Mami Box 1 – Familienroman. Claudia Torwegge

Mami Box 1 – Familienroman - Claudia Torwegge


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zu dem Entschluß führte, es aus dem Karolinen-Haus zu nehmen.

      Danach trat ein bedeutungsvolles Schweigen ein. Bis Vera die Frage stellte, die im Raum stand: »Was haben Sie jetzt vor, Frau Pavel? Wollen Sie uns Laura wieder fortnehmen?«

      »Ich dachte, sie sollte zumindest wissen, daß sie noch eine Mutter hat«, sagte Alice leise, mit gesenkten Lidern. »Wie wollte ich sie liebhaben, wenn sie mit mir kommt.« Ein sehnsüchtiger Ausdruck verklärte ihre Miene.

      Ein tiefer Seufzer hob Veras Brust. »Laura hat schon soviel verkraften müssen«, sagte sie bedrückt. »Jetzt, wo sie endlich Geborgenheit und Beständigkeit gefunden hat, soll nun alles wieder anders werden?«

      Wieder schwiegen sie, lange, bange Sekunden lang. Dann klingelte es plötzlich Sturm. Die beiden Frauen zuckten zusammen, Vera fuhr empor. Sollte das schon Laura sein?

      »Ja, wo kommst du denn jetzt schon her?« empfing sie das Kind.

      »Hast du vergessen, Mama, daß ich heute nur zwei Stunden habe?« lachte Laura. »Ich bin mit Bärbel gegangen, stell dir vor, die kriegt einen kleinen Hund, da darf ich auch mal mit spazierengehen. Oh, haben wir Besuch?«

      Artig sagte sie »Guten Tag« zu der fremden Frau, die aufgestanden war, und sie gab ihr das Händchen.

      Vera hielt den Atem an. Was würde jetzt geschehen? Hoffentlich verlor Alice Pavel nicht die Beherrschung. Aber sie sagte nur »Guten Tag, mein Kind«, und sie sah darauf nieder, auf ihr Kind.

      »Haben Sie meinen Geburtstagstisch schon gesehen?« fragte Laura zutraulich. »Ich habe nämlich gestern Geburtstag gehabt. Ich bin sieben geworden.«

      »Ja, ich weiß.«

      »Hat meine Mama Ihnen das schon gesagt. Es war riesig, wir haben ganz toll gefeiert.«

      »Ich gratuliere dir auch noch nachträglich…«

      »Danke«, strahlte Laura. »Ich bringe jetzt eben meine Sachen rauf«, und sie sprang mit ihrem Ranzen davon.

      »Ich werde jetzt auch gehen«, sagte Alice Pavel so mühsam, als strenge sie das Sprechen an. »Ich kann sie doch nicht damit überfallen, daß ich ihre Mutter bin. Würden Sie…« Sie räusperte sich. »Würden Sie Laura darauf vorbereiten?«

      Vera nickte, wenn auch schweren Herzens. »Wie lange bleiben Sie denn noch, und wo kann ich Sie erreichen, Frau Pavel?«

      Alice nannte ihr den Namen ihrer bescheidenen Pension, in der sie die nächsten Tage noch wohnen würde. »Ich werde dort auf Ihren Anruf warten, wann ich wiederkommen darf.«

      »Ist die Frau schon gegangen?« fragte Laura, als sie wieder herunterkam. »Die hat mich so komisch angeguckt.« Aber mit dem gleichen Atemzug kam sie schon wieder auf das Hündchen zu sprechen, das Bärbel gehören sollte.

      Bereits nach dem Mittagessen nahm Vera ihren Mann beiseite und erzählte ihm, was sich an diesem Vormittag begeben hatte. Mit gerunzelter Stirn hörte er ihr zu.

      »Du redest von dieser Person fast so, als habe sie deine Sympathie, trotz ihrer ungeheuerlichen Tat«, bemerkte er unwillig.

      Mit einer hilflosen Geste hob Vera die Schultern, sie sah beiseite. »Ich kann sie nicht verdammen, Edgar. Wie heißt es doch: Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein. Uns ist es immer gutgegangen. Was wissen wir schon davon, in welche Lage ein Mensch kommen kann…«

      Der Mann schwieg. Dann überlegte er laut: »Das wird nicht einfach sein, es Laura zu erklären. Aber wissen muß sie es natürlich. Sie könnte uns sonst später einmal Vorwürfe machen. Man weiß ja nicht, ob diese Frau Ruhe geben wird.« Er schüttelte den Kopf, er suchte den Blick seiner Frau. »Die Kleine würde uns fehlen, nicht wahr, Vera?«

      »O ja«, flüsterte Vera. »Aber soweit ist es noch nicht.«

      Am Nachmittag, als Laura ihre Schulaufgaben gemacht hatte und sich nun eigentlich eine Kindersendung ansehen durfte, blieb der Fernseher ausgeschaltet. »Komm, ich erzähle dir etwas«, sagte Vera und zog das Kind zu sich auf die Couch. Bereitwillig schmiegte es sich an sie. Sich von der Mama etwas erzählen zu lassen, war noch viel schöner.

      »Laura, die Frau, die gestern bei uns war, hat den gleichen Familiennamen wie du: Pavel«, begann Vera. »Sie kommt aus einem anderen Land, aus Rumänien, wo es den Menschen nicht so gutgeht wie den meisten hier bei uns. Dort herrschen Armut und große Not vor. Auch Frau Pavel war so arm, daß sie nicht wußte, wovon sie ihr Kind ernähren sollte.«

      »Hatte sie keinen Mann? Oder war der auch so arm?«

      »Sie hatte keinen Mann. Der war fortgegangen, bevor das Kind zur Welt kam.«

      »Das ist aber gemein«, befand Laura.

      »Dann ist jemand gekommen«, fuhr Laura fort, »der ihr sagte, daß er das Baby zu Leuten nach Deutschland bringen würde, wo es ein gutes Leben haben sollte. Da hat sie eingewilligt, obwohl ihr das sehr schwer fiel, denn damit sollte sie für immer auf ihr Kind verzichten.«

      Sie war geschönt, diese Geschichte. Aber was sollte sie dem Kind von den schmutzigen Geschäften erzählen, die dahinterstanden? Laura würde es noch nicht verstehen.

      »Trotzdem hat sie jahrelang versucht zu erfahren, wo ihr Kind denn geblieben sei. Aber der Mann, der allein es wußte, wollte es ihr nicht sagen. In all diesen Jahren, es waren sieben, hat Alice Pavel ihre ganze Kraft daran gesetzt, einen ordentlichen Beruf zu erlernen, sie hat studiert und ist Ärztin geworden in einem Krankenhaus. Todkrank wurde dieser Mann ihr Patient, und mit seinen letzten Worten, bevor er starb, hat er es ihr dann gesagt. Da ist sie nach Deutschland gefahren, um ihr Kind wiederzusehen. Es heißt – Laura Pavel!«

      Laura hatte schon aufgemerkt, als die Zahl Sieben und der Name Pavel wieder fielen. Jetzt fuhr sie steil empor. »Sie ist…«, stammelte sie – und brachte es doch nicht hervor.

      Vera nickte ernst. »Sie ist deine Mutter, Laura.«

      »O nein, Mama, nein!« brach es aus Laura heraus. »Sie darf mich nicht fortnehmen in ein fremdes Land. Sie ist eine fremde Frau. Ich will bei euch bleiben.« Sie zitterte plötzlich am ganzen Körper. Ihre Traumwelt, die voriges Jahr auf so wunderbare Weise Wirklichkeit geworden war, sie sah sie auf einmal bedroht.

      Vera zog sie wieder an sich. »Beruhige dich, Laura. Sie wird dich sicher nicht dazu zwingen, wenn du es nicht willst.«

      Die schmale Gestalt des Kindes zog sich zusammen, Laura drückte den Kopf gegen Veras Schulter, als wollte sie sich verstecken. Vera streichelte sie. Sie hatte es ihr so schonend wie möglich beibringen wollen, und nun war es doch ein Schock für sie geworden.

      »Ich habe es aber gar nicht gutgehabt«, kam es nach einer Weile klagend. »Wenn sie mich deshalb fortgegeben hat, dann ist das gar nicht wahr. Ich war in einem Waisenhaus, da waren die Kinder ganz schlimm, und lieb zu mir war da keiner.«

      »Du warst zuerst bei einem Ehepaar, das viel darum gegeben hat, dich behalten zu dürfen. Aber daran hast du wohl keine Erinnerung mehr, du warst noch zu klein.«

      Laura machte eine ungewisse Kopfbewegung. »Ich war immer im Karolinen-Haus«, beharrte sie. »Eine Mutter hab ich mir immer nur ausgedacht und einen Vater. Bis ich dich gesehen habe, Mami, und gebetet habe, daß ich bei dir sein dürfte.« Sie richtete sich auf und warf ungestüm die Arme um Veras Hals. »Laß mich bei dir bleiben, Mami, und bei Papa!«

      »Wir möchten es ja auch gern, Laura«, murmelte Vera verhalten. »Aber vielleicht, wenn du deine Mutter erst näher kennenlernst…« Sie schluckte hart. »Sie wird wiederkommen, weißt du, und dann sperre dich nicht zu sehr gegen sie. Tu ihr nicht weh.«

      *

      Sie war so schnell am Telefon, daß man meinen konnte, sie hätte daneben gesessen und immer nur darauf gewartet, daß der Anruf käme.

      »Sie können morgen zum Mittagessen zu uns kommen, Frau Pavel«, sagte Vera. »Ich habe Laura darauf vorbereitet.«

      »Haben Sie…« Alice stockte.

      »Ich habe


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