Ein Bettler baut eine Stadt. Robert Heymann

Ein Bettler baut eine Stadt - Robert Heymann


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versuchte zuerst, Wahrheit und Lehrplan zu verbinden. Aber schnell siegten Begeisterung und wissenschaftliche Überzeugung über solche Bedenken. Er lehrte seine Schüler, diese stolzen Vertreter des stolzesten Volkes, den Lehrsatz von der Vergänglichkeit aller Menschenwerke.

      „Nur der Wechsel ist beständig.“

      „Aber unsere Bauwerke, unsere Wolkenkratzer, unsere Petroleumquellen, unser Reichtum?“ wandten die Schüler ein.

      „Es gibt kein unbewegliches Heute. Die Saurier sind untergegangen, diese mammuthaften Säugetiere. Die größten Spielarten sind am schnellsten zum Aussterben verurteilt. So ist auch das Leben des Zivilisationsmenschen ein Kulminationspunkt, der bereits auf den Wechsel zum Primitiven hinzeigt. Nur das Einfache behauptet sich. Alles ist Entwicklung, und die Spielart Mensch, aus unfaßbar einfachen Anfängen emporgezüchtet, muß wieder zurück zur einfachsten Lebensform oder untergehen.“

      Solche Lehren vertrugen sich nicht mit dem Ewigkeitsdünkel der amerikanischen Rasse, die kein Morgen gelten lassen will, die das Prinzip des Unveränderlichen beansprucht und sich als höchstentwickelte Nation betrachtet.

      Knut Storting aber brachte seine Schüler zum Nachdenken. Fragen tauchten auf, die zu beantworten dem Schulleiter höchste Verlegenheit bereitete.

      Er sah das Wirken des deutschen Lehrers mit wachsender Entrüstung an.

      Bald aber trat Knut Storting in einer Form an die Öffentlichkeit, die seinen Vorgesetzten noch weniger behagte als sein Unterrichtssystem.

      Er beteiligte sich leidenschaftlich an den gewaltigen wirtschaftlichen Kämpfen, die die Vereinigten Staaten durchtobten. Höher als vorher reckte die Korruption ihr Haupt. Wirtschaftliche Probleme drängten nach Lösung. Die Plutokratie beherrscht mit Trusts und den verwegensten Privilegien gleich einem einzigen Despoten unumschränkt die Staaten.

      Bald wurde Knut in den Trubel der Parteikämpfe gezogen. Seine Reden in der Öffentlichkeit, seine rücksichtslosen Urteile über die Syndikate, sein furchtloses Eintreten für die von ihm gehegten Ideale zogen ihm allmählich das schärfste Mißfallen der Schule zu, in der er tätig war.

      Der Direktor ließ ihn eines Tages zu sich kommen und sagte:

      „Mr. Storting, ich habe mehr und mehr die Überzeugung gewonnen, daß Sie Ihre Stellung an unserer Schule verkennen.“

      Knut wollte auffahren, sich auf die persönliche Freiheit berufen, aber der Direktor ließ ihn nicht aussprechen.

      „Verstehen Sie mich recht! Ich weiß, was Sie sagen wollen! Sie kommen von Deutschland. Sie vergessen, daß Sie sich in Ausübung Ihrer Lehrtätigkeit unbedingt dem Programm anpassen müssen, das unserer Schule vorgeschrieben ist!“

      „Und meine Schüler, die das Recht haben, die Wahrheit von mir zu hören?“

      „Ihre Schüler bezahlen Sie nicht. Und da Ihre Vorgesetzten wünschen, daß Sie den naturwissenschaftlichen Unterricht in den Grenzen geben, die Ihnen gesetzt sind, so ...“

      „Erlauben Sie, daß ich Sie unterbreche! Diese Grenzen sind Lügen! Selbst wenn ich mich fähig erklärte, diesen Betrug an der jungen Generation zu begehen, so bliebe doch noch mein persönliches Ehrgefühl zu beseitigen! Ich müßte lernen, mich selber zu belügen, und das –“

      „Müssen Sie lernen“, entgegnete der Direktor trocken.

      Storting sah bleich zu Boden.

      Eine Welt hatte er sich erbaut. Eine neue, schöne Welt, reich an Glauben und Idealen und wundervollen Hoffnungen. Monate hatte er gedarbt, gehungert und gearbeitet. Um diese neue Welt.

      Und in einer Stunde fiel sie zusammen. Eine brutale Hand, stärker und mächtiger als sein Wille und sein Glaube, wischte darüber hin. Alles versank, und das Gespenst der grausamen Enttäuschung grinste ihn wieder an.

      Er war entlassen. Das Unglück kam nicht allein:

      Seine Agitation gegen die Trusts hatte den wütenden Angriff eines Blattes gegen ihn zur Folge, das sich mit zweifelhaften Feldzügen gegen unbequeme Gegner einen nicht eben ehrenvollen Namen unter der Presse gemacht hatte. Der Artikel wimmelte von absichtlichen Entstellungen.

      Storting erwiderte darauf. Aber man griff ihn nur um so stärker an.

      Eines Abends sandten ihm „Freunde“ die Zeitung zu. Mit blauen Strichen dick umrandet las er:

      „Knut Storting versucht die Massen zu betrügen! Er selbst ein Betrüger! In Deutschland wegen Diebstahls angeklagt!“

      Es folgte eine entstellte Darstellung jenes traurigen Zwischenfalls in München, wo er unschuldig in Untersuchungshaft gekommen war.

      Ein Korrespondent der Zeitung hatte alles in absichtlich tendenziöser, aufgebauschter Form berichtet, und das Blatt schrieb über die Angelegenheit, als sei die entehrende Anklage erst gestern oder vor einigen Wochen erhoben worden.

      Es begann ein zäher, verzweifelter Kampf des unglücklichen Lehrers gegen seine mächtigen und überlegenen Feinde.

      Er schrieb der Zeitung, daß die Angelegenheit um Jahre zurückläge.

      Sie antwortete, es sei dann doppelt bedauerlich, daß er gerade Amerika für gut genug hielt, sich zu verbergen und über die Schande Gras wachsen zu lassen.

      Er schrieb, daß er unschuldig gewesen sei.

      Die Zeitung knüpfte hämische Bemerkungen daran. Der Beweis fiel beiden Teilen schwer. Also lastete das Mißtrauen weiter auf Knut Storting.

      Er schrieb, daß er überhaupt nicht wegen Diebstahls angeklagt gewesen sei.

      Um so schlimmer, meinte die Zeitung. Vielleicht war das Delikt noch niedriger und ehrloser.

      Knut antwortete mit einem tätlichen Angriff auf einen der Redakteure des Blattes.

      Wütende Ausfälle folgten.

      Das Gericht verurteilte ihn zu einer empfindlichen Buße.

      Was nützte es ihm, daß durch sein mutiges Auftreten ein Korruptionsherd aufgedeckt wurde?

      Die Öffentlichkeit erfuhr, daß der Senator Smith in Illinois eine Million Dollar Bestechungsgelder für seine Wahl bezahlt hatte. Daß sich in Pennsylvania das gleiche zugetragen hatte. – Aber über Knut Storting erfuhr man nichts mehr.

      Denn die „Gelbe Presse“ hatte kein Interesse an ihm. Er würde nie in den Dienst Randolph Hearsts treten können, der über achtunddreißig große Tageszeitungen, elf Wochen- und Monatsschriften gebot. Der den einflußreichsten Feature-Dienst beherrschte, der das Nachrichtenwesen kontrollierte. Der Mann mit 85 000 Angestellten. Der Mann, der die gewissenlosesten, aber begabtesten Reporter der Welt erzogen hat. Der durch ein nie vorher erlebtes Husarenstück den Amerikanisch-spanischen Krieg entfesselte. Für die Blätter dieses Mannes existierte Knut Storting nicht mehr. Er war abgetan, kaum daß er begonnen hatte.

      Von nun an führte der Lebensweg des Deutschen in steilen Kurven bergab.

      4

      Müde, zerschlagen, ging Knut am Abend in eine Wählerversammlung. Ein Anhänger des Kandidaten Hoover sprach: „Drei Millionen Dollar für Wohlstandsarbeiten. Das Prohibitionsproblem wird gelöst!“

      „Hoover wird“, ruft der Agitator in die unübersehbare Menge, „Hoover wird dieses furchtbare Erbe nicht unverändert antreten. Er weiß, daß es einen Augiasstall zu säubern gilt. Er ist gewillt, die amerikanische Nation aus der Prohibitionssackgasse herauszuführen, die darin besteht, daß sie sich ein Gesetz gegeben hat, das sie nicht befolgt. Hoover will die Durchführung des Gesetzes mit allen Mitteln sichern, und wenn es sich herausstellen sollte, daß das unmöglich ist, ist er entschlossen, das Gesetz in diesem oder anderem Sinne abzuändern. Es zu verschärfen – oder abzuschaffen!

      Die Bootleggers haben seit der Annahme des 18. Verfassungs-Amendments auf das allgemeine Alkoholverbot nicht allein ihre große Schmugglerindustrie aufgebaut und aus ihr im Laufe der Jahre einige hundert


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