Begierde - 12 erotische Novellen. Malva B.
wir die Pyrenäen und die spanisch-französische Grenze. Nach dem Mittagessen und der Pinkelpause kommen wir endlich in der sechshundert Jahre alten französischen Stadt am Mittelmeer an, in der knapp zwanzigtausend Menschen wohnen. Eine Bevölkerung, die sich in den Sommermonaten vervielfacht. Allein in dem Nudistendorf direkt vor den Toren von Cap d’Agde, wohin wir unterwegs sind, wächst die Bevölkerung auf vierzigtausend.
Wir fahren zu einem hohen, hellblauen Metalltor. In dem runden Gebäude dahinter drückt jemand auf einen Knopf. Die Farbe blättert vom Tor ab, das sich unter lautem Quietschen langsam öffnet. José parkt das Auto und steigt aus.
„Kommt, wir müssen uns registrieren“, sagt er und nimmt Dianas Hand.
Jonathan und ich trotten ein paar Meter hinter ihnen drein. Als ob wir unbewusst versuchen, nicht auf den Filmen der Überwachungskameras zu landen. Dann schubst uns ein uniformierter Mann brüsk in einen Raum, der an einen überdimensionierten Wartesaal oder eine Liftstation in den Alpen erinnert.
„Alle Besucher müssen sich registrieren“, erklärt José und teilt weiße Formulare aus, die wie ein amerikanischer Visumsantrag aussehen.
Wir stellen uns an einen pultartigen Tresen, der an der Wand befestigt ist, und füllen unsere Personalien aus. Nachdem wir die Parkgebühr bezahlt haben, bekommen wir einen Passierschein für die Anzahl der Tage, die wir bleiben möchten. Dann fahren wir in ein Paralleluniversum.
„Oh my God“, sage ich und drücke die Nase ans Autofenster. Wir fahren langsam zwischen den Dorfbewohnern entlang: Große und Kleine. Dicke und Dünne. Alte und Junge. Sie sind überall: am Strand, am Pool, auf den Straßen, auf dem Weg in Läden und auf dem Weg hinaus. Vierzigtausend Menschen auf einer kleinen Oberfläche sind ziemlich viele Menschen. Besonders, wenn sie alle nackt sind. Selbst bei den Straßenschildern sind Verbotsschilder für bekleidete Menschen.
„Kannst du aufhören, dich zu benehmen, als wären wir im Tierpark?“, zischt Jonathan.
„Faszinierend, nicht?“, grinst José. „Nur schade, dass wir keine eigene Wohnung mieten konnten. Ihr habt euch zu spät entschieden. Da war schon alles ausgebucht. Nun müssen wir mit Europas schlampigstem Hotel Vorlieb nehmen.“
José übertreibt nicht. Trotz des Preises hat das Hotel seine besten Tage hinter sich. Anscheinend war es eins der ersten Hotels, die in den Siebzigern gebaut wurden, als das Nudistendorf gegründet wurde. Es scheint seitdem nicht renoviert worden zu sein. Wie überall in Frankreich sind die Zimmer klein. Jonathan, der in einer palastartigen Villa im Saltsjöbad aufwachsen ist, bekommt seine Klaustrophobie zu spüren und stöhnt.
„Don’t be mad, man“, sagt José und klopft Jonathan auf die Schultern. „Wenn ich dir erzählt hätte, wo wir wohnen werden, wärst du doch nie mitgekommen, oder? Aber mach dir keine Sorgen, in Cap d’Agde verbringt man kaum Zeit im Hotelzimmer. Wir holen euch in zwanzig Minuten, okay?“
Grummelnd packt Jonathan aus und legt seine frisch gebügelten Kleider in ordentlichen Haufen auf den synthetischen, kackbraunen Bettüberwurf. Ich öffne das Fenster am einen Ende des Zimmers und die Balkontür am anderen, in einem verzweifelten Versuch, einen Luftzug herzustellen und die abgestandene Mischung aus verwurzeltem Dreck, Rauch und billigem Parfüm loszuwerden. Jonathan reicht mir den Föhn.
„Au!“, schreien wir beide gleichzeitig, als sich unsere Hände berühren und wir beide einen Schlag bekommen.
Der Föhn landet auf dem einen Quadratmeter des Hotelbodens, auf dem kein Teppich mit Blumenmuster liegt. Seine Plastikhülle zerspringt. Das Geräusch klingelt in den Ohren.
„Wo sind wir hier verdammt noch mal gelandet, Julia?“, seufzt Jonathan. Wir sinken beide auf die Bettkante. Es ist so weich, dass wir beinah zu Boden fallen.
„Ich kriege den Hexenschuss zuerst!“, versuche ich zu scherzen, aber eigentlich will ich weinen.
Monatelang aufgestaute Vorfreude. Die Anspannung der langen Reise. Und nun das!
Plötzlich steht José in der Tür. Er tritt über die Schwelle und kommt auf seine etwas wacklige, halbnervöse Art auf uns zu. Sein Schwanz wippt im Takt. An unserem Bett bleibt er stehen und kratzt sich am Sack.
Warum kann er nicht klopfen?, denke ich. Und warum kratzt er sich ständig am Sack?
José zeigt auf die Kleider auf dem Bett. „Ihr wisst schon, dass ihr die nicht braucht, ne? Habt ihr vergessen, dass wir auf einer Nudisteninsel sind? Jetzt kommt schon. Wir warten am Pool auf euch.“
Jonathan und ich gucken einander an und lachen los. „An experience of a lifetime ist es wirklich“, sagt Jonathan und steht auf. „Du weißt, dass ich dich mehr liebe als alles andere auf der Welt, nicht?“, fährt er fort und nimmt mein Gesicht in seine Hände. „Ich meine, falls ich dieses Abenteuer hier nicht überlebe.“
„Natürlich überleben wir. Jetzt geht der Spaß ja erst los“, antworte ich und gebe ihm ein Küsschen auf die Nase.
Jonathan und ich gehen vorsichtig die Treppe runter, ein Badehandtuch um die Hüften.
„Bonne journée“, wünscht der Rezeptionist, der erste bekleidete Mensch, den wir seit der unfreundlichen Security gesehen haben. Diana sitzt am Beckenrand und planscht mit den Füßen. Ich sehe erleichtert, dass sie ihr Bikinihöschen noch anhat. Ich setze mich neben sie und mache dasselbe.
„Warst du auch schon mal hier?“, frage ich. „Nein, ich kenne José erst seit vier Monaten.“
Jonathan legt sich auf eine Sonnenliege neben José und versteckt seinen Schwanz hinter einem Handtuchzipfel. Er versucht es natürlich und nonchalant aussehen zu lassen, aber José lacht los.
„Und ich dachte immer, Schweden wären so freizügig“, prustet er. „Prost!“
Etwa drei Piña Coladas später merkt niemand mehr, dass Jonathan und ich zum ersten Mal auf dieser Seite von Saint Tropez sind. Das Handtuch gleitet hinab, als wir einen Spaziergang am Strand machen. Wir gehen die Straße entlang – splitterfasernackt. José diskutiert lebhaft mit seinem Chef am Telefon. Wie immer. Unter dem Arm trägt er seinen Laptop. Wenn José nicht am Ficken ist, ist er am Arbeiten. Immer.
„Am Strand gibt es drei unsichtbare Grenzen“, erklärt José. „Wir gehen ganz nach hinten. Da sind die Swinger zugange.“
Wir verstehen, was er meint, als wir an den typischen französischen, spanischen und sogar schwedischen Familien im Adamskostüm vorbeikommen. Mama, Papa und Kind genießen das Nacktbaden. Auch der Hund darf bei einigen mit.
Nachdem wir ein paar Hundert Meter gegangen sind, kommen wir zum homosexuellen Gebiet. Schöne Männer posieren in der Gischt und bewundern die feinen Muskeln der anderen. Das Salzwasser spritzt und färbt ihre haarlosen Körper in der Sonne weiß. Es riecht nach Marmor und griechischen Göttern.
„Können wir zwei nicht hier bleiben?“, frage ich Diana und zwinkere ihr vertraut zu.
Diana sieht mich verständnislos an. „Sie ist nicht nur dumm, sondern auch total spaßbefreit“, flüstere ich Jonathan zu.
„Aber sie ist jung und schön“, tröstet mich Jonathan. „Wir sind ja nicht hier, um mit ihr zu reden.“
„Wir hätten Proviant mitnehmen sollen“, sage ich. „Meine Güte, ist das weit.“
„Es ist doch ganz schön, sich nach der langen Autofahrt mal zu bewegen. Aber mein Rücken brennt schon ein bisschen“, antwortet Jonathan.
„Sobald wir ein Plätzchen gefunden haben, schmiere ich ihn dir ein.“
„Was geht denn hier ab?“, rufe ich, als wir uns endlich am richtigen Ende vom Strand unter einem Sonnenschirm eingerichtet haben.
Ich bekomme Sand in die Augen, als etwa zwanzig moppelige nackte Männer vorbeilaufen. Sie jagen einen weiteren nackten Mann mit einer erbsengrünen Flagge und blasen in eine Trillerpfeife. Plötzlich bleibt der erste Mann vor einer Sanddüne schräg vor uns stehen.
„Kommt