Pferdesommer mit Lara. Ursula Isbel-Dotzler
Ursula Isbel-Dotzler
Pferdesommer mit Lara
Saga Egmont
Pferdesommer mit Lara
Copyright © 2008, 2018 Ursula Isbel-Dotzler und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711897058
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
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SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com
1
Ich dachte, es würde ein total langweiliger Sommer werden.
Doch immerhin konnte er nicht schlimmer sein als die beiden letzten. Damit versuchte ich, mich zu trösten. Langweilig war auch nicht das richtige Wort. Eigentlich waren die Ferienwochen zum Heulen gewesen, jeder einzelne Tag.
In diesem Jahr sollte es anders werden; ich wusste es nur noch nicht. Die Zeichen standen anfangs nicht gerade günstig. Ich glaube an Zeichen, nur täusche ich mich häufig damit. Wenn ich denke, dass sie etwas Gutes bedeuten, kann es passieren, dass genau das Gegenteil eintrifft, oder umgekehrt.
Als ich von dem Gerücht erfuhr, dass Eulenbrook verkauft worden war, bekam ich fast die Krise. Meine Eltern unterhielten sich eines Abends beim Essen darüber, kurz vor Ferienbeginn. Es war an einem Samstag, daran erinnere ich mich noch.
»Angeblich hat das alte Gemäuer jetzt einen Käufer gefunden«, sagte mein Vater und wischte sich den Bierschaum von der Oberlippe. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand verrückt genug ist, für so eine Ruine Geld hinzublättern.«
»Es ist völlig unbewohnbar«, stimmte meine Mutter zu. »Ein derart vergammeltes Haus instand zu setzen, das dreißig Jahre leer gestanden hat, ist sicher teurer, als gleich ein neues zu bauen.«
»Aber das Grundstück ist schön und sehr groß, bestimmt an die achttausend Quadratmeter, schätze ich.«
»Und was sollen das für Leute sein, die Eulenbrook gekauft haben?«
»Keine Ahnung. Vielleicht ist’s ja auch nur ein Gerücht.«
Ich dachte an Eulenbrook, an seine geheimnisvollen, säuerlich riechenden Räume, die zerbrochenen Fensterscheiben, die dicken Mauern aus Naturstein und an den Holzbalkon, den man längst nicht mehr betreten konnte, weil die Bretter morsch und verfault waren.
Ronja und ich hatten viele Stunden dort verbracht, besonders im »Grünen Zimmer«, wie wir es nannten, ein Raum, in dem es noch ein paar von Mäusen zerfressene Polstersessel und einen Kronleuchter gab, dessen restliche Glasperlen im Wind klimperten. Im offenen Kamin hatten wir ab und zu Feuer gemacht. Einmal war Ronja auf der Treppe zum Dachboden eingebrochen und mit dem Fuß zwischen den geborstenen Holzstufen stecken geblieben.
»Wenn sie Geld haben, könnten sie schon etwas aus dem Anwesen machen«, hörte ich meinen Vater sagen. »Es war früher ein schönes Haus, ein Gutshof, und eigentlich fand ich es immer schade, dass es so verfallen ist.«
Meine Mutter nickte. »Frau Rohrbach hat mir mal ein altes Foto gezeigt, wie es vor fünfzig Jahren ausgesehen hat. Fast wie ein Schloss. Im Garten gab’s einen Teich mit Schwänen und einem Springbrunnen.«
Ich kannte den Teich. Inzwischen war er fast zugewachsen. Wenn es viel geregnet hatte, füllte sich das Sandsteinbecken mit Wasser. Schwäne hatten wir nie gesehen, aber Frösche und Molche.
Ronja und ich hatten manchmal im Sommer nackt darin gebadet. Irgendwie war uns immer etwas unheimlich dabei gewesen, aber das machte es gerade besonders reizvoll.
Eulenbrook hatte Ronja und mir gehört. Jetzt ging ich oft allein dorthin. Es kam mir vor, als wäre sie noch immer in den verlassenen Mauern – viel eher als in ihrem Grab auf dem Friedhof, das ich kaum jemals besuchte.
Die Vorstellung, dass fremde Menschen das Haus und den Garten in Besitz nehmen und verändern würden, dass ich Eulenbrook dann vielleicht nie mehr betreten konnte, war wie ein Schlag in die Magengrube.
»Hast du keinen Hunger, Rikke?«, fragte meine Mutter.
Ich schüttelte den Kopf und schob meinen Teller zur Seite.
»Vielleicht magst du ja wenigstens etwas zum Nachtisch? Es gibt heiße Himbeeren mit Vanilleeis.«
Seit das mit Ronja passiert war, behandelte mich Mama übertrieben rücksichtsvoll. Sie versuchte, mir jeden Wunsch zu erfüllen, als wollte sie mich für etwas entschädigen. Aber es gab keinen Ersatz für Ronja.
»Danke, ich bin satt.«
Mein Vater sagte zum hundertsten Mal, ich wäre schrecklich dünn. Ich wusste, dass sie sich Sorgen machten, ich könnte magersüchtig werden, also würgte ich ihnen zuliebe die Himbeeren mit Eis hinunter. Hinterher war mir fast übel.
Ich musste dauernd an Eulenbrook denken. Eine düstere Wolke senkte sich über mich und hüllte mich ein. Die Zeichen standen schlecht. Alles deutete darauf hin, dass ich jetzt auch noch Eulenbrook verlieren würde.
2
Ein paar Tage später, an einem Dienstag, zog es mich wieder hin. Irgendwie glaubte ich, Eulenbrook müsste sich verändert haben, aber alles war wie immer: die Freitreppe aus Stein mit den beiden Säulen, die das dreieckige Vordach trugen, umgeben von Brombeersträuchern; die leeren Fensterhöhlen, das Rotkehlchen, das in einer Mauernische nistete, und das Wasserbecken zwischen Heckenrosen, Brennnesselfeldern und Farnkrautwedeln.
Ein Entenpärchen hatte den alten Teich entdeckt und sich in den Frieden des verwunschenen Gartens zurückgezogen. Ja, alles wirkte verwunschen wie das Dornröschenschloss im Märchen, so als wären Haus und Garten in hundertjährigen Schlaf versunken.
Rosenranken verhakten sich in meinem T-Shirt, und eine riesige Libelle düste mit zornigem Rascheln über mich hinweg, als ich mir meinen Weg durch das Gestrüpp bahnte. Die Brombeerzweige schlangen sich wie Fallstricke um meine Füße, Frösche quakten im Verborgenen. Irgendwo in den knorrigen Obstbäumen, die von Efeu und Geißblatt überwuchert waren, sangen Drosseln. Es roch nach fauligem Wasser und dem Vanillearoma des Geißblatts.
Eulenbrook war unverändert. Das Haus strömte noch immer seinen eigenen, unverwechselbaren Geruch aus. »Gruftig«, hatte Ronja ihn genannt. Es war, als hätte es einen kalten, modrigen Atem. Überhaupt hatte Ronja immer behauptet, es wäre lebendig, weil der Geist der früheren Bewohner noch in den Mauern sei.
Unter dem schwarzgrünen Nadeldach einer Eibe verborgen, stand der Gnom aus Sandstein auf einem Podest, das fratzenhafte Gesicht mit grauen Flechten überzogen, eine steinerne Mütze auf dem Kopf. Wie immer grinste er mich mit seinem verzerrten Lächeln an, doch etwas war anders als sonst: Der Zwerg trug ein Halstuch aus einem rot-weiß gestreiften Band unter dem Kinn verknotet.
Ich blieb stehen und starrte ihn an, als wäre er plötzlich zum Leben erwacht. Mein Herz klopfte wild. Jäh beschlich mich das Gefühl, dass sich jemand im Dickicht versteckt hatte und mich beobachtete, jemand, der den Atem anhielt und auf der Lauer lag wie eine Katze, die heimlich einem Vogel nachstellt.
Schon wollte ich losrennen, zurück zum Durchschlupf in der Mauer und hinaus auf die Straße. In diesem Augenblick hörte ich ein Geräusch.
Es war das Brummen eines Motors. Ein Wagen fuhr aufs Haus zu. Unwillkürlich duckte ich mich, obwohl das Gebüsch so dicht und hoch war, dass mich von der Auffahrt her keiner sehen konnte.
Die Reifen rollten fast lautlos über den Weg, der