Heißes Geld. Will Berthold

Heißes Geld - Will Berthold


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zugezogen.

      Die Gefangenen wurden nur noch von ihrem Selbsterhaltungstrieb beherrscht; es kam zu fürchterlichen Szenen. Um ihr Leben zu retten, hatten sich einige Häftlinge reiche US-Verwandte zugelegt, die es gar nicht gab. Andere wiederum, die ihre Freikaufchance nicht erkannten, spielten das elterliche Vermögen herunter, um es unangetastet zu lassen. Auch Joseph und ich machten in der ersten Haftzeit die Firma Greenstone viel kleiner, als sie war, weniger um Geld zu sparen Vater hätte zähneknirschend den Nazis für unsere Rettung sicher den letzten Cent gegeben –, sondern weil wir uns schämten, dem Schicksal der anderen nur durch das Geld unseres Vaters zu entgehen.

      Joseph dachte von Anfang an klarer, härter und logischer als ich. Er überzeugte mich, daß mit einer heldenhaften Geste niemandem gedient wäre, am wenigsten unseren Eltern, und so einigten wir uns mit Obersturmführer Dumbsky auf eine Kopfprämie von je 100000 Dollar. Wir schwebten Wochen, die uns wie Monate vorkamen, zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Schließlich wurden wir erneut zum Verhör abgeholt. Dumbsky erklärte uns, daß wir das Vermögen unserer New Yorker Firma falsch angegeben hätten und sich die Dewako deshalb nicht mehr an die Vereinbarung gebunden fühle. Er erhöhte die Freikaufsumme auf je 200000 Dollar und verlangte, daß wir unverzüglich in handschriftlichen Briefen unsere Eltern beschworen, das Geld auf schnellstem Weg aufzubringen und nach Genf zu transferieren. ›Andernfalls‹, sagte Dumbsky, müßte ich Sie zu meinem Bedauern nach Polen verschuben lassen. ‹ Er deutete es nicht an, aber sein Gesicht ließ erkennen, daß Polen für uns das Ende wäre: ›Und zwar heute noch‹, sagte er. › Welche Garantie hätten wir‹, fragte Joseph, ›daß Sie nicht noch einmal mehr Geld verlangen?‹

      ›Mein Wort‹, erwiderte Dumbsky.

      Joseph schwieg, und auch ich wußte keine Antwort.

      ›Ich weiß‹, setzte der Obersturmführer hinzu: ›Bei der Art Ihrer Geschäfte ist es wohl nicht üblich. ‹ Mit einem zynischen Lächeln stellte er fest: ›Aber bei uns gilt noch der Handschlag. ‹

      Wir zögerten, um nicht zu einer weiteren Neufestsetzung einzuladen. Da trat Hauptsturmführer Eckel in Aktion, ein grobschlächtiger Kerl mit niedriger Stirn, tückischen Augen, unter unseren Peinigern zuständig für unsagbar sadistische Quälereien, an denen er offensichtlich auch noch Freude hatte.

      Joseph und ich mußten zusehen, wie Eckel – Dumbsky im Hintergrund rührte keine Hand dabei – den Neffen eines internationalen Bankiers mit den Stiefeln buchstäblich tottrat. Wir erlebten, daß er Ehepaare auseinanderriß – nur um die Zahlungsfrist zu verkürzen oder das Lösegeld zu verdoppeln, ließ er den Mann in die Zelle zurückführen und die Frau nach Drancy zurückschaffen oder auch umgekehrt.

      Einmal zeigte uns Eckel am Morgen Häftlinge, die sich über Nacht an der Heizung erhängt hatten – dann gab er uns das Briefpapier.

      Nach drei Tagen schrieben wir, jeder für sich, den Text, der uns abverlangt wurde. Von da ab wurden wir in Ruhe gelassen, bis die äußerst knapp gesetzte Frist für das Eintreffen des Geldes abgelaufen war. Dann sagte Dumbsky, daß es sehr peinlich für uns werden könnte, wenn die Dollars jetzt nicht binnen dreier Tage da wären, und Eckel übersetzte in Klartext, daß wir in diesem Fall ›durch den Kamin gejagt‹ würden. Mitten in der Vernehmung begann er auf mich einzuschlagen, aber ein Zivilist namens Saumweber, ein wuchtiger Mann mit weizenblonden Haaren und blauen Augen, trat dazwischen. Ich fiel nicht darauf herein; offensichtlich waren es abgesprochene Rollen, echt waren wohl nur die sadistischen Einlagen Eckels und der unterkühlte Haß Dumbskys.

      Nach drei Tagen tat sich gar nichts. Weder war das Lösegeld eingetroffen, noch ließen sich unsere Peiniger sehen. Den Betrag hätte unser Vater jederzeit flüssig machen können, aber Postverbindung und Reiseverkehr waren im Krieg umständlich, und der Zwangsumweg über Genf kostete zusätzliche Zeit. Wir hofften, Dumbsky hätte sein Ultimatum vergessen – aber dann wurden wir plötzlich aus den Zellen gezerrt und in das Vernehmungszimmer gebracht, wo Eckel wieder seinen Part übernahm. Er war gerade dabei loszuschlagen, als ein hochgewachsener, sehr gut aussehender Mann erschien, der mit Sturmbannführer angesprochen wurde, obwohl er Zivil trug; er hieß Lindenbach, Lindsberg oder so ähnlich. Der Mann ließ sich fast nie sehen, aber seinem ganzen Auftreten nach erkannten wir auf den ersten Blick, daß es sich um den Chef der Dewako handeln mußte, die ihren der Repräsentation dienenden Hauptsitz auf den Champs-Élysées hatte.

      Alle drei sprangen auf, und Eckel machte als Dienstältester Meldung.

      Der Zivilist nickte lässig: ›Warum denn am frühen Morgen schon so aufgeregt, Hauptsturmführer?‹ fragte er und streifte uns mit einem Blick ohne jedes Interesse: ›Wer sind diese Leute?‹ fragte er.

      ›Abraham und Esau‹, erwiderte Eckel. ›Der Stolz des gelobten Landes.‹

      ›Und?‹

      ›Brüder‹, sagte Eckel giftig. ›Als ob nicht einer von denen schon genug wäre.‹

      ›Zahlungsverzug‹, schaltete sich Dumbsky ein. ›Im Interesse eines reibungslosen Geschäftsablaufs sollten wir natürlich diese Terminüberschreitungen nicht ins Uferlose …‹

      ›Dann erhebt einen Säumniszuschlag‹, erwiderte der Mann.

      ›Längst geschehen. ‹ Dumbsky lächelte schief: ›Und in durchaus angemessener Höhe.‹

      ›Na also‹, entgegnete der Besucher. ›Mit den Herren geht es wie mit dem Wein: der wird auch jeden Tag wertvoller.‹

      ›Wenn er nicht verdirbt‹, maulte Eckel. ›Ich muß mit Ihnen reden, Sturmbannführer. So geht’s nicht weiter …‹

      ›Apropos Wein‹, erwiderte der Chef. ›Ihr seid vielleicht schlechte Gastgeber geworden. ‹ Er ging voraus, öffnete die Tür zum nebenan liegenden Konferenzzimmer, auf dem Weg zum Getränkeschrank.

      Keiner kümmerte sich um uns. Wir blieben wie vergessen zurück. Wir konnten hören, daß sie tranken, alten Cognac am frühen Morgen, und wir verfolgten jedes Wort des Gesprächs durch die offene Tür, denn keiner der Teilnehmer wußte, daß wir deutsch wie Deutsche sprechen konnten.

      ›Santé!‹ sagte der Chef der Menschenhandelsgesellschaft zu seinen Lieferanten: ›Also, dann schießen Sie mal los mit Ihren Beschwerden, Eckel. ‹

      ›Sie haben leicht reden, Sturmbannführer‹, entgegnete Eckel. › Was meinen Sie, wie mich unsere Abteilung IV B 4 ständig löchert. Die schmieren mir jeden Häftling einzeln aufs Brot. Ich muß melden, was aus diesen Scheißkerlen geworden ist. Ich muß sie namentlich ausbuchen. So oder so.‹

      ›Habt ihr denn so wenige?‹

      ›Bei uns gibt es ein Soll, Sturmbannführer‹, erwiderte Eckel, ›und das Soll ist ein Muß.‹

      ›Sie sind ein ganz sturer Kommißkopp, Eckel‹, entgegnete der Chef belustigt. ›Sie sollten nicht so achtlos mit unseren Devisenbringern umgehen. Sportsfreunde‹, wandte er sich an die anderen, ›das ist doch wohl die reinste Wehrkraftschädigung, oder nicht?‹

      Sie lachten und lärmten.

      ›Wenn wir nicht mehr Köpfchen hätten‹, sagte Linsenbach, ›dann würde demnächst kein deutscher Düsenjäger in die Luft steigen und bald auch keine Lokomotive mehr fahren. ‹

      ›Warum?‹ fragte Eckel stumpfsinnig.

      ›Weil die Dampfloks Kupferteile haben und wir das Kupfer bringen …‹

      ›Das Geld für die beiden Greenstones ist sicher längst unterwegs‹, warf Saumweber ein.

      ›Drei Tage könnten wir ja vielleicht noch prolongieren‹, schlug Dumhsky vor.

      ›Da mach ich nicht mehr mit‹, erwiderte Eckel.

      › Sie sturer Bock‹, entgegnete der Chef gutgelaunt. › Ihnen zuliebe werde ich vielleicht das Angebot halbieren und den Erlös verdoppeln.‹

      ›Prima Idee, Sturmbannführer, erwiderte Dumhsky. ›Wir werfen einfach ’ne Münze: Kopf oder Zahl. Joseph oder


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