Wie die Gorillas. Esther Becker

Wie die Gorillas - Esther Becker


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Töchter, die nicht mehr über den Rand ihres Tellers hinausschauen, sondern ihn leer fressen, als hätten sie Schwerstarbeit verrichtet und nicht bloß krumm in den Stühlen und Seilen gehangen und Haarsträhnen gezählt.

      Ihre fettigen Haarsträhnen, die ihnen in die fettigen Gesichter fallen (es ist nicht so, als hättest du ihnen nicht angeboten, sich in der Apotheke beraten zu lassen), diese immer feuchten Augen dich nicht mehr bewundernd an-, sondern durch alles abwesend hindurchschauen, die ungelenken Hände, die ständig durch die dummen Gesichter wischen, dicht beringt mit billigem Modeschmuck. Sie mögen silberfarbenes im Sechserpack, so leicht zu verbiegen wie einst ihre zarten Körper.

      Jetzt plumpsen ihre plumpen Körper auf Stühle und Bänke, auf Betten und Kinosessel und sind zu nichts zu bewegen, was Bewegung erfordert.

      Sie kauen Kaugummi und waschen eifrig ihre billig beringten Nikotinfinger. (Sie denken, du merkst nicht, dass sie rauchen.) Ihre Haare waschen sie nicht.

      Fettige Strähnen werden um Finger gezwirbelt, Ringe werden verschoben, es wird laut mit ungelenken Gelenken geknackt.

      An Sport ist nicht zu denken. Seit sie menstruieren, stinken sie noch mehr und lassen sich aufgrund von Frauenleiden Entschuldigungen schreiben, lassen sich von körperlicher Ertüchtigung befreien, um tumb am Rand zu sitzen und zum Rauchen zu verschwinden in den Büschen hinter den Turnhallen, den Büschen hinter den Sportplätzen, sie wünschten zum Küssen.

       Wie sagst du diesen fetten, faulen Töchtern, dass niemand sie küssen wird, wenn sie nicht an sich arbeiten, zumindest kein Junge oder junger Mann?

      Frauen ist nicht zu trauen.

      Lesbische Liebe hältst du für ein Gerücht.

      (Du bist zugegebenermaßen unentschlossen, was du vom Küssen halten sollst.

      Du wolltest kein Mauerblümchen pflanzen, keine alte Jungfer heranzüchten und trotzdem wird dir mulmig, wenn du dir ausmalst, wie jemand deiner Tochter die Zunge in den Mund bohrt, ihren Brüsten beikommt, ihr den Finger in die Muschi schiebt. Muschi sagst du nicht, du sagst Scheide oder Vagina, wenn es sein muss, unsicher, ob die Betonung auf der ersten oder der zweiten Silbe liegt, du hattest kein Latein.

       Du willst keine billige Schlampe unter deinem Dach, aber auch keine prüde Spaßverderberin. Du willst, dass bald einmal ein junger Verehrer seine Füße unter deinen Tisch streckt, der angesehen ist und ansehnlich und sehen will, was deine Tochter zu bieten hat.)

       Was macht du, wenn deine Tochter des männlichen Blickes unwürdig, fröhlich weiter wächst, vor sich hin und über sich hinaus, immer mehr Platz einnimmt, am Tisch und auch sonst und so jede Möglichkeit eines guten Ansehens durch einen verehrenden Jungen verdrängt?

       Wo soll er denn sitzen?

      4

      Wir sollen uns vorstellen, wir befänden uns in einem Lift.

      In Wahrheit befinden wir uns in einem niedrigen, grauen Tagungsraum im Bahnhofshotel, weil meine Freundin Svenja Schauspielerin werden wird. Ich bin zur Unterstützung mitgekommen, und da uns direkt zu Beginn von einem ernsten Mann gesagt wurde, dass Zuschauen nicht erlaubt sei, man müsse mitmachen oder gehen, stehe ich gemeinsam mit Svenja in einem imaginären Aufzug, der jetzt stecken bleibt. Wir sollen Panik spielen, schreien und weinen.

      Ich brülle los und tue so, als würde ich auf die Fahrstuhlknöpfe einhämmern. Svenja kreischt in den höchsten Tönen, dann presst sie tatsächlich ein paar Tränen aus den Augenwinkeln, ich weiß nicht, wie sie das macht. Ich habe gelesen, dass es hilft, in einen Ventilator zu schauen oder eine Zwiebel ans Gesicht zu halten. Seit ich Kontaktlinsen trage, muss ich beim Zwiebelschneiden nicht mehr weinen.

      Dann kommen wir einzeln dran. Es werden Fotos geschossen und Notizen gemacht, man muss traurig gucken, dann lachen, dann flirten. Ich sehe immer wieder auf die Uhr, wir mussten sehr lange warten, eine Menge Mädchen wollen zum Film, mein Vater hat versprochen, uns abzuholen.

      Ich schaue nicht traurig genug.

      Du bist schuld!, sagen sie zu mir in strengem Ton, um mich in die richtige Stimmung zu versetzen. Als sie merken, dass ich Kaugummi kaue, werden sie wirklich wütend.

      Ich muss ihn ausspucken, das sei unprofessionell.

      Ich lache ungern, ich habe Zähne wie ein Pferd.

      Mehr!, wollen sie.

      Ich will aber nicht.

      Auch das Flirten ist mir sehr unangenehm, ich weiß nicht, wen ich zuerst angehen soll, und ohne Lächeln bleibt mir nur, ihnen zuzuzwinkern oder die Augenbrauen neckisch hochzuziehen.

      Es wird sich beraten, mein Vater wartet bestimmt schon.

      Die Vielversprechenden sollen ein Formular ausfüllen, ich bin nicht darunter.

      Es gibt die Kategorien sportlich, schlank und weiblich. Dick gibt es nicht.

      Wir sollten jetzt wirklich gehen.

      Willst du wissen, warum es nicht gereicht hat?

      Eigentlich nicht. Doch es war eine rhetorische Frage.

      Enge Augen, sagt die einzige Frau unter den Castingleuten.

      Du hast zu eng stehende Augen.

      Sie sagt das, als wäre es ein schmutziges Geheimnis.

      Du würdest nie eine Hauptrolle bekommen. Es ist schwer genug als Dunkelhaarige, und dann noch mit den Augen …

      Svenja hat schlank angekreuzt und ihre Adresse notiert, und ich will endlich gehen, aber das ist nicht so einfach, denn am Ausgang hat sich eine Schlange gebildet, zum Bezahlen einer Gebühr, von der uns niemand etwas gesagt hat. Svenja blättert euphorisch die Scheine hin, ich will sagen, dass ich doch gar nicht mitmachen wollte und ohnehin nicht aufgenommen wurde, will aber Svenja die Chancen nicht vermiesen. Ich gebe ihnen alles, was ich habe, den Rest würde ich von meinem Vater holen.

      Wie war es? Mein Vater hört Jazzradio und scheint noch nicht allzu lang gewartet zu haben.

      Svenja brummt und zuckt mit den Schultern, als wir einsteigen.

      Ich sage nichts. Auch nichts von dem Geld.

      Svenja schaut aus dem Fenster, ich meine, ein kleines Lächeln zu erkennen.

      Ich schaue mir im Rückspiegel meine Augen an.

      5

      Wir machen es alle. Wir fallen der Reihe nach um, wie die Hühner von der Stange. Wir setzen uns mit den Rücken an die Wand, wir pressen uns die Hände an die Halsschlagadern, wir hyperventilieren, bis es uns wirr wird, und dann Gutnacht.

      Wir sinken herab in etwas Tiefes und Warmes, in dem nichts Platz hat außer uns. Eine muss aufpassen, dass nichts passiert und der Lehrer nichts mitbekommt.

      Der Lehrer muss sich ankündigen, bevor er die Kabine betritt, er muss einen guten Grund haben und uns Zeit geben, uns zu bedecken. Er muss warten, bis wir ihn hereinbitten, wie einen Vampir über die Schwelle.

      Eine passt auf oder zwei, am besten die, die ihre Tage haben, die können nicht mitmachen, wir denken, dass das gefährlich wäre: Wer nicht turnen darf, sollte auch besser nicht in Ohnmacht fallen.

      Wir machen das schon eine Weile, wer damit angefangen hat, weiß niemand mehr so genau, wir haben einfach angefangen und weitergemacht.

      Es ist unser Ausweg aus diesem niedrigen, stickigen Raum, in dem alles noch schlimmer wird, wenn jemand blumiges Deo versprüht. Die schimmeligen Duschkabinen benutzt keine von uns, geschminkt wird nur das Nötigste unter flackernden Neonröhren vor vollgemalten Spiegeln. Unser Ausweg ist ein Kaninchenloch zum Drin-verschwinden, es kann überallhin führen. Unser Ausweg ist willkommen und kostet nichts. Man braucht nur eine Wand und welche, die aufpassen.


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