Wie die Gorillas. Esther Becker

Wie die Gorillas - Esther Becker


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meinen Fingern, ich drücke fest zu und atme schnell, ich gleite ab und lasse los, dass etwas kracht, kriege ich mit, aber ich bin schon zu weit untergetaucht, als dass ich etwas damit zu tun haben möchte.

      Ich tauche und treibe mühelos auf einem tropischen Fluss. Ich höre Stimmen, die mich nicht weiter stören. Ich fühle ein Tätscheln an den Wangen wie mit Palmwedeln und wieder, und es ist jetzt ein festes Tätscheln, das wehtut und eigentlich ein Schlagen ist, was für mich keinen Sinn ergibt, weil sonst alles so friedlich ist, wer sollte da Ohrfeigen verteilen?

      Es klatscht immer wieder, ein rohes Brennen blüht auf meinen Wangen, aber ich will noch nicht zurück. Jemand schreit einen Namen in mein Ohr, es ist mein Name, es scheint etwas Ernstes zu sein. In Zeitlupe steige ich aus dem warmen Wasser, nasses Haar klebt mir am Hinterkopf, als sie mich aufrichten. Sie sind hektisch und laut und haben den Lehrer gerufen. Das nasse Haar ist eine Platzwunde, es kommt ein Krankenwagen.

      Es stellen sich Fragen nach Absichten. Ich sage, dass es nur ein Spiel ist, dass alle das machen in unserem Alter, aber davon will man nichts gehört haben. Da ich sonst nicht weiter auffällig bin, bleibt mir genaueres Erklären erspart.

      Die Wunde ist genäht, eine Gehirnerschütterung nicht ganz ausgeschlossen, man behält mich da bis zum nächsten Tag. Meine Mutter ist sprachlos, mein Vater schaut besorgt, sie bringen mir Dinge zum Übernachten. Meine Bettnachbarin hat Verbrennungen im Gesicht, sie habe Glück gehabt, sagt man ihr.

      Ich frage mich, was daran Glück sein soll und wie man sich im Gesicht verbrennt. Vielleicht ein Rauchunfall? Ich habe mir einmal die Wimpern versengt, als ich mir einen Zigarettenstummel wiederanzünden wollte. Das war nicht weiter tragisch, außer dass ich Angst hatte, dass meine Eltern es bemerken und eins und eins zusammenzählen. Ich kämmte mir die Haare ins Gesicht und wartete, dass die Wimpern nachwachsen.

      Meine Bettnachbarin redet im Schlaf, was ich erst begreife, nachdem ich sie mehrmals vergeblich gebeten habe, deutlicher zu sprechen. Sie murmelt vor sich hin, und ich liege lange wach.

      Ich nehme mir vor, sie zu fragen, was passiert ist, ob es wirklich das Zigarette-anzünden war oder ob es einen Brand gab in ihrem Haus, ihrer Schule oder Arbeit. Es ist schwer zu schätzen, wie alt sie ist.

      Das Frühstück ist nicht schlecht, nicht wie in Filmen, wo das Krankenhausessen immer furchtbar schmeckt und es grünen Wackelpudding gibt. Wir bekommen Brot, Marmelade und fettarmen Fruchtjoghurt ohne Stückchen.

      Meine Nachbarin liest in einem Büchereibuch, was ich am Einband erkenne, kann den Titel aber nicht entziffern. Ich schlafe noch einmal ein.

      Als ich aufwache, ist sie nicht mehr im Zimmer.

      Ich warte vorm Stationszimmer auf mein Entlassungsschreiben und höre durch die angelehnte Tür, wie jemand von Säure redet, davon, dass die Opfer schwerste Verletzungen davontragen, dass viele auch erblinden oder das Gehör verlieren.

      Sie hat wirklich Glück gehabt!, sagt jemand anderes. Der abgewiesene Verehrer habe schlecht gezielt und nur einen kleinen Teil ihres Gesichts getroffen.

      Da zähle ich eins und eins zusammen.

      Ich packe meine Sachen und erschrecke, als die Tür aufgeht. Meine Nachbarin schlurft im Bademantel an mir vorbei, um das Fenster zu öffnen.

      Starr mich nicht so an, sagt sie. Das ist es doch, was er will, dass alle mich anstarren, weil ich hässlich bin. Er soll nicht kriegen, was er will. Also hör auf damit.

      Ich schaue auf meine Schuhe und weiß nicht, was ich sagen soll. Im Türrahmen wünsche ich ihr leise alles Gute, ich denke nicht, dass sie es gehört hat.

      Die, die aufpassen sollten, bringen mir Pralinen in Herzform mit. Wir fallen nicht mehr um, wir hören einfach auf damit. Stattdessen essen wir Schokolade hinter der Turnhalle, wir kauen und rauchen gleichzeitig.

      6

      Die Toilette ist geräumig, Frauen und Behinderte. Neben der Kloschüssel ragen Metallgriffe aus der Wand, es gibt einen Wickeltisch zum Ausklappen.

      Ich kann nicht hinsehen, also sehe ich nicht hin, sondern betrachte die Seifenränder auf dem Waschbecken. Ich halte Papiertücher unter den Wasserhahn, um Olga, Svenjas Cousine, das Gesicht abzuwaschen.

      Olga kotzt sich die Seele aus dem Leib, Svenja tätschelt ihr den Rücken. Das ist normal, wissen wir, Übelkeit, aber schön ist es nicht. Ich muss selbst ein Würgen unterdrücken, Svenja hält Olga, so gut es geht, die Haare aus dem Gesicht. Ich stehe mit den nassen Tüchern herum und lese den Putzplan, der an einem Klemmbrett neben dem Waschbecken hängt, die Unterschriften sind alle blau und nach rechts geneigt. Olga hat aufgehört, sich zu übergeben, ich reiche ihr die Tücher, Svenja schaut auf die Uhr und flucht. Es sind noch keine drei Stunden seit der Einnahme vergangen, wir müssen also noch einmal in die Apotheke zurück.

      Sie könnten uns ohne Rezept leider nicht weiterhelfen.

      Wir haben das Rezept erst vor zwei Stunden hier abgegeben.

      Der Apotheker, der jetzt Dienst hat, will nichts davon wissen und auch nicht danach suchen. Einmal eingelöst, sei es wertlos.

      Wir brauchen einfach nochmal dasselbe, Svenjas Stimme kippt.

      Sie hat sich erbrochen.

      Svenja zeigt dem Apotheker die betreffende Stelle auf dem Beipackzettel, sie muss die Einnahme wiederholen.

      Olga steht stumm dabei, sie sieht sehr mitgenommen aus.

      Der Apotheker bleibt hart, dann müsse sie sich ein neues Rezept besorgen.

      Die Notaufnahme war vorhin schon gerappelt voll. Das dauert zu lang!

      Svenja raschelt mit dem Beipackzettel, sie will ihm den Abschnitt über die Notwendigkeit einer zeitnahen Einnahme zeigen, Innerhalb von zwölf Stunden!

      Ihre Stimme ist gefährlich hoch.

      Mit einem Ich-weiß-was-da-steht wischt der Apotheker den Zettel weg, das sei nicht sein Problem, wenn wir zu blöd seien, vernünftig zu verhüten. Olga kann nicht vernünftig verhüten, ihre Familie ist sehr gläubig.

      Meine Familie interessiert sich nicht für Religion.

      Ich rufe meinen Vater an, der nicht da ist. Alles in Ordnung?, fragt meine Mutter, die nicht arbeitet, weil Samstag ist.

      Nein, sage ich und überlege, ob das klug ist.

      Ihr wartet draußen, sagt meine Mutter, als sie aus dem Auto steigt. Olga sieht immer noch sehr blass aus und trinkt Cola aus der Dose, Svenja hat rote Flecken im Gesicht. Ich würde jetzt gerne rauchen, aber das geht nicht mit meiner Mutter. Es nieselt auf uns herab, wir warten, wie Hunde, die vor Supermärkten angeleint sind. Unsere Haare kräuseln sich, es wird kalt. Vor den Läden ringsherum werden die Werbetafeln und Ständer hereingeholt. Ich wollte noch im Drogeriemarkt Ringe anprobieren.

      Meine Mutter kommt aus der Apotheke, die weißlila Packung in der Hand, eine große Verpackung für eine einzige Tablette, Olga ist sichtlich erleichtert und schluckt sie sofort mit dem Rest Cola herunter.

      Im Auto sucht meine Mutter eine Plastiktüte aus dem Handschuhfach und hält sie Olga hin. Für alle Fälle. Sie darf vorne sitzen.

      Diesmal bleibt alles drin.

      Meine Mutter wird bei ihrer Gynäkologin einen Termin für mich ausmachen, um mir etwas Vernünftiges verschreiben zu lassen. Dabei habe ich gar keinen Sex. Auch keine Aussicht darauf.

      7

      Es blutet, aber tut nicht weh. Nicht so weh wie erwartet.

      Ich habe mich auf das Schlimmste gefasst gemacht und vorsorglich an den Armlehnen des Zahnarztsessels festgekrallt, den Blick auf die Kinderzeichnung eines Hundes an der Wand gerichtet. Das Papier ist schon leicht vergilbt, ich frage mich, wie alt das Kind jetzt wohl ist und ob es diesen Hund wirklich gibt.

      Es blutet, der Arzt drückt einen Tupfer auf meinen Bauchnabel,


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