Ein Bettler baut eine Stadt. Robert Heymann
Robert Heymann
Ein Bettler baut eine Stadt
Roman
Saga
Ein Bettler baut eine Stadt
German
© 1932 Robert Heymann
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711503782
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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1
Knut Storting ging müde den Broadway hinunter.
„Mord in Manhattan!Missionär Whitman erschießt ein Girl!“ Ein Zeitungsboy schreit die rotflammende Überschrift aus, springt in eine Pfütze, daß das Wasser an Knut emporspritzt.
Mit einem lauten „Halloh!“, mit hochflatternder roter Haarfahne jagt der Junge weiter. Omnibusse schwanken mit ihrer lebenden Fracht vorbei. Menschenwogen treiben dahin, die Autos bilden eine schwarze Schlange.
Knut Storting geht und geht mit großen mechanischen Schritten den endlos langen Broadway entlang von der Houston-Street fast bis Battery. Der Lärm verebbt. Das Rauschen des Hudson springt auf. In der Weststraße stehen noch einfache Häuser. Aus kleinen Läden schauen neugierige, behäbige Leute. Von den Hobokener Piers heult der Lärm des Hafens. Knut nähert sich dem Kai. Träge, mit Fracht und Nebel beladen, wälzt sich der Fluß dahin.
Der Deutsche lehnt sich über das niedrige Eisengeländer. Schaut zu, wie die Leute arbeiten. Einer nach dem anderen treten sie an den Bretterstapel heran, laden auf, soviel sie tragen können, schreiten mit ihrer Last über die schmale Planke nach dem Kahne hinüber. Wie Maschinen sind sie, kein überflüssiges Wort fällt. Nur hier und da ein kurzer Zuruf.
„Kann man bei euch nicht ankommen? Ich suche Arbeit.“
Der Mann wischt sich mit dem braunen Handrücken die Tropfen von der Stirn. „Wird nichts werden. Der Boß nimmt keinen, den er nicht kennt.“ Schwankt mit seiner Bretterladung wieder dem Kahne zu.
Die Vormittagssonne liegt in den weißen Straßen. Der Himmel steht dunstig über den Steinriesen im Hintergrund. Bald liegt der Fluß weit hinter dem Fremden. Die kleinen Gärten werden ungepflegter. Plätze, auf denen Gerümpel aller Art abgelagert ist, schieben sich dazwischen. Ein verrotteter Zaun hängt windschief und verwittert. Kein Bild, als ob in dieser Gegend Beschäftigung für einen Hungernden zu finden wäre.
Endlich! In einem chinesischen Restaurant wird ein Tellerwäscher gesucht. „Dishwasher wanted.“ –
Er hatte Glück:
Ein Raum, dessen Fenster den Blick auf den Asphalt der Straße freigab. Dann und wann huschte ein zierlicher Damenschuh mit einem durchsichtigen Strumpfansatz vorüber. Die Tellerwaschmaschinen drehten sich unablässig. Rollend kam der Fahrstuhl ununterbrochen von oben mit Bergen voll Geschirr.
Die Maschine wusch die Teller und schob sie nach einigen Umdrehungen gleich getrocknet wieder heraus. Knut nahm sie in Empfang, hielt die Maschine in Schwung und sorgte, daß das saubere Geschirr gleich wieder durch den Aufzug nach oben befördert wurde.
Drei Mann arbeiteten mit ihm schweigend und ohne Unterbrechung. In einem nebenan gelegenen Raum sang halblaut ein Mann. Dort befanden sich zwei Kupferputzer. Das waren die Männer, die die Kochtöpfe und das Küchengeschirr säubern mußten. In einer Ecke ging klappernd die Gläserwäsche vor sich. Es war ein kleines Hotel für sich hier unten, ein Reich, das den neuen Tellerwäscher in Erstaunen und Verwunderung versetzte.
*
Er wollte vergessen.
Aber er konnte es nicht. Ein Mädchengesicht stand in seiner Erinnerung immer über dem seinen. Ihre zärtlichen Augen verließen ihn nicht.
In seinem engen Zimmer studiert er täglich die Stellenangebote. Er will nicht Tellerwäscher bleiben. Er hat ein kleines Zimmer draußen am Hudson, das er mit einem Gelegenheitsarbeiter teilt.
Im angrenzenden Zimmer spielt jemand Klavier. Das macht ihn nervös. Er wirft die Zeitung hin und läuft auf und ab. Da singt eine ungeschulte, aber weiche Mädchenstimme:
„Dort, wo der Rhein mit seinen grünen Wellen –“
Knut steht mitten im Raum, horcht auf das leise Schluchzen des nie gesehenen Mädchens, sein Herz klopft bis zum Halse.
Heimweh! Heimweh nach Deutschland!
Die Vergangenheit stürzt herauf.
Zwei Jahre Leben! – Welch ein Leben!
Deutschland! Berlin! Ly!
Wie ein Film zieht sein Leben vorüber. Frauen, Sturm und zerstörte Hoffnungen. Alles wie ein Traum.
Er sieht sich wieder in Berlin.
Eben hat Knut Storting, Dr. phil., seinen Vortrag beendet. Die Zuhörer: Studenten, die zu wenig Geld besaßen, um sich zu zerstreuen. Arbeiter, bildungshungrig oder unzufrieden. Endlich einige intellektuelle Neugierige – diese kleine Zuhörerschaft von etwa dreißig Menschen applaudierte ein wenig und entfernte sich lachend und schwatzend. Der junge Mann mit dem schlecht gestutzten Haar und dem nervösen, übernächtigen Gesicht sah ihnen schweigend nach. Hatten sie ihn verstanden? Rückkehr zur Natur! Die Zivilisation ist eine Brücke des Todes über die zersprengte Natur, über die vergewaltigte Welt. Alle Errungenschaften der Technik, laut bejubelt, sind Erscheinungen des Abstiegs, der Selbstvernichtung. Erkenntnis dieses sogenannten Fortschritts muß zur Einschränkung der Zivilisation, zu ihrer Bekämpfung führen. Es gibt keine Lösung der sozialen Frage, der Staatsformen und der Lebensprobleme mit Schema und Dogma. Es gibt nur eines: Zurück zur einfachen Lehre vom Menschenwert. Versöhnung durch Erziehung der Jugend zum Respekt vor Mensch, Tier, Leben. Abschaffung des Telephons, des Radios, der Eisenbahnen. Vegetarismus – Primitivität. – – –
Auf der Straße stehen Zuhörer in einer Gruppe beisammen. Ly von Holgen hat den Chauffeur nach Hause geschickt. Sie hört recht gut, was sie sagen: daß Stortings Vorträge so etwas wie eine bessere Witzkiste seien. Man könne sich da fabelhaft unterhalten. –
„Was willste mehr? – Ohne Eintrittskarte bei den schweren Zeiten, und dabei Kino!“ Sie fiebert. Jedes Wort des Hohns brennt in ihr. Gestern war Tante Claire, die schöne Gattin des Oberregierungsrats Rohden, zu Besuch bei Mama gewesen. „Kind“, sagte sie zu Ly, „über dich habe ich mich königlich unterhalten! Ich ritt durch den Tiergarten – da sehe ich ein Paar – dich – und einen Mann – na, einen Mann – – –“
„Wer war denn das, Ly?“ fragte die Mutter dazwischen.
Ehe eine Antwort kam, prustete Tante Claire los:
„Also, du kannst dir das einfach nicht vorstellen! Irgendein Bildungsschwarm von Ly. Graugrüner Mantel, Beinkleider fransig – ein unmöglicher heller Hut – Locken – Lo – cken! – Kinder! Ein Mann mit Locken! Aus einer Nestroy-Posse!“
Ly, Tränen in den Augen, hatte erwidert:
„Mein ehemaliger Lehrer, Mama. Dr. Storting.“ Und zu Tante Claire gewandt: „Es kann nicht jeder beim ersten Schneider arbeiten lassen – und spazieren reiten! – Mussolini hat gebettelt, ehe er – –“ Sie schluchzte.
Tante Regierungsrat sagte ein paar einlenkende Worte. Frau von Holgen zuckte die Achseln – – –
Eben kommt Knut Storting. Unrasiert – zerstreut. Ly zieht ihn schnell fort. „Begreifst du denn immer noch nicht, Knut, daß man deine Ideen nicht