Wild soul. Alexia Meyer-Kahlen

Wild soul - Alexia Meyer-Kahlen


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hatte sie erst mal keine Lust auf gar nichts mehr. Und ich habe versucht, einen neuen Weg mit ihr zu finden, habe mir immer wieder Videos von den Großen der Freiheitsdressur angeschaut, viel gelesen. Das Wichtigste war aber, dass ich Zeit mit Alli verbracht habe. Viel Zeit. Die Halle und der Reitplatz waren für sie erst mal vergiftet, das war mir klar. Also bin ich anfangs stundenlang mit ihr spazieren gegangen, habe im Wald kleine Übungen mit ihr um Bäume herum gemacht und so. Und ich hab mir ein Bein abgefreut, wenn von ihr mal ein Feedback kam. Wenn sie mitgemacht hat. Langsam bin ich dahintergekommen, dass für sie das Wichtigste ist, dass sie bei mir entspannen kann. Ich habe mit ihr dann viel auf Gras gearbeitet, und bei mir, also in unserer Zweierherde, durfte sie immer fressen, gucken, wiehern, einfach machen, was sie will. Ab da, wo sie anfing, die Entspannung bei mir zu suchen, war es, als hätten wir eine Schallmauer durchbrochen. Alli wurde von Tag zu Tag motivierter, und wir konnten anfangen, Sachen zu erarbeiten. Und bis heute ist sie meistens mit viel Freude bei der Sache.“

      Joe schwieg einen Moment. Dann meinte er: „Danke für deine Offenheit, Sam. Eure Geschichte hat mich echt bewegt, und ich bin sicher, viele Leser sehen das genauso. Hey, wenn du Lust hast, auch mal woanders was mit deinem Pferdchen zu zeigen, sag einfach Bescheid. Ein Kumpel von mir bucht die Shows für so einen Western-Themenpark unten in Bayern. Da könnt ihr bestimmt mal was machen.“

      „Cool. Echt?“, strahlte Sam über beide Ohren. „Klar hab ich da total Lust drauf. Ich gebe dir mal meine Nummer und dann kann er mich ja kontakten wegen Terminen.“

      „Ja, super“, grinste Joe. „Ich sag gleich dazu: Damit wird man nicht reich. Aber darauf kommt es dir wahrscheinlich auch nicht an.“

      Sam schüttelte lachend den Kopf.

      „Nee. Ich würde sogar ’ne Show machen, wenn ich draufzahlen müsste.“

      Sam fand Kati vor Allis Paddockbox. „Und?“, grinste die Freundin sie spöttisch an. „Kommste auf’s Cover?“

      Sam setzte ein zerknirschtes Gesicht auf. „Sorry, Kati, ich wollte nicht blöd zu dir sein. Aber das war eben ’ne Riesenchance. Der Typ wird über Allis Geschichte schreiben. Und er kann mir Shows mit Alli in irgend so einer Westernstadt vermitteln, ist das nicht mega?“

      Kati blickte sie ernst an. „Als deine und Allis allerbeste Freundin muss ich dir jetzt mal den Kopf waschen. Ihr habt gerade eure erste richtige Show gemacht und es war superschön. Anstatt sich blöd zu freuen und erst mal zu relaxen, planst du gleich wieder das nächste Event. Gib Alli Zeit. Warum machst du so einen Stress? Ihr werdet schon noch berühmt.“

      „Ich weiß auch nicht“, antwortete Sam. „Ich hab einfach das Gefühl, dass ich echt was dazu beitragen kann, dass Pferde besser verstanden und behandelt werden. Und ich will den Leuten an unserem Beispiel mit Alli auch zeigen, wie wichtig es ist, an seine Träume zu glauben, gerade auch mit Pferden, bei denen es viele Probleme gibt. Wenn man Ausdauer, Geduld und ein Ziel hat, geht echt so viel.“ Sie grinste. „Aber ein bisschen bekannt will ich dabei schon auch werden.“

      Kati knuffte sie. „Ich pass schon auf, dass du nicht aus dem Ruder läufst.“

      Nach ihrem zweiten Platz beim Cavallo Cup und dem Artikel über sie und Alegría in der Alternative Horsemanship, der kurz darauf erschien, war Sam plötzlich am Stall in ihrem Heimatkaff so etwas wie eine kleine Berühmtheit.

      „Ich kann nicht glauben, dass selbst die arrogantesten Zicken, die immer darüber hergezogen haben, was wir mit Alli veranstalten, mich jetzt auf einmal grüßen“, lachte Sam.

      „Die, die uns immer zu laut fanden und zu crazy, meinst du?“, gab Kati breit grinsend zurück. Die Freundin war total stolz auf Sam und Alli. „Ich weiß noch, wie die das immer voll ‚gefährlich‘ fanden, wenn wir komische Sachen aufgebaut haben und Alli da nur mit Halsring rumgesprungen ist.“ Sie schüttelte den Kopf. „Jetzt sehen alle, dass da ein Plan hinter war. Meistens jedenfalls“, setzte sie giggelnd hinzu.

      „Weißt du, was das Beste ist?“, warf Sam ein. „Ich soll übernächstes Wochenende hier bei uns in der Halle eine Freiheitsdressur mit Alli zeigen! Die Stallbesitzerin hat mich gefragt.“

      „Am Tag der offenen Tür?“, rief Kati aus. „Und? Machst du’s?“

      „Klar“, gab Sam zurück. „Die Gesichter von denen, die immer noch nicht kapiert haben, wie es mit Pferden auch ganz anders gehen kann, lassen wir uns auf keinen Fall entgehen!“

      Nachdem die Freundinnen ausführlich debattiert hatten, welche neuen Elemente sie in die Show einbauen wollten, entschieden sie sich schließlich dafür, den Ablauf vom Cavallo Cup in Grundzügen zu übernehmen, aber noch eine Nummer mit einem großen Flattertuch einzubauen, das Kati halten sollte, während Sam auf Alli um sie herum galoppierte. Außerdem wollte Sam unbedingt noch das rückwärts sitzende Galoppieren in die Nummer mit dem Auf- und Abspringen einbauen.

      „Sam. Fahr deine Ansprüche runter. Du musst niemandem etwas beweisen, am wenigsten irgendwelchen Leuten im Stall“, meinte Bea Gerst, als sie von den hochfliegenden Plänen ihrer Tochter hörte.

      „Quatsch, Mama, das hat nichts mit Ansprüchen zu tun. Ich will den Leuten einfach zeigen, was alles möglich ist, wenn das Pferd einem vertraut.“

      „Aber musst du das denn alles in einer einzigen Show tun?“, seufzte ihre Mutter.

      Sam antwortete nicht. Sie spürte, dass sie nicht ganz ehrlich gewesen war. Jetzt, wo sie das Gefühl hatte, einen Ruf in der Freiheitsdressur verlieren zu können, spürte sie einen feinen Druck: Sie wollte einfach mehr zeigen. Als sie am nächsten Tag mit Kati die Nummer mit dem Tuch einstudierte und es auch beim zehnten Mal einfach nicht so klappen wollte, wie Sam es sich vorgestellt hatte, meinte die Freundin: „Lassen wir es einfach weg. Wir haben doch genug Elemente in der Show.“

      „Ich will das aber drin haben“, beharrte Sam bockig. „Los, wir machen das jetzt noch mal. Ich trabe eng um dich herum, du reichst mir eine Ecke vom Tuch, und ich ziehe den Zirkel immer größer, während sich das Tuch entfaltet. Dann galoppiere ich an und es fliegt zwischen dir und mir. Ist doch voll cool.“

      Kati schüttelte verständnislos den Kopf. „Du musst es wissen …“

      Sam trabte Alli an. Doch aus irgendeinem Grund weigerte sich die Stute plötzlich, in engen Wendungen um Kati zu gehen.

      „Das gibt’s doch nicht“, murmelte Sam und sprang von ihrem Rücken ab. Sie versuchte vom Boden aus, Alli zum Trab in engen Kreisen zu animieren, aber es schien fast so, als habe die Spanierin Angst, ihr Gleichgewicht zu verlieren.

      „Was ist denn mit dir los?“, rief Sam ungeduldig. „Ich hole jetzt den Kappzaum und dann üben wir das noch mal.“

      „Nichts holst du!“, unterbrach Kati sie plötzlich energisch. „Was ist mit dir los, Sam?“ Sie schien richtig wütend. „Du gehst gerade gegen alles, an was wir glauben! Erinnerst du dich? Kleine Schritte, das Pferd nie überfordern, Grenzen akzeptieren. Alli will nicht, das zeigt sie dir gerade ganz deutlich. Und sie will nicht, weil sie nicht kann. Das würdest du auch sehen, wenn du aufs Pferd schauen würdest. Anstatt auf dich und das, was du mit aller Gewalt durchsetzen willst. Du bist gerade keinen Deut besser als all die Leute, die du so dringend belehren willst!“

      Mit diesen Worten drehte Kati sich um und stapfte davon.

      Sam blieb allein in der Halle zurück, während die Worte der Freundin in ihr widerklangen. Es war das erste Mal in ihrer langen Freundschaft, dass sie Kati so wütend gesehen hatte.

      Sie schämte sich plötzlich. Was war nur in sie gefahren? Sie wandte sich Alli zu, die mit gesenktem Kopf neben ihr stand.

      „Hey. Sorry.“

      Doch die kleine Spanierin hob nicht den Kopf, wie sie es sonst immer tat, wenn Sam sie ansprach.

      Plötzlich durchfuhr Sam ein heißer Schreck. Kati hatte recht, irgendetwas stimmte nicht mit Alli. Sie hatte gerade dieselbe Ausstrahlung wie damals als Schulpferd. Irgendwie total abgeschnitten und leblos.

      Als sie ihre Stute betrachtete,


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