Run and Gun. Sasha Reed
Haare zu färben, doch bisher hatte ich mich immer geweigert. Das Ganze hatte schon an unserem ersten gemeinsamen Arbeitstag angefangen, als Damian fast in Ohnmacht gefallen wäre, als er meine Haare sah, die seit fast einem Jahr keinen Friseur mehr gesehen hatten. Was soll ich sagen, dieses Ereignis war für mich traumatisch genug gewesen, dass ich seitdem streng auf meine Friseurtermine achtete. Meine Haare waren üppig und glänzten, womit ich Damian immer wieder besänftigte, wenn er das leidige Thema aufbrachte.
Damian stupste mich mit dem Ellenbogen an und riss mich damit aus meinen Gedanken. „Sieh mal, wer uns da einen Besuch abstattet.“
Ich schaute zur Treppe und erkannte die Dritte im Bunde, meine beste Freundin Thea, die ich schon seit der siebten Klasse kannte. Sie hatte ihren Verlobten Jonah im Schlepptau. Er war der Sohn des Bürgermeisters und damit prominent genug, um an der Security vorbei auf die Galerie gelassen zu werden. Thea nutzte diese Tatsache aus, wann immer sie konnte. Für sie war es auch nicht einfach, dass ihre zwei besten Freunde so ungewöhnliche Arbeitszeiten hatten.
Damian griff nach dem Whisky, Jonahs Lieblingsdrink, während ich den Cocktailshaker mit Eiswürfeln befüllte und Thea erwartungsvoll ansah.
„Mach mir irgendwas mit Erdbeeren und Limetten“, sagte sie anstatt einer Begrüßung, während sie auf den Barhocker vor mir kletterte und sich eine blonde Locke aus der Stirn wischte. Auf den Barhocker klettern meine ich hier wortwörtlich. Thea hätte mühelos auf einer Deutschen Dogge reiten können. Wenn sie einen blauen Overall trug, sah sie aus wie ein Minion. Mit anderen Worten: Sie war winzig.
Ich griff nach den Limetten und machte mich ans Werk. Thea hatte einen seltsamen Geschmack, was Drinks anging. Die meisten bekannten Cocktails sagten ihr nicht zu und so hatte es sich irgendwann ergeben, dass sie mir sagte, worauf sie Lust hatte und ich mischte ihr dann ein Getränk ganz nach ihrem Gusto.
„Wie geht es euch? Planungsstress wegen der Hochzeit?“, fragte Damian, als er das Whiskyglas vor Jonah abstellte. Thea schüttelte den Kopf, Jonah nickte. Damian und ich lachten. Thea hatte schon immer von einer Märchenhochzeit geträumt und diese seit der achten Klasse geplant. Jonah hatte vergeblich versucht, sich gegen ein komplett pinkes Farbmotto zu wehren. Gegen Theas Dickschädel hatte er einfach keine Chance. Außerdem glaubte ich, dass ihm die Farben, die Blumen und der Kuchen komplett egal waren. Er wollte einfach, dass der Wahnsinn ein Ende nahm.
„Ärger im Paradies? Sind es etwa immer noch die Schriftarten für die Platzkärtchen?“, hakte ich nach und merkte zu spät, dass ich dadurch nur noch mehr Öl ins Feuer goss.
„Fang bitte nicht damit an. Für mich sehen sämtliche Schriftzüge gleich aus, aber Thea besteht darauf, dass ich mich entscheiden soll“, seufzte Jonah.
„Ich will, dass alles perfekt ist und du könntest dich auch mehr an der Planung beteiligen.“ Thea kramte in ihrer Handtasche und brachte ein völlig zerknittertes Blatt zum Vorschein, das sie mir in die Hand drückte. Ich faltete es auseinander und sah meinen Namen unzählige Male darauf gedruckt.
„Trägst du das die ganze Zeit mit dir herum?“, fragte ich.
Sie zucke mit den Schultern. „Vielleicht habe ich unterwegs irgendwo eine Eingebung. Welche Schriftart würdest du nehmen?“
Ich wechselte einen verstohlenen Blick mit Damian und sah in seinen Augen meine Gedanken widergespiegelt. Die sehen alle gleich aus. Zum Gemeinwohl starrte ich eine halbe Minute angestrengt auf das Blatt und tippte dann auf die Mitte.
„Die hier.“ Ich gab der verrückten, kleinen Person das verrückte Blatt zurück. Thea nickte begeistert und strahlte mich an.
„Arellion, die hätte ich auch genommen.“
Ich nickte gespielt überzeugt und lächelte Jonah an, der ein stummes Danke mit den Lippen formte. Aus Erfahrung wusste ich, wie detailverliebt Thea war. Schwächere Geister konnte das in den Wahnsinn treiben. Zufrieden verstaute sie das Blatt wieder in der Handtasche und das Thema Hochzeit war für heute erledigt. Zumindest dachten wir das, bis Thea unser Schweigen als Zeichen deutete, uns alles über ihre Konditorin Jolene zu erzählen. Ich hatte sie selbst schon getroffen. Sie war etwa in unserem Alter, wahnsinnig talentiert, was süßes Backwerk anging, und verdammt hübsch. Das Problem war nur, dass Thea diese Geschichte jedem von uns schon mindestens dreimal erzählt hatte. Damian rollte mit den Augen und ich schaltete geistig auf Durchzug.
Lasst uns jetzt das Bild kurz anhalten. Merkt ihr das auch? Dieses Knistern in der Luft, als würde gleich etwas Spannendes passieren? Und wie das Stimmengewirr im Club plötzlich viel intensiver zu werden scheint? Ihr wollt den Grund dafür erfahren? Werfen wir einen Blick auf die Männergruppe, die da gerade die Treppe zur VIP-Lounge heraufkommt.
Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich begriff, um wen es sich handelte. Um genau zu sein, bis Thea einen markerschütternden Schrei ausstieß und beinahe rückwärts vom Barhocker kippte. Da wurde mir klar, dass es sich nur um die Spieler der Boston Tigers handeln konnte. Seit ich Thea kannte, war sie der größte Fan dieser Basketballmannschaft, und solche Laute gab sie nur in höchster Euphorie von sich: wenn es um ihre Tigers ging oder wenn Jonah sie gerade zum Orgasmus brachte. Ich musste es ja wissen, schließlich hatten wir eine ganze Zeit lang eine Wohnung geteilt. Und da sowohl Thea als auch Jonah noch vollständig bekleidet waren und Jonahs Hände sich am Whiskyglas befanden, schlussfolgerte ich gekonnt, dass die großen Männer mit den großen Oberarmen wohl zu den Tigers gehörten.
Auch Damian war die Kinnlade heruntergeklappt, während er beobachtete, wie einer nach dem anderen die Stufen zur VIP-Lounge erklomm. Ich hatte Theas und Damians Obsession mit den Tigers nie wirklich verstanden. Damians Faszination war zwar eher ästhetischer Natur, das hielt Thea allerdings nicht davon ab, ihn zu jedem Heimspiel zu schleppen, für das sie Karten ergattern konnte. Ich war dem Sport nicht abgeneigt, immerhin gab er mir die Hoffnung, dass es auch überdurchschnittlich große Träger eines Y-Chromosoms unserer Spezies gab, denn die meisten Männer überragte ich auch ohne Absätze. Allerdings konnte ich nicht von mir behaupten, dass ich ein Fan war. Den Großteil meines Wissens hatte ich nur Theas endlosen Vorträgen zu verdanken und irgendwo in die hinterste Ecke meines Gehirns verstaut.
Ich ließ meinen Blick über die Spieler schweifen, während sie sich auf die Sofas und Hocker verteilten und war extrem stolz, dass ich viele von ihnen auch ohne ihre Trikots erkannte. Dann blieb ich unwillkürlich an einem Gesicht hängen. Ein Gesicht, das wohl jede heterosexuelle Frau in ganz Amerika erkennen würde, auch wenn sie keine Basketball-verrückte beste Freundin hatte. Zack Conner, Guard-Forward und Kapitän der Mannschaft. Groß, muskulös, unglaublich sexy und begehrt von unzähligen Frauen und Männern des ganzen Landes. Ich hatte ihn schon auf vielen Plakaten und in Werbespots gesehen, doch die waren nichts im Vergleich zu seiner beeindruckenden Präsenz, die den Raum dominierte. Er trug ein weißes Hemd, unter dem sich deutlich seine Muskeln abzeichneten, graue Jeans und schwarze Lederstiefel. Wie ein Mann ein so simples Outfit so sexy wirken lassen konnte, entzog sich meinem Verstand. Er saß auf einem der großen roten Sofas, den linken Arm auf der Rückenlehne ausgestreckt und die Beine entspannt überkreuzt mit einem Fuß auf seinem Knie. Er lachte über etwas, das David Lance, der Spieler neben ihm, erzählte, und sein ganzes Gesicht hellte sich auf. Seine schwarzen Haare waren ein einziges unbändiges Chaos, als hätte eine Frau sich in ihnen festgekrallt, während er sie mit diesen sinnlichen Lippen bis zur Besinnungslosigkeit geküsst hatte. Der dunkle Bartschatten gab seinem Aussehen etwas Verbotenes, Rebellisches. Er war einfach unverschämt sexy. Doch nichts von alledem hätte mich auf den Moment vorbereiten können, in dem sein Blick auf meinen traf. Selbst über die Distanz hinweg und einer Beleuchtung, die nicht gerade dafür geeignet war, jemandem schöne Augen zu machen, fühlte es sich an, als gäbe es nur uns beide im Raum. Ich hielt die Luft an, als sein tiefgrüner Blick langsam über mich glitt und sich sein Mund zu einem trägen Lächeln verzog. Durch meine jahrelange Erfahrung als weibliches Wesen hinter einem Bartresen kannte ich diesen Blick. Ihm gefiel, was er sah. Mir wurde heiß, während sich das Kribbeln zwischen meinen Beinen langsam über meinen ganzen Körper ausbreitete. Ich war es gewohnt, gemustert zu werden. Das brachte der Job mit sich. Was ich allerdings nicht gewohnt war, war die Reaktion meines Körpers. Nur zu gern hätte ich herausgefunden, ob er genauso gut küssen