Ein Bettler baut eine Stadt. Robert Heymann

Ein Bettler baut eine Stadt - Robert Heymann


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– Verbrecher! Narben im Gesicht, Fischaugen und stierstarke Hälse. Einer mit freier Brust. Sie hängen sich an. Ein Hieb läßt Knut taumeln. Die Menschenmenge wälzt sich heran. Knut fühlt Fieberhitze. Schlägt zu, exakt, sicher, landet schwere Hiebe. Er hat es nicht gelernt. Nur zugesehen hat er bisher, schlägt aber wie ein Boxer. Der Motor ist wieder angesprungen.

      Der eine Angreifer schnauft wie eine Maschine und kugelt ab. Den zweiten schleift das Auto eine Weile mit, dann rutscht er in die Straßenrinne.

      Die Dame hat dem Fahrer eine neue Adresse zugeschrien. Osten! Wo die armen Leute wohnen. Eine jener Neuyorker Bezeichnungen, bei denen sich ein nicht Ortskundiger nicht viel denken kann. Eine jener Straßen, die nur Nummern, keine Namen tragen.

      Knut hält die Kraftlose in den Armen.

      Sie fahren.

      Langsam erholt sie sich.

      Eine kleine, zärtliche Hand liegt auf der seinen. „Ich danke Ihnen“, flüstert eine helle Stimme. „Sie werden alles erfahren. Ich heiße Violet, das mag Ihnen genügen. Wir werden uns wiedersehen.“

      Im Schimmer der hellen Häuser, Lampen, Auslagen betrachtet er sie. Ihr stolzer Kopf ist nach hinten gesunken. Er weiß nicht, was er sagen soll. Minuten vergehen. Locken flattern über ihre Stirn. Die Brauen fliegen hochmütig über eine gerade, kühne Nase. Plötzlich beugt sich die schöne Unbekannte vor, läßt den Wagen halten.

      „Nochmals danke ich Ihnen. Wie heißen Sie?“

      Er nennt seinen Namen. Sagt ihr, daß er Deutscher sei, ihren Hilferuf vernommen hätte, daß er unendlich glücklich wäre.

      „Was sind Sie?“

      „Was ich bin? Ich war etwas! Ich bin jetzt nichts –“

      Sie sucht etwas, betrachtet ihre Hände, fährt sich plötzlich ins Haar. Der kostbare Kamm schleudert farbige Funken. Er ist mit Brillanten besetzt.

      „Ich kann Ihnen heute nur so danken – nehmen Sie!“

      Er zieht seine Hände zurück.

      „Nein! Ich lasse mich nicht bezahlen!“

      Sie zieht die Brauen hoch, überzeugt sich, daß die Straße menschenleer ist.

      „Seien Sie ein ganz klein wenig klug“, sagt sie. Ihre Stimme klingt eindringlich, ein wenig ironisch. „Sie sind arm. Sie sollen Ihr Glück machen!“

      „Ist es nicht Glück genug, Sie –“

      Eine herrische Handbewegung unterbricht ihn. Sie schleudert den Kamm auf die Straße. „Sie haben keine Aussichten hier in den Staaten – please – steigen Sie aus.“

      Der Ton duldet keinen Widerspruch. „Geben Sie mir Ihre Adresse.“

      „Deutsches Logierhaus König Friedrich“, stammelt Knut verwirrt.

      „Ich schreibe Ihnen! Leben Sie wohl!“

      Für einen Augenblick ist ihr Gesicht über ihm: ihre verschleierten, umschatteten Augen, der feuchte Mund, ein sanftes Kinn, die blauschwarze Welle, die bis über die hochfliegenden Brauen geglitten ist. Duft von fremden Inseln und unbegreiflich süßen Blüten umfängt ihn. Er kann kaum atmen. Er fühlt nur, wie die dunkle Ahnung einer schwermütigen, verhängnisvollen, grausamen Liebe seine Glieder schwer werden läßt. Plötzlich umschlingen ihn zwei weiche Arme, ihre Lippen liegen auf den seinen. Dieser Kuß, zärtlich und hastig, wie ein Gruß aus einer Welt des Reichtums, des Glücks, der Sonne, macht ihn trunken. Als er taumelnd aufsieht, sich zurückfindet zur Wirklichkeit, ist der Wagen fort. Eine graue Straße mit Lichtflecken umgibt ihn. Passanten nähern sich.

      Er kehrt nicht mehr in das Restaurant zur „Goldenen Küste“ zurück. Irrt in Neuyork umher, bis der neue Tag herangekommen ist.

      Kaum fühlt er den Hunger. Immer nur sieht er lockend das Mädchenantlitz. Kein amerikanisches Gesicht. Dunkle, schwermütige Augen. Ein sehnsüchtiger Mund. Eine fast zu große, an Indianer erinnernde Nase. Und doch: schön! Traumhaft schön!

      *

      Als Knut Storting nach Stunden in seinem Logierhaus anlangte, zog er sich sofort in sein kleines Zimmer zurück. Da lag das Morgenblatt. Die Heimausgabe, die um vier Uhr morgens gedruckt wurde. Gedankenlos überlas er den Inhalt: die üblichen „Cartoons“, die neuen Abenteuer der stehenden Scherzfiguren. Inserate von verblüffender Deutlichkeit, eine illustrierte Geschichte der Staaten seit den Tagen der Einwanderung, die letzten Depeschen, Ratschläge des Martha-Lee-Klubs für Frauen. Plötzlich: „Verbrechen in der Bowery? Wer ist der Entführer? Wer ist die schöne Unbekannte? Das Rätsel hinter der Holztür über dem Restaurant zur ‚Goldenen Küste‘.“

      Amerikanische Schnelligkeit! Reporterfixigkeit!

      Knut knüllt die Zeitung zusammen. Sie sind ihm also schon auf den Fersen! Langsam glättet er das Papier wieder und liest:

      „In dem allen Neuyorkern bekannten Restaurant Gold Coast ereignete sich heute nacht ein ganz ungewöhnlicher und mysteriöser Vorfall. Aus einer kleinen Wohnung über Chen-Kien-Suans Restaurant entführte ein Unbekannter eine Frau, nachdem er die Tür gewaltsam erbrochen hatte. Er stürmte mit seiner Beute auf die Straße und jagte in einem Taxi fort. Obgleich um diese Zeit die Straße belebt war, hat niemand den Verbrecher gehindert. Alles vollzog sich nach Aussagen von Augenzeugen so schnell, daß niemand eingreifen konnte.

      Es ist die höchste Zeit, daß die Polizei ganz energisch gegen das Verbrechertum vorgeht. Neuyork steht nicht mehr hinter Chikago zurück. Wir haben aber nicht den Ehrgeiz, in einer Stadt zu wohnen, in der das Verbrechen allmächtig triumphiert. Oder sollen die Zeiten des Roten Ben wiederkommen, in denen Straßenschlachten etwas Alltägliches waren?“

      Kopfschüttelnd las Knut. Die interessante Lektüre wurde durch ein Inserat der Firma Whitman & Co. unterbrochen, die für besondere Fälle einen Feigensirup von nie versagender Wirkung anbot – – –

      Schon fesselte eine weitere Notiz Knuts Aufmerksamkeit, steigerte seine Erregung:

      „Neue Feststellungen zu dem Mädchenraub!“

      Inspektor Garde hat einen Fund gemacht, der die schlimmsten Befürchtungen erweckt. An einer Straßenbiegung, nicht weit ab von der Bowery, fand der Beamte gegen Morgen auf der Straße einen Haarschmuck von seltenem Wert. Die Brillanten repräsentieren ein Vermögen, das unsere Sachverständigen auf 50000 Dollar schätzen. Die Unglückliche ist also beraubt worden. Detektive sind auf der Suche nach dem Taxi. Man vermutet, daß der Chauffeur zu den Verbrechern gehört und der Wagen ein maskiertes Privatautomobil war.“

      Und nach einer Bekanntgabe der Edolf-school, die einen neuen Lehrer suchte:

      Unsere Redaktion sucht das Rätsel zu lösen. Kampf zweier Verbrecherbanden?

      „Unser Korrespondent begab sich kurz vor der ersten Ausgabe unseres Blattes in die Bowery zum Restaurant Gold Coast. Die Polizei war schon zur Stelle. Chen-Kien-Suan hat mit der Sache nichts zu tun. Die Wohnung über dem Speisehaus ist von Unbekannten gemietet worden. Es handelt sich um zwei Männer, nach denen die Polizei ebenso fahndet wie nach dem Entführer der Entführten.

      Es scheint sich um einen Kampf zwischen zwei verschiedenen Verbrecherbanden zu handeln, denn nach Aussage Sung-hens, des Geschäftsführers Chen-Kien-Suans, gleicht der Entführer keinem der beiden Mieter, die Sung-hen wohl gekannt hat. Man nimmt nun an, daß die Unbekannte erst von der einen, dann von der anderen Bande geraubt wurde, deren Führer der Mann von heute nacht war. Er hat sich als Tellerwäscher engagieren lassen, offenbar um den geeigneten Augenblick für die Tat abzuwarten und die Örtlichkeit in aller Ruhe zu studieren.“

      Zwei Stunden später schrien Boys in den Straßen neue Einzelheiten der phantastischen Begebenheit aus, für die sich schon ganz Neuyork interessierte.

      „Die Entführte, ein Opfer des Opiums?“

      „Im Restaurant Gold Coast hat die Polizei ein Geheimzimmer gefunden, in dem Angehörige der oberen Fünfhundert sich zusammenfanden, um dem Opiumgenuß zu huldigen. Es scheint, daß es


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