Frankenstein. Mary Shelley

Frankenstein - Mary Shelley


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hast du richtig vermutet. In letzter Zeit habe ich mich mit einer Arbeit sehr abgeplagt und mir nicht genügend Ruhe gegönnt. Ich hoffe aber – und ich hoffe es aufrichtig –, daß diese Tätigkeit nun beendet ist und ich endlich frei bin.«

      Ich zitterte am ganzen Leib. Ich scheute zurück, an die Ereignisse der vergangenen Nacht zu denken, und noch viel weniger durfte ich darauf anspielen. Ich schritt schnell aus, und bald erreichten wir mein Kolleghaus. Ich grübelte unaufhörlich, und wahre Schauer durchfuhren mich bei dem Gedanken, daß die Kreatur, die ich in meiner Wohnung zurückgelassen hatte, dort noch in voller Lebensgröße herumspaziere. Ich fürchtete mich, dieses Ungeheuer zu sehen; aber noch viel mehr fürchtete ich, daß Henry es sehen würde. Ich bat ihn deshalb, einige Minuten unten an der Treppe zu warten. Ich hetzte zu meinem Zimmer hinauf. Meine Hand lag schon auf der Türklinke, da überrieselte es mich kalt. Ich hielt ein undsammelte meine Kräfte. Dann stieß ich die Tür mit Wucht auf, wie es Kinder zu tun pflegen, wenn sie ein Gespenst auf der anderen Seite vermuten. Nichts rührte sich. Ich schritt furchtsam hinein: die Wohnung war leer. Mein Schlafzimmer beherbergte ebenfalls keinen häßlichen Gast. Ich konnte es kaum fassen, daß mir ein solcher Glücksfall beschieden war. Als ich mich vergewissert hatte, daß mein Feind wirklich entflohen war, klatschte ich vor Freude in die Hände und rannte zu Clerval hinab. Wir stiegen zusammen zu meiner Wohnung hinauf, und der Diener servierte alsbald das Frühstück. Aber ich vermochte mich einfach nicht zu beherrschen. Nicht nur die Freude hatte mich überwältigt, sondern ich fühlte, wie mein Körper infolge eines Übermaßes an Reizbarkeit bebte und mein Puls fiebrig klopfte. Ich hielt es auch nicht einen Augenblick lang auf demselben Platz aus. Ich sprang über die Stühle, klatschte in die Hände und lachte schallend. Clerval schrieb meine ungewöhnliche Stimmung anfangs der Freude über seine Ankunft zu; als er mich aufmerksamer betrachtete, bemerkte er eine Wildheit in meinen Augen, die er sich nicht erklären konnte. Mein lautes, unbeherrschtes und herzloses Gelächter versetzte ihn allmählich in Erstaunen und Schrecken.

      »Mein lieber Viktor«, rief er, »was ist um Gottes willen in dich gefahren? Lache nicht auf diese Weise! Du mußt krank sein! Was ist denn daran schuld?«

      »Frage mich nicht«, rief ich und bedeckte meine Augen mit den Händen, denn es war mir, als sähe ich das fürchterliche Gespenst in das Zimmer hereingleiten; »er allein kann dir darüber berichten! Ach, rette mich, rette mich!« Ich bildete mir nämlich ein, der Unhold ergriffe mich; ich schlug wild um mich und stürzte in einem Anfall nieder.

      Armer Clerval! Was mag er empfunden haben? Ein Wiedersehen, das er mit solcher Freude erwartet hatte, verwandelte sich derart seltsam in Bitterkeit. Allerdings war ich kein Zeuge seines Schmerzes, denn mich umfing eine Ohnmacht, und lange, lange Zeit kam ich nicht mehr zu mir.

      Dies war der Anfang eines nervösen Fiebers, das mich für mehrere Monate niederwarf. Die ganze Zeit über war Henry mein einziger Pfleger. Später erfuhr ich, daß er meinen Angehörigen das Ausmaß meines Leidens verheimlichte, um ihnen Kummer zu ersparen. Er handelte so mit Rücksicht auf das vorgeschrittene Alter meines Vaters und dessen Untauglichkeit für eine weite Reise, und auf Elisabeth, die meine Krankheit sehr unglücklich gemacht hätte. Die Hoffnung auf meine Genesung bestärkte seine Überzeugung, daß er ihnen dadurch nicht schade, sondern den besten Dienst erweise. Niemand wäre mir ein freundlicherer und aufmerksamerer Pfleger gewesen, als er es war.

      Aber in Wirklichkeit war ich sehr krank. Gewiß hätte mich nichts außer der grenzenlosen und nimmermüden Hingabe meines Freundes dem Leben zurückgegeben. Die Gestalt des Unholds, dem ich Leben verliehen hatte, stand immer vor meinen Augen, und meine Phantasien drehten sich ununterbrochen um ihn. Zweifellos war Henry über mein Gerede erstaunt. Er glaubte zuerst an irre Auswüchse meines verstörten Geistes; doch die Hartnäckigkeit, mit der ich immer wieder zu demselben Gegenstand zurückkehrte, überzeugte ihn, daß meine Krankheit ihren Ursprung in einem ungewöhnlichen und schrecklichen Ereignis habe.

      Nur allmählich und unter häufigen Rückfällen, die meinen Freund beunruhigten und schmerzten, erholte ich mich. Ich erinnere mich daran, wie ich zum erstenmal wieder fähig war, äußere Gegenstände mit einer Art Freude wahrzunehmen. Ich sah, daß die abgefallenen Blätter verschwunden waren, und daß an den Bäumen, die mein Fenster beschatteten, die jungen Knospen hervorsprossen. Es war ein unvergleichlicher Frühling; die Jahreszeit trug viel zu meiner Genesung bei. Empfindungen der Freude und der Zuneigung lebten in meinem Inneren auf. Meine düstere Stimmung verflog, und binnen kurzer Frist war ich wieder so vergnügt wie vormals, als mich noch nicht jene unglückselige Leidenschaft erfaßt hatte.

      »Liebster Clerval«, rief ich, »wie freundlich, wie gut du zu mir bist! Den ganzen Winter hast du in meinem Krankenzimmer zugebracht, statt dich deinem Studium zu widmen, wie du es dir einst gelobtest. Wie soll ich dir das jemals vergelten? Mich plagen die größten Gewissensbisse, daß ich dich so enttäuschte; aber du wirst mir vergeben.«

      »Du entschädigst mich, wenn du dich nicht mehr aufregst und so schnell wie möglich ganz gesund wirst. Du scheinst guter Stimmung zu sein, also kann ich über ein bestimmtes Thema mit dir reden, nicht wahr?«

      Ich zitterte. Ein bestimmtes Thema! Was konnte das sein? Sollte er gar auf etwas anspielen, woran ich nicht einmal zu denken wagte?

      »Beruhige dich«, sagte Clerval, der den Wechsel meiner Farbe bemerkte, »ich will nichts erwähnen, wenn es dich aufregt. Dein Vater und deine Kusine würden sehr glücklich sein, wenn sie einen von dir selbst geschriebenen Brief erhielten. Sie ahnen kaum, wie krank du gewesen bist, aber sie sind besorgt über dein langes Schweigen.«

      »Ist das alles, mein lieber Henry? Wie kannst du nur glauben, meine ersten Gedanken flögen nicht zu meinen teuren Freunden, die ich liebe und die sich um meine Liebe so verdient gemacht haben!«

      »Wenn das deine gegenwärtige Gemütsverfassung ist, lieber Viktor, dann erfreut dich vielleicht ein Brief, der seit einigen Tagen auf dich wartet; ich glaube, er kommt von deiner Kusine.«

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