Mami Box 1 – Familienroman. Claudia Torwegge
seine Schwester zum Becken lief, und er ergriff ihre Hand, in einer scheuen Geste der Zärtlichkeit. Er sagte nichts, aber Vera wußte, was ihn bewegte.
Katrin sprach es aus, als sie nach einer Weile wiederkam und sich das kurze blonde Haar zurückstrich, das dunkel vor Nässe war.
»Wenn Laura wieder mal da ist, werden wir netter zu ihr sein, Tante Vera«, sagte sie.
*
Es kam aber nicht so bald dazu, daß sie es unter Beweis stellen konnten, weil die Großeltern Sasse bei ihnen »einfielen«, wie Jenny, nicht eben erbaut von dem unvermuteten Besuch, das bei sich nannte.
Dieters Eltern waren erst kürzlich von einer Kreuzfahrt in südlichen Meeren zurückgekommen und befanden sich nun auf dem Weg in ihr Ferienhaus im Tessin, wo sie bis zum Herbst bleiben wollten. Sie konnten es sich leisten, ihren Lebensabend zu genießen, und da sie beide, obwohl über Siebzig, gesund und vital waren, taten sie es aus vollem Herzen.
Sie wohnten in Hamburg, man sah sich nicht allzu häufig, doch nun, auf der Durchreise, wollten sie doch mal sehen, wie es bei den Kindern so ging, eventuell ein paar Tage bleiben.
Aber sie erkannten bald, daß sie nicht gerade hochwillkommen waren. Der Sohn war vollauf mit der bevorstehenden Ausstellung beschäftigt, deren Eröffnung in acht Tagen vor geladenen Gästen stattfinden sollte, die Schwiegertochter widmete sich nur mit einem gezwungenen Lächeln dem Besuch und schaute verstohlen mehrmals auf die Uhr.
»Ich muß ins Geschäft, entschuldigt mich bitte«, sagte sie schließlich. »Bei uns geht es zur Zeit drunter und drüber. Frau Müller wird euch das Zimmer richten.« Das war ihre Haushaltshilfe.
»Wir können ins Hotel gehen«, sagte Philip Sasse ernüchtert. Etwas anders hatte er sich den Empfang doch vorgestellt.
»Das wäre Dieter sicher nicht recht. Wo stecken denn nur wieder Claus und Katrin? Die kommen noch vor lauter Langeweile auf dumme Gedanken, weil ihre Freunde alle verreist sind.« Sie brachte es gereizt in einem Atemzug hervor, suchte dabei ihre Autoschlüssel mit fahrigen Bewegungen.
Als sie sie gefunden hatte und mit langen Schritten zu ihrem Wagen eilte, bemerkte der alte Herr: »Ich glaube, wir brauchen gar nicht erst etwas auszupacken, Ingeborg. Von Dieter werden wir doch nicht viel haben. Aber voriges Jahr war es eigentlich nicht viel anders«, überlegte er, und er fügte hinzu: »Der Junge arbeitet zuviel.«
»Der Junge ist immerhin achtundvierzig Jahre«, erwiderte seine Frau. »Ein bißchen Privatleben sollte er sich schon gönnen, auch seiner Frau und den Kindern zuliebe. Jenny ist ja ein Nervenbündel geworden.«
Dann kamen die Enkel, auch sie nicht gerade strahlende Ferienkinder. Sie hatten keine besonders enge Beziehung zu diesen Großeltern, die sie nur selten sahen. Außerdem waren sie schon sehr alt. Aber Katrin klagte ihnen dennoch ihr Leid.
»Schulferien, ja«, sagte sie verdrossen, als der Großvater eine Bemerkung dazu machte. »Da hat man auch nichts von, wenn man immer nur zu Hause bleiben muß.«
Daß es Kinder gab, denen es viel, viel schlechter ging, hatte sie schon wieder vergessen. Davon wollte sie im Grunde auch gar nichts wissen.
»Das ist natürlich dumm«, mußte Opa Sasse zugeben. Er wechselte einen raschen Blick mit seiner Frau. Wenn man fünfzig Jahre verheiratet war, verstand man sich auch ohne Worte.
»Wie wäre es, wenn wir euch mitnehmen würden?« fragte er.
»Wohin?« kam es wie aus einem Mund zurück.
»Ins Tessin, wo wir unser Ferienhaus haben.«
»Wo ist denn das, Tessin?« wollte Claus wissen.
»Im südlichsten Teil der Schweiz«, erklärte ihnen der Opa, »dort gibt es schon Palmen und Zypressen, und die Amtssprache ist Italienisch. Da wirst du es nicht so vermissen, Katrin, daß du nicht mit deiner Freundin fahren durftest, und einen großen See zum Schwimmen gibt es auch.«
Katrin klatschte in die Hände, und Claus fragte mit glänzenden Augen: »Da wollt ihr uns mitnehmen, echt, und für länger? Wir haben nämlich noch vier Wochen Ferien.«
»Na, wenn schon, denn schon, da lohnt es sich wenigstens«, meinte Philip Sasse angeregt. Er fand, daß es eine gute Idee war. Sie hatten doch eigentlich viel zu wenig von ihren netten Enkelkindern.
Als Jenny und Dieter nach Hause kamen, waren ihre Kinder dabei, alles mögliche in zwei Reisetaschen zu verstauen.
»Was soll denn das jetzt wieder?« fragte Jenny.
»Wir fahren mit Opa und Oma ins Tessin!« triumphierten die beiden.
»Wir hoffen, daß es euch recht ist«, sagte ihre Schwiegermutter. »Wir haben uns ganz spontan dazu entschlossen. Ihr seid doch so eingespannt, und die Kinder wissen nichts mit sich anzufangen.«
Und ob es den Vielbeschäftigten recht war! »Aber, wollt ihr euch das wirklich antun?« wandte Dieter halbherzig ein. »Ich denke, da unten ist euch eure Ruhe heilig, und damit wird es dann nicht viel sein.«
»Mit uns tun sie sich doch nichts an, Papa«, sagte seine Tochter gekränkt. »Wir werden ganz lieb sein. Ich jedenfalls. Bei Claus weiß man das ja nie.«
»Och du!« ging der Junge auf seine naseweise Schwester zu. »Wer gibt denn immer freche Antworten, du oder ich?«
»Da habt ihr schon einen Vorgeschmack«, sagte Dieter zu seinen Eltern, aber die lachten nur. Der Opa klopfte Claus die runde Wange. »Ihr werdet euch schon vertragen, was?«
»Immer!« behauptete Katrin und hob sogar den Schwurfinger dabei.
Am nächsten Morgen schon brachen die Großeltern mit ihren Enkeln in schönster Eintracht auf. Kurz vorher nahm Philip Sasse seinen Sohn noch beiseite. »Deine Frau gefällt mir nicht«, sagte er ernst, »sie macht einen nervösen und abgehetzten Eindruck.«
»Findest du?« kam es verwundert zurück. »Mir ist das noch nicht aufgefallen.«
»Weil du anscheinend gar keinen Blick mehr dafür hast. Mußt du sie im Geschäft denn so in Anspruch nehmen?«
»Aber das macht ihr doch Spaß, Vater!« Dieter konnte es sich nicht vorstellen, daß es einem Menschen keinen Spaß machen sollte, mit schönen Dingen umzugehen.
»So? Na ja, wenn du meinst…« Es klang trocken. Er wandte sich noch einmal zu seinem Sohn um. »Bring ihr wenigstens mal einen Blumenstrauß oder ein hübsches Geschenk, damit sie merkt, daß sie auch noch einen liebenden Ehemann hat.«
Dieter mußte lächeln. Mein Gott, sie waren seit dreizehn Jahren verheiratet, und Blumen hatten sie genug im Garten. Aber er nickte. »Kann ich ja machen«, sagte er friedlich.
Doch in der nächsten Stunde hatte er es vergessen.
*
»Sie würden es uns übelnehmen, wenn wir nicht kämen«, sagte Vera und legte sich die Perlenkette um den Hals. Sie trug ein schmalgeschnittenes weißes Kostüm mit kurzem Rock und langer Jacke, dazu hochhackige Pumps. Sehr elegant wirkte dieser Anzug, aber eine Vernissage bei Sasse war auch eine offizielle Angelegenheit, bei der die Presse nicht fehlen durfte.
»Ich mache mir doch absolut nichts aus moderner Kunst«, seufzte Edgar und band sich wohl oder übel eine Krawatte um. Eine solche mußte er den ganzen Tag in der Bank tragen. Viel lieber hätte er es sich an diesem warmen Sommerabend in Shorts und losem Hemd auf der Terrasse zu Hause bequem gemacht. Aber dann lächelte er schon wieder. »Ich bin eben ein Banause«, fügte er hinzu.
»Das bist du nicht. Ich kann doch auch nicht viel damit anfangen. Aber selbst Jenny sagt, es wären Bilder dabei, wie sie ihr Sohn gemalt hätte, als er fünf war und noch Cläuschen genannt wurde.«
Sie lachten beide.
»Wer ist denn dieser Marian, der da im Mittelpunkt der Ausstellung stehen soll? Ist das ein bekannter Maler?« fragte Edgar und fuhr sich noch einmal über das dunkelblonde Haar.
»Keine Ahnung«, gestand Vera.