfalls hörte Ben über sich ein schabendes Geräusch und er machte sich schon auf das Schlimmste gefasst. Aber Marc hatte wohl noch mal einen