Die Turnachkinder im Sommer. Ida Bindschedler

Die Turnachkinder im Sommer - Ida Bindschedler


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hatte.

      «Dies Jahr bauen wir noch eine größere, schönere, einen indianischen Wigwam», sagte Hans. «Vielleicht gibt mir Onkel Alfred sein altes Rehfell als Dach, und dann kommt ein Feuerherd hin; da kochen wir das Abendessen –»

      Die Kinder sahen einander an, und auf einmal fiel ihnen ein, daß sie schrecklich Hunger hatten.

      «Ich auch hab’ Hunger!» sagte Werner und rieb sich über seine kleine Schürze. Aber als sie ins Haus kamen und in die Küche schauten, war da kein Feuer und keine Balbine.

      «Au, au!» machte Hans. «Heut gibt’s scheint’s trockenes Brot, wie beim Däumling und seinen sechs Brüdern.»

      «Ja, vom Däumling erzählen!» rief Werner sofort, der nichts lieber hörte als Märchen.

      Doch heute brauchte man keine zu erzählen. Heute ging es von selbst zu wie im Märchen. Als die Kinder sich daran machten, Mama zu suchen, kam es in bedächtigen Tritten die Treppe herunter: voran Frau Völklein, die dicke alte Frau Völklein von droben.

      «Grüß Gott, Kinderlein!» rief sie mit ihrer hohen, freundlichen Stimme. «Grüß Gott, Kinderlein! Da hab’ ich etwas zu Abend gekocht, weil Mama und Balbine doch keine Zeit finden.»

      Sie trug eine große Schüssel voll prächtiger braungerösteter Bratwürstchen, und hinter ihr folgte Grite, die Magd, mit einem dampfenden Kartoffelbrei.

      «Nein, heute geht’s euch aber fast zu gut!» sagte Mama, als alles am Tisch saß. «Vom Morgen bis zum Abend lauter Lust und Vergnügen! Wollt ihr dran denken, wenn dann die Tage etwa wieder Unangenehmes und Langweiliges bringen, und wollt ihr immer recht zufrieden und artig bleiben?»

      «Ja, Mama! ja, Mama!» versprachen die Kinder.

      Und als der schöne Tag nun zu Ende war und die Kinder in ihren Betten lagen, da meinte Marianne, als sie ihr tägliches Nachtgebet gesagt hatte, das sei eigentlich gar nicht genug.

      «Mama, weißt du kein Gebet, das besonders für diesen Tag paßt?» fragte sie Mama, die vor ihrem Bette stand.

      «Sprich du zum lieben Gott nur, so wie du selber denkst, Kind», sagte Mama.

      Marianne setzte sich noch einmal auf und Lotti drüben auch.

      «Lieber Gott», betete Marianne, «ich dank’ dir vielmal für den schönen Tag und daß du uns den See und den Garten und das Schilf und alles gegeben hast. Ich bin so vergnügt! Und ich will auch recht brav sein und nicht streiten mit Hans und mit Lotti. Amen.»

      Mama gab ihr den Gutenachtkuß und ging hinaus.

      Aber Marianne hielt die Augen offen; sie konnte noch nicht einschlafen. Es war nicht ganz dunkel; sie sah deutlich die dicken hellen Blumen auf der Tapete.

      «Lotti, schläfst du?» fragte sie.

      «Nein, gar nicht!» gab Lotti zurück. «Ich muß immer an den Garten denken. Ich hab’ eine solche Lust, zum Fenster hinauszuklettern und einmal schnell um die Tanne herumzuspringen. Vorher kann ich gewiß nicht einschlafen.»

      Lotti huschte zum Bett hinaus und ans Fenster. Die Luft war lau und roch süß von Blüten. Der Mond stand hoch am Himmel, und rings um ihn schwammen schöne weiße Wolken. Die Bäume waren wie mit Silber übergossen.

      «Marianne, komm! das ist schön –!»

      Das Schlafzimmer lag zu ebener Erde, und im Nu waren die beiden Kinder draußen und sprangen in ihren langen weißen Nachthemden zur Tanne in der Mitte des Rasens.

      «Ach, du liebe Güte – Gespenster!» rief eine Stimme. Es war Balbine, die noch ein wenig im Garten saß.

      Nun trat auch Papa aus der Wohnstube: «Gespenster –? Wahrhaftig, da laufen sie! Ganz merkwürdige Gespenster! das eine mit den blonden Zöpfen gleicht auffallend unserer Marianne und das andere dem Lotti –»

      «Kinder, Kinder!» mahnte Mama. «Ihr wollt euch wohl erkälten! Marsch, zurück ins Bett!»

      Papa lachte.

      «Na, es soll ja eigentlich gesund sein, im feuchten Gras herumzuspringen!»

      Marianne und Lotti stiegen rasch wieder zu ihrem Fenster hinein und schlüpften unter die Decke. Sie schwatzten noch ein Weilchen; aber bald fielen ihnen die Augen zu, und sie schliefen fest und gut die ganze Nacht hindurch.

      Pfahlbauergeschichten

      Die Familie Turnach war nun schon drei Wochen in der Seeweid, und wie Mama vorausgesagt hatte: neben dem Schönen und Lustigen war hin und wieder auch etwas Unangenehmes und Langweiliges gekommen. Einmal hatte Marianne zwei Nächte hindurch Zahnweh gehabt; Hans hatte wegen Husten und Halsweh ein paar Tage im Zimmer bleiben müssen. Lotti war gesund gewesen; aber ihr waren die Strickstunden, zu denen sie sich etwa an Regentagen mit Marianne hinsetzen mußte, immer eine große Betrübnis. Auch war es schrecklich, wenn man Aufgaben hatte und draußen die Sonne durch die Bäume schien und die Wellen plätscherten. Marianne und Lotti bekamen noch nicht viel auf; aber Hans, der schon zehn Jahre alt war, hatte allerlei zu schreiben und zu lernen. Manchmal wollte so ein Gedicht gar nicht in den Kopf hinein. Immer mußte Hans wieder von vorn anfangen:

      «Es ritt ein Herr, das war sein Recht;

      Zu Fuße hieß er gehn den Knecht –

      – – – – – den Knecht . . .»

      Vom Garten her hörte man Marianne und Lotti lachen; sie liefen über die niedrige Mauer und machten in der Ecke, wo der Efeu eine ganze Laube bildete, eine Puppenwohnung.

      «Marianne, du hast deine Rechnung auch noch nicht gemacht!» rief Hans hinüber.

      «Ich muß sie erst auf übermorgen machen!» sagte Marianne und wiegte sich behaglich in ihrem Efeubusch.

      Hans seufzte und begann noch einmal, indem er sich beide Ohren zuhielt:

      «Es ritt ein Herr, das war sein Recht;

      Zu Fuße hieß er gehn den Knecht.

      Er reitet über Stock und Stein,

      Daß kaum der Knecht kam hintendrein . . .»

      Es kostete wirklich eine Anstrengung, tapfer bei dem langweiligen Gedicht zu bleiben, wo draußen alles so sonnig und lustig war . . .

      Aber heute, als Hans erwachte, gab es keine Plage und keine Aufgabe. Es war Sonntag, früher, schöner Sonntagmorgen. Hans stand schnell auf und machte sich fertig. Doch als er herunterkam, war er gar nicht der erste: Papa war schon am See und löste eben das kleine Ruderschiff los, das frisch weiß, blau und rot angestrichen am Landungssteg lag. Marianne und Lotti in ihren hellen Sonntagskleidern saßen auf der Schiffsbank, Es war immer ein Hauptvergnügen, wenn Papa, der so selten Zeit hatte, die Kinder einmal ruderte.

      Hans sprang hinter Papa ins Schiff und ergriff die Sitzruder, um sie einzuhängen.

      «Ich kann eigentlich auch stehrudern», sagte er.

      «Nein, nein, Papa, lieber du! bei dir geht’s so ruhig und schnell!» riefen die Mädchen. «Hans, der tut mit jedem Ruderschlag so einen Ruck –»

      «Aber ich kann’s doch wenigstens», gab Hans zurück, «während Lotti nicht einmal sitzrudern kann. Bei der geht’s immer im Kreis herum – so –!» Er tat mit dem Ruder ein paar ungeschickte Schläge.

      «Das wäre nun hübsch, wenn ihr an dem prächtigen Sonntagmorgen miteinander streiten wolltet!» sagte Papa. «Wenn Lotti noch nicht gut rudert, so kann sie dafür singen. Fangt einmal an, ein schönes Lied!»

      Lotti sah auf Marianne. «Wollen wir das traurige, weißt du, das uns Ulrich gelehrt hat:

      ,Zu Straßburg auf der Schanz,

      Da ging mein Trauern an . . .‘»

      «Nein, wart», sagte Marianne. «Zuerst: ,Lobt froh‘ – das paßt für den Sonntagmorgen.»

      «Lobt froh den Herrn,

      Ihr


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